Leonardo Boff

Franziskus aus Rom und Franz von Assisi


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      Niemals zuvor in der Geschichte hat ein Papst den Namen Franziskus gewählt. Es gab viele mit dem Namen Leo, Gregor, Benedikt, Pius usw. Doch für die Päpste früherer Zeiten wäre es, denkt man an Franz von Assisi, ein unerträglicher Widerspruch gewesen, sich selbst Franziskus zu nennen. Die Päpste lebten nämlich in Palästen, schmückten sich mit vielen Ehrentiteln, hielten alle religiöse und lange Zeit auch die weltliche Gewalt in Händen, besaßen Ländereien, befehligten Armeen und hatten Schätze und Geldvermögen angehäuft. Sie vereinten in ihrer Person das Imperium und das Sacerdotium, die weltliche und religiöse Herrschaft.

      All das lehnte Franziskus für sich selbst und für seine Nachfolger ab. Alle sollten Brüder sein. Sie nannten sich Minderbrüder (fratres minores) und setzten sich damit bewusst von den maiores, den Großen, das heißt den Adeligen, den großen Feudalherren und den reichen Händlern ab. Der heilige Franziskus und seine Brüder entschieden sich für ein Leben „am Erdboden“ (in plano subsistere), mitten unter den Armen und den von der Gesellschaft Ausgegrenzten wie zum Beispiel den Leprakranken.

      Wenn ein Papst, der von der Peripherie der Welt und nicht aus der alten europäischen Christenheit kommt, zur Überraschung aller den Namen Franziskus wählt, dann will er damit allen etwas sagen: Das Signal, das er damit aussendet, lautet: Von nun an soll das Papstamt in ganz neuer Weise ausgeübt werden. Der Papst wird auf Titel und Symbole der Macht verzichten und versuchen, den Nachdruck auf eine Kirche zu legen, die vom Leben und Beispiel des heiligen Franziskus inspiriert ist: in Armut, in Einfachheit, in Demut, in Geschwisterlichkeit mit allen, auch mit den anderen Lebewesen und der Schwester und Mutter Erde selbst.

      Das ist ein kühnes Vorhaben, aber es ist höchst notwendig, denn es entspricht am besten dem Erbe Jesu und den Forderungen des Evangeliums. Vor allem aber ist es die angemessene Antwort auf die Herausforderungen einer globalisierten Welt, in der die Kirche in Demut und ohne jemanden auszugrenzen ihren Platz an der Seite anderer Kirchen, Religionen und spiritueller Wege finden muss.

      Dieses kleine Buch will zwei außergewöhnliche Gestalten miteinander in Beziehung bringen: Franz von Assisi und Franziskus aus Rom. Man kann jetzt schon sagen, dass die römisch-katholische Kirche nicht mehr dieselbe sein wird wie zuvor. Papst Franziskus versteht sich in erster Linie als Bischof von Rom und erst dann als Papst, der die übrigen Ortskirchen in Liebe leiten will. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er den Anfang einer neuen Reihe von Päpsten bilden, die aus den jungen Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerika herkommen.

      Bis jetzt waren diese jungen Kirchen das Spiegelbild der europäischen Kirchen. Sie werden mit der Zeit zu Kirchen werden, die aus der eigenen Quelle schöpfen, ihren eigenen Lebensstil und ihre eigene Art, den Glauben auszudrücken, finden, die aus dem Dialog und aus der Verwurzelung in den lokalen Kulturen hervorgeht.

      Übrigens leben nur 24 % der Katholiken in Europa. Die anderen, das heißt die große Mehrheit, leben in der sogenannten Dritten oder Vierten Welt. Das Christentum ist also heute eine Religion der Dritten Welt, die einst ihren Ursprung in der Ersten Welt hatte. Deshalb ist es nur allzu gerecht, dass ein Papst aus der Mitte dieser großen Mehrheit von Katholiken kommt.

      Dank der Gnade des Heiligen Geistes, der die Kirche auf ihrem oftmals leidvollen Weg stets begleitet, kam schließlich ein Papst „vom Ende der Welt“, wie er selbst sagte. Allein aufgrund der Wahl seines Namens stellt er eine Hoffnung für die ganze Kirche und auch für die Welt dar.

      Am 16. März 2013 gab der neue Papst in der Aula Paul VI. eine Pressekonferenz und erläuterte in aller Schlichtheit die Bedeutung des Namens Franziskus. Er sagte:

      „Als die ausreichende Anzahl der Stimmen erreicht war, die mich zum Papst machen sollten, kam der brasilianische Kardinal Claudio Hummes zu mir, küsste mich auf die Wange und sagte: ,Vergiss die Armen nicht.‘ Bei der Erwähnung der Armen fiel mir sogleich Franziskus von Assisi ein. Ich dachte an die Armen und an die Kriege. Bereits während der Wahlgänge, deren Stimmenauszählung für mich ,gefährlich‘ wurde, kam mir ein Name in den Sinn: Franziskus von Assisi. Franziskus, der Mann der Armut, des Friedens, der die Schöpfung liebte und sich um sie sorgte, ein Mann, der ein Gespür für den Frieden vermittelt, ein Armer. Wie sehr wünschte ich mir eine arme Kirche, eine Kirche für die Armen!“

      In diesen Worten steckt das Wesentliche seiner Namenswahl und der Sendung, die er sich zu eigen macht, wenn er den Glauben und die Hoffnung von mehr als einer Milliarde Katholiken nährt und ihnen Einheit verleiht. Durch seine Worte und Gesten zu Beginn seines Pontifikates, nicht zuletzt anlässlich des Weltjugendtages in Brasilien (23. – 28. Juli 2013), deutet er tiefgreifende Veränderungen an, die für die katholische Kirche den Eintritt in das dritte Jahrtausend bedeuten könnten. Möge es Gott so gefallen!

       Petrópolis, Juli 2013

       Leonardo Boff

      Liebe Jugendliche, meine Brüder und Schwestern!

      Auch ich war einst jung wie ihr. Ich war der Sohn des Pedro Bernardone, eines reichen Tuchhändlers. Wie er nahm ich an den berühmten Verkaufsmessen in Südfrankreich und Holland teil. Ich lernte Französisch und lernte auch ein wenig die Welt kennen, besonders die Musik der Spielleute und Minnesänger der Provence.

      Mein überaus reicher Vater ermöglichte mir alle Annehmlichkeiten. Ich war der Anführer einer Gruppe von jungen Müßiggängern, die sich auf den Straßen die Nacht um die Ohren schlugen, höfische Liebeslieder sangen und fahrenden Sängern zuhörten, die von Ritterabenteuern erzählten. Wir veranstalteten ausgelassene Feste mit einer Menge Tumult und Lärm. So verbrachten wir einige fröhliche Jahre.

      Nach einiger Zeit verspürte ich eine große Leere in mir. All das war gut, aber es füllte mich nicht aus. Um meine Krise zu überwinden, wollte ich Ritter werden und im Kampf gegen die Mauren Heldentaten vollbringen. Doch mitten auf dem Weg dahin hielt ich inne. Ich ging in ein Kloster, um zu beten und Buße zu tun. Doch bald bemerkte ich, dass dies nicht mein Weg war.

      Allmählich jedoch erstarkte in mir eine seltsame Liebe zu den Armen und ein tiefes Mitleid mit den Leprakranken, die isoliert von den Menschen außerhalb der Stadtmauern lebten. Ich besann mich auf Jesus, der ebenfalls arm war und am Kreuz viel leiden musste.

      Eines Tages kam ich in die Kirche San Damiano. Lange Zeit verharrte ich dort in Betrachtung des leidenden Antlitzes des gekreuzigten Christus. Plötzlich kam es mir vor, als hörte ich eine Stimme, die vom Christus her kam: „Franziskus, baue meine Kirche wieder auf, die in Trümmern liegt.“

      Diese Worte drangen mir tief ins Herz. Ich konnte sie nicht vergessen. Mit meinen eigenen Händen begann ich, die kleine, alte und verfallene Kirche Portiunkula wieder aufzubauen. Dann wurde mir bewusst, dass die Stimme, die ich gehört hatte, eine andere Kirche gemeint hatte: Nicht eine aus Stein, sondern die Kirche, die aus Menschen, Prälaten, Äbten, Priestern und nicht zuletzt dem Papst besteht. Sie befand sich in moralischem Verfall. Viel Unsittlichkeit und Machthunger gab es da, es wurden Paläste für die Kardinäle und den Papst und prunkvolle Kirchen gebaut. All das hatte Jesus ganz sicherlich nicht von seinen Nachfolgern gewollt.

      Um die Kirche wieder aufzubauen, ging ich an die Quelle zurück, um daraus zu schöpfen. Ich wandte mich den Evangelien und der Nachfolge des armen Jesus zu. Niemand regte mich dazu an oder trug es mir auf. Gott selbst aber war es, der mich zu den Leprakranken führte. Und ich wurde von gewaltigem Mitleid für sie ergriffen. Was ich zuvor als bitter empfand, wurde mir nun aufgrund des liebenden Mitleids süß. Ich begann in den Dörfern in einer einfachen Sprache, die alle verstanden, die Worte Christi zu verkündigen. Ich sah es den Leuten an, dass dies genau das war, worauf sie hofften und