Kann der Euro überleben?
Einleitung:
Worum es geht
Seit der Finanzkrise quellen die Bücherregale mit empörten Erklärungsversuchen, kapitalismuskritischen Streitschriften und alarmierenden Vorhersagen über, meist verfasst von aufgeregten Zeitgenossen, die es schon immer gewusst haben wollten. Manchmal melden sich auch selbsternannte Aussteiger zu Wort, die plötzlich auf mysteriöse Weise zu Kritikern geläutert wurden, nachdem sie vorher jahrelang gut im Finanzsystem verdient haben und jetzt neue Einnahmequellen brauchen. Es ist ein wohlbekanntes Muster. Wir werden mit Warnungen vor Krisen, Kriegen und Katastrophen derart überschwemmt, dass man sich kaum noch aus dem Haus wagt.
Mit diesem Buch gehe ich bewusst einen anderen Weg. Es wäre nicht sehr schwierig, dem am Boden liegenden Finanzsektor, dessen öffentlicher Ruf bekanntlich ruiniert ist, noch einen weiteren Schlag zu versetzen. Vielleicht zur Krönung noch ein paar Klischees über gierige Bankiers. Doch mehr als genug andere tun das bereits im Überfluss. Wesentlich interessanter und schwieriger ist die eigentliche Frage: War wirklich alles so leicht vorhersehbar, wie im Nachhinein behauptet wird? Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz betont heute bei jeder Gelegenheit, dass er lange vor der Krise gewarnt hatte. Doch er vergisst zu erwähnen, dass er gegen ein großzügiges Honorar ungefähr zur gleichen Zeit eine Studie verfasste, in der er zum Schluss kam, die Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac könnten den Staat im schlimmsten Fall zwei Millionen Dollar kosten.1 Die tatsächlichen Rettungskosten beliefen sich dann zwar auf fast 200 Milliarden, doch Stiglitz findet auch heute noch Anerkennung als Krisenexperte.
Die Materie ist komplex und die Krisenliteratur inzwischen so unübersichtlich, dass nur noch wenige Experten in der Lage sind, ernstzunehmende Verbesserungsvorschläge von Scharlatanerie zu unterscheiden. Deshalb vermeide ich detaillierte Beschreibungen der diversen Hilfsprogramme mit ihren zahllosen Abkürzungen – interessierte Leser können anderswo umfangreiche Schilderungen finden. Ich gehe davon aus, dass die meisten mit den groben Zügen der Krise aus der eigenen Lebenserfahrung vertraut sind. Eine genaue Kenntnis der Rettungsmaßnahmen oder einzelner Finanzprodukte ist für das Verständnis aber nicht notwendig.
Dieses Buch enthüllt Scharlatane, die von der Krise profitieren und uns durch fehlerhafte Erklärungen, unzulässige Vereinfachungen und undurchdachte Forderungen manipulieren wollen. Kaum jemand sah die Krise kommen. Einige sahen sie schon vorher, als die Grundlagen der Krise noch gar nicht gelegt waren und verkauften seit den 80er und 90er Jahren regelmäßig Bücher mit Titeln wie Die Krise kommt. Wer lang genug eine Katastrophe prophezeit, hat durchaus die Chance, irgendwann richtig zu liegen. Dann erscheint der Protagonist dieser Forderung plötzlich als weiser Prophet.
Im Nachhinein ist man eben immer schlauer. Seltene Ereignisse wie Erdbeben und Finanzkrisen eignen sich ganz besonders für die Warnungen von Scharlatanen. Wenn das Ereignis dann doch eintritt, sollte aus einem Scharlatan eigentlich nicht automatisch ein ernstzunehmender Experte werden. Für Auftritte in Fernsehsendungen mag seine Glaubwürdigkeit steigen, aber ein Scharlatan bleibt trotzdem ein Scharlatan.
Dieses Buch zeigt, wie sich Kapitalismuskritiker aller politischen Richtungen skrupellos der Finanzkrise bedienen, um die Öffentlichkeit für ihre Ziele zu gewinnen – oder einfach nur Bücher zu verkaufen. Als Kontrast zu dieser Art Literatur, die auf Bauchgefühl anstatt auf Fakten setzt, präsentiere ich bewusst Statistiken, um Trugschlüsse zu entlarven und Tatsachen zu belegen.
Damit begebe ich mich auf dünnes Eis. Denn wer quantitativ argumentiert, gilt als herzloser Zahlenjongleur und setzt sich dem Vorwurf aus, Erbsenzähler oder, schlimmer noch, Ingenieur zu sein. Ich würde solche Vorwürfe als Kompliment auffassen, denn die Geistesblitze der Ingenieure sind es, die der Menschheit Fortschritt bescheren. Googles Chefvolkswirt Hal Varian bemerkte zur zunehmenden Bedeutung von Statistiken:
Ich sage immer wieder, dass der coolste Beruf der nächsten zehn Jahre der Statistiker sein wird. Die Leute denken, ich mache einen Witz, aber wer hätte gedacht, dass Computerprogrammierer den coolsten Beruf der 1990er Jahre haben würden? Die Fähigkeit, Daten zu verarbeiten – in der Lage zu sein, sie zu verstehen, aufzubereiten, Wert daraus zu schöpfen, grafisch darzustellen, sie zu kommunizieren – all das werden sehr wertvolle Kenntnisse sein.2
Im Gegensatz dazu liefern Zahlen für Kapitalismuskritiker lediglich den Beweis dafür, dass die Märkte den Menschen zum Sklaven gemacht haben. Bei einer solchen Denkweise ist jegliche vernünftige Diskussion von vorneherein ausgeschlossen.
Die meisten Probleme, die sich während der Finanz- und Staatsschuldenkrisen offenbarten, gehen keineswegs auf gierige Bankiers zurück, wie die vereinfachenden Experten in Fernsehrunden behaupten. Meist stecken langjährige Entwicklungen dahinter, oftmals von der Politik gefördert, aber immer von ihr mindestens abgesegnet. Im Nachhinein liegt es nahe, verantwortungsloses Handeln gieriger Bankiers als Ursache allen Übels abzustempeln. Doch der komplette Hintergrund ist weit differenzierter. Wir leben in einer komplexen Welt, in der vernünftig erscheinende Entscheidungen meist unbeabsichtigte Folgen haben können.
Ein Beispiel vorab: Nach der lateinamerikanischen Schuldenkrise der 80er Jahre förderte man die Verbriefung von Krediten, um zu verhindern, dass Kreditrisiken in den Banken verbleiben. Nach der aktuellen Finanzkrise behaupten nun regulierungswütige Besserwisser, Krisen könnten vermieden werden, wenn Verbriefungen beschränkt werden. Die unbeabsichtigten Folgen sind schon vorherzusehen: Faule Kredite werden irgendwann wieder Banken in Schieflage bringen, und dann wird man erneut zu der Einsicht kommen, dass Verbriefungen ein gutes Instrument sind, um Risiken aus den Banken herauszulösen. Unbeabsichtigte Folgen sind quasi ein Naturgesetz der modernen Gesetzgebung.
Viel ist schiefgelaufen, aber nichts geschah außerhalb und ohne Mitwissen des Staats, also von Politik und Verwaltung. Die meisten Ereignisse waren eine Wiederholung der Geschichte. Nicht gierige Banken haben das Finanzsystem im Alleingang geschaffen, sondern in Zusammenarbeit, und oftmals unter dem Druck, der Staaten.
Dieses Buch zeigt deshalb auch, wie der Staat zur Vermeidung von Krisen genau die Strukturen schuf, denen jetzt die Verantwortung für die Krise zugeschoben wird. Neue Vorschriften werden nicht Krisen verhindern, sondern Wohlstand. Was wir brauchen, ist mehr Markt und weniger Staat.
Es ist ein Muster, das wir schon in der Vergangenheit gesehen haben. Nach jeder Krise werden neue Vorschriften erlassen, die möglicherweise die vergangene Krise verhindert hätten. Genau diese Maßnahmen werden dann zehn oder zwanzig Jahre später für die nächste Krise verantwortlich gemacht. Denn anstatt Krisen zu verhindern, verzögern viele Vorschriften lediglich notwendige Anpassungen. Da die Welt aber nun einmal nicht stabil ist, sondern sich kontinuierlich wandelt, schaffen die Vorschriften nur einen Schein von Stabilität.
Diese vermeintliche Stabilität maskiert lediglich die sich langsam aufbauenden Spannungen, die sich in der nächsten Krise entladen. Feinde freier Märkte freuen sich über die Stabilität und loben die ihre Weitsicht und die durch sie geschaffenen Gesetze. Für die nächste Krise sind dann nicht sie verantwortlich, sondern näher liegende Täter: gieriges Finanzkapital und Spekulanten. Seltsam nur, dass niemand diese mysteriösen Spekulanten fassen kann.
Risiko lässt sich nicht per Gesetz abschaffen. Die Idee, durch Gesetze mehr Stabilität in eine instabile Welt zu bringen, ist absurd. Doch genau dies wird im augenblicklichen populistischen Klima suggeriert. Die gleichen Aufsichtsbehörden, die vor der letzten Krise geschlafen haben, sollen jetzt mit zusätzlichen Kompetenzen wacher werden.
Wahrscheinlicher ist, dass sie mit mehr Kompetenzen die letzte Krise bekämpfen und die nächste verschlafen. Denn auch hier gilt: die Zukunft kann man nicht perfekt vorhersagen. Aufsichtsbehörden können nicht die Zukunft bestimmen, sondern lediglich hoffen, dass die gegenwärtigen Vorschriften genau richtig sind. Aufsichtsbehörden haben vor der letzte Krise nicht über unzureichende Kompetenzen