und damit auch die Behörden jetzt kräftig zupacken und in Zukunft alles besser machen.
Ich gehe in diesem Buch deshalb auch darauf ein, wie schwierig es sein kann, sinnvolle Entscheidungen im Voraus von unsinnigen zu unterscheiden. Natürlich gehen die Meinungen immer auseinander, und es gibt stets plausible Argumente für und auch gegen ein und dieselbe Vorschrift. Solange wir die Zukunft nicht perfekt vorhersagen können, werden sich Gesetze und Vorschriften im Laufe der Zeit immer wieder entweder als unzureichend oder als kontraproduktiv erweisen.
Ich argumentiere in diesem Buch deshalb, dass sich der Staat nicht länger auf das derzeitigen Bankensystem stützen sollte, sondern echte Kapitalmärkte ermöglichen sollte, in denen nicht Banken das Zentrum bilden, sondern echte Kapitalgeber über ihre Anlagen entscheiden können. Europa verlässt sich zu sehr auf den Staat und die Banken. Es ist Zeit für weniger Staat, weniger Banken und mehr Markt.
1 Joseph E. Stiglitz, Jonathan M. Orszag und Peter R. Orszag. Implications of the New Fannie Mae and Freddie Mac Risk-based Capital Standard. Fannie Mae Papers, Washington D.C., März 2002.
2 Hal Varian, „Hal Varian on how the Web challenges managers” In: The McKinsey Quarterly, 1. 2009. Übersetzung des Autors.
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Verursacht Devisenhandel Krisen?
K ritiker datieren den Beginn des Finanzkapitalismus auf die Freigabe der Wechselkurse in den 70er Jahren. Damit wurde, so der Vorwurf, Spekulation auf Wechselkurse überhaupt erst möglich. In diesem Augenblick habe ein Zeitalter der Deregulierung begonnen, das in der aktuellen Krise endete. Zur Zeit des Bretton Woods-Systems, das auf feste Wechselkurse und Goldkonvertibilität aufbaute, sollen demnach paradiesische Zustände geherrscht haben, bei denen sich Währungen nie änderten, das Wachstum hoch und Krisen unbekannt waren.
Doch die Verfechter dieser Behauptungen ignorieren einfach die wahre Geschichte von permanenter Instabilität, Krisen und häufigen Abwertungen. Denn entgegen allen Behauptungen wurden 1971 nicht primär die Wechselkurse freigegeben. Vielmehr wurde der Goldstandard abgeschafft, der seit dem Abkommen von Bretton Woods im Jahr 1945 einen Dollar als ein Fünfunddreißigstel einer Feinunze Gold definierte. Oder umgekehrt formuliert: Eine Feinunze Gold sollte 35 Dollar kosten. Die Konvertibilität des Dollars war natürlich nicht für jedermann zu haben. Nur Zentralbanken konnten ihre Dollarreserven in Gold wechseln lassen.3
Alle anderen Währungen koppelten sich freiwillig an den Dollar und mussten entweder durch Gold besichert sein, oder durch Dollar, und damit indirekt ebenfalls durch Gold. Der große Nachteil jedes Systems fester Wechselkurse ist die Unmöglichkeit einer autonomen Geldpolitik. Die Geldpolitik der Zentralbanken richtete sich nicht nach den Erfordernissen ihrer jeweiligen Volkswirtschaft, sondern nach der Stabilität des Wechselkurses zum Dollar. Grundsätzlich gilt, dass feste Währungen nur in Wirtschaftsräumen sinnvoll sind, deren Zyklen eng beieinander liegen. Das System von Bretton Woods zwängte die ganze Welt in einen einheitlichen Wirtschaftsraum. Dies führte zwangsweise zu erheblichen Spannungen.
Zur Zeit des Wiederaufbaus bis in die 60er Jahre hinein litt Europa unter akuter Kapitalknappheit. Im Laufe der 60er Jahre änderte sich dies jedoch und die Vereinigten Staaten bauten ein doppeltes Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit auf. Nun litt die Welt nicht mehr an Kapitalknappheit, sondern an einem Überschuss von Dollar. Die Situation wurde als sogenanntes Triffin-Dilemma4 bezeichnet: alle Länder brauchten Dollar, um miteinander handeln zu können. Dollar konnten sie aber nur durch Handelsüberschüsse mit den USA bekommen. Also mussten die Vereinigten Staaten entweder unter einem permanenten Handelsdefizit leiden, oder die Weltwirtschaft wäre zusammengebrochen. Doch ein permanentes Handelsdefizit ist ebenfalls äußerst instabil. Folglich war das gesamte System fester Wechselkurse auf einem instabilen Fundament aufgebaut.
Als der in vielerlei Hinsicht glücklose Präsident Nixon die Konvertibilität des Dollar in Gold aufhob, wurde aus dem Goldstandard ein Dollarstandard. Somit bestand natürlich kein Grund mehr, die anderen Währungen fest an einen Dollar zu koppeln, der nicht mehr durch Gold gesichert ist. Innerhalb weniger Jahre standen fast alle Währungen in flexiblen Wechselkursen zueinander. Das Ende der Goldkonvertibilität war keineswegs ein Akt amerikanischer Deregulierungswut, wie heute manchmal behauptet wird, sondern war eine Flucht aus dem Korsett der festen Wechselkurse.
Es war übrigens auch die Konsequenz einer europäischen Anti-Dollar Politik. Da der Dollar Leitwährung war, hatten Zentralbanken weltweit jahrelang Dollar gesammelt, und zwar weit mehr Dollar, als durch Goldreserven gedeckt waren. Ein durch feste Wechselkurse überbewerteter Dollar verhinderte die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Exporte, so dass der Handel mit Gütern nicht den Rückfluss der angehäuften Dollar erzielen konnte. Daher kam es zu einem Leistungsbilanzdefizit der USA. Das wiederum führte dazu, dass Zentralbanken auf unablässig steigenden Dollarreserven saßen.
Das Problem dabei war, dass diese Dollar durch Gold hätten gedeckt sein sollen. Die Geldmenge konnte nur wachsen, wenn mehr Gold zur Verfügung stand. Das Wirtschaftswachstum war also in gewissem Umfang von der Goldförderung abhängig, und ein großer Teil der weltweiten Goldminen liegt ausgerechnet in der Sowjetunion, die im kalten Krieg nicht gerade an der Förderung des Wachstums klassenfeindlicher Volkswirtschaften interessiert war.
Die einzige Lösung während des starken Wachstums der 50er und 60er Jahre war also die Ausgabe von mehr Geld, als durch Gold gedeckt werden konnte. Da der Dollar die Ankerwährung des Systems war, bedeutete dies, dass mehr Dollar existieren mussten, als durch Gold gedeckt waren. Die Schere zwischen Dollar und Gold ging so weit auseinander, dass 1970 nur noch 55 Prozent der von ausländischen Zentralbanken angehäuften Dollarreserven durch Gold gedeckt werden konnten, ein Jahr später aufgrund der starken Goldabflüsse aus den USA sogar nur noch 22 Prozent.
Die bei weitem größte Schwäche war jedoch nicht der Goldstandard selbst, sondern die grundsätzlichen Fehlkonstruktion eines jeden Systems fester Wechselkurse. Sie funktionieren nur, wenn all Staaten die exakt gleiche Inflationsrate haben.
Bei der Planung des Systems von Bretton Woods war diese Voraussetzung einfach als ein immerwährender Zustand angenommen worden. In der Realität gingen die Inflationsraten gegen Ende der 60er Jahre in der Welt aber immer weiter auseinander. Steigende Inflationsraten waren übrigens politisch durchaus gewollt, sowohl in den USA als auch in Europa.
In den 60er Jahren setzte sich die Idee der sogenannten Phillipskurve durch.5 Diese Theorie besagt, dass man die Arbeitslosigkeit senken kann, wenn man ein bisschen Inflation schafft. Eine solche schleichende Inflation wird übrigens auch heute wieder von Paul Krugman und anderen Keynesianern gefordert. Durch die Theorie der Phillipskurve wurde Inflation salonfähig, zumindest in einigen Ländern. Die Bundesbank war eine der wenigen Ausnahmen und hielt an ihrer antiinflationären Geldpolitik fest. Sie sollte Recht behalten, denn in den 70er Jahren ging die Welt dann durch eine Ära der Stagflation – also Inflation in Kombination mit wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Das sollte in der Theorie der Phillipskurve eigentlich nicht vorkommen.
Nach diesen Erfahrungen glauben heute nur noch wenige Unverbesserliche an die Phillipskurve.
Jahr | Land | Aufwertung (+) oder Abwertung (-) in Prozent |
1961 | Deutschland | +5,0 |
Niederlande | +5,0 | |
1962 | Kanada | -11,8 |
1967 | Großbritannien | -14,3 |
Dänemark | -7,9 | |
1969 | Frankreich | -11,4 |
Deutschland | +9,3 | |
1971 | Österreich | +5,05 |
Schweiz | +7,07 |
Tabelle 1: Währungskrisen in führenden Industrienationen in der Zeit fester Wechselkurse im Jahrzehnt von 1960 bis 1971; Quelle: Samuel Katz, Devaluation-Bias and the Bretton Woods