Reiner Hänsch

100.000 Tacken


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und sind dann irgendwann auch fast durch. Die Bücherwände stehen noch und Gott will schon die Speisekarte zuklappen, als er dann noch fragt: „Gibt es noch irgendwas zum baulichen Zustand der Immobilie zu sagen, Herr Pollmann? Alles in Ordnung damit?“

      Herr Pollmann macht eine spitze Schnute, stößt ein wenig Luft aus und sagt dann recht zögerlich: „Naja, wissen Se, dat issene alte Kasten. 1896 jebaut … da jeht schomma wat kaputt, aböörr …“

      Wir nicken voller Verständnis und sind Herrn Pollmann geradezu dankbar für so viel Offenheit. Klar, dass da mal was kaputtgeht. 1896. Leute! Natürlich kann da mal was passieren.

      „Aber es geht alles, oder?“, fragt Dumbledore streng über seine Brille hinweg.

      „Jo“, sagt Herr Pollmann und nickt dazu, „et jeht allet. Heizung löppt, dat Dach is‘ noch discht … tjooo … naja, die Rohre sin natürlisch alt …“

      Willi Dunkeloh schwitzt schon wieder. Was hat er denn nur? Ist doch klar: 1896!

      „Gut“, sagt Dumbledore und räuspert sich ein wenig nervös, er wird auch etwas unruhig und will wohl ein Ende haben. „Dann nehmen wir noch auf, dass die Immobilie in einem altersentsprechenden Zustand ist. Gekauft wie gesehen. Alle einverstanden?“

      Pollmann nickt zufrieden und wir sowieso. Einverstanden. Natürlich. Alles klar.

      Na gut. Dann also: griechische Speisekarte zuklappen! Ich weiß jetzt, was ich nehme.

       Baklava, Joghurt mit Honig, Ouzo? Die Rechnung, kali nichta!

       Gute Nacht!

      So, das war’s also für den guten alten Dumbledore. Seine letzte große Rolle. Ich rechne mal kurz nach, was diese halbstündige Veranstaltung dem weisen, alten Mann bei einskommafünf Prozent von der Kaufsumme eingebracht hat und komme auf circa zweitausendsiebenhundert Euro. Nicht schlecht. Da hat Richard Harris‘ die Gage für seine Auftritte in den Harry-Potter-Filmen weitaus schwerer verdient.

      Herr Pollmann übergibt uns sichtlich erleichtert eine dicke Mappe mit viel, viel Papier drin.

      „Dat sin de Mietverträge, de Pläne, Versischerungen und all dä janze Kram, dä dazujehört. Wärden Se jlücklisch damit.“ Herr Pollmann kommt aus dem Rheinland. Mönschenjladbach. Hat nach Arnsberg hin geheiratet.

      „Danke“, sage ich und nehme die schwere Mappe entgegen. „Warum haben Sie denn jetzt eigentlich Ihr schönes Haus verkauft, Herr Pollmann?“, frage ich ihn dann noch ganz munter.

      Er sieht mir daraufhin tief in die Augen und sagt: „Wissen Se wat? Isch bin zu alt für so’n Scheiß.“

      Ah so. Ja klar. Und dann nickt er uns noch mal zu und ich meine auch, dass er fast entschuldigend seine Schultern um ein paar Millimeter hebt … und dann haut er ab.

      Nach ausgiebigem Händeschütteln mit allen anderen Beteiligten verlassen auch wir dann sehr erleichtert und trotzdem auch irgendwie bedrückt die finstere Halbwelt von Dumbledore und seinen Gesellen, lassen den Geruch nach alten Büchern und schweren Schicksalen hinter uns und schleppen uns über knarzende, dunkle Eichendielen schwer erledigt, aber auch leicht euphorisch und doch irgendwie von dunklen, ungewissen Ahnungen durchzogen nach draußen.

      Puuh. Geschafft.

      Willi Dunkeloh übergibt mir dann auch noch den kiloschweren Schlüsselbund und ist dann genauso schnell weg wie Herr Pollmann. Der Kasten ist verkauft, seine Mission beendet.

      Er nickt noch mal nachdenklich und sagt dann ernst und endgültig, fast, wie man auf einer Beerdigung zu den Angehörigen „Mein Beileid“ sagt: „Alles Gute für euch, woll!“, so als ob wir das wirklich gebrauchen könnten, und geht.

      „Ihr könnt mich gärne anruf’n, wenner noch Frag’n habbt, woll!“, ruft er uns noch zu, als er schon fast nicht mehr zu sehen ist und sich in gewisser Sicherheit wähnt.

      Ja, ja, alles klar. Und dann stehen wir da.

      Wir haben es also tatsächlich gemacht. Wir haben ein riesiges altes Haus gekauft und blicken einer sorgenfreien Zukunft entgegen.

      Ja?

      Na also, ich denke doch. So soll es jedenfalls sein.

      „Nix verstanden“, sage ich als Erstes zu Steffi, ohne dass sie mich danach fragt.

      „Ich auch nicht“, sagt sie ganz bescheiden und kleinlaut, wie ich sie gar nicht kenne.

      Aber das mit dem „nix verstehen“ scheint ab jetzt ganz normal für uns zu werden in dieser Schattenwelt, in der wir uns bewegen. Ist das einfach alles zu viel für uns? Sieht so aus.

      Ich weiß auch gar nicht, wie wir bisher so durch unser ärmliches Leben gestolpert sind, wo wir doch von solch grauenhaften Gesetzen und finsteren Regeln so überhaupt nichts verstehen. Sind wir möglicherweise die einzigen, die nichts kapieren? Wie konnten wir nur bis hier und heute überleben, wenn man Wortgebilde wie Auflassungsvormerkung oder Zwangsvollstreckungsunterwerfung noch nie gehört hat und auch keine Ahnung hat, wie und wozu man sie benutzen könnte.

      Es liegt sicher daran, dass manche Worte einfach für manche Köpfe gar nicht gemacht sind. Sie prallen einfach ab, wie an einem unüberwindlichen Schutzschirm. Der Körper schützt sich, weil es sonst nur Ärger gibt innendrin.

      Die bösen Worte vertragen sich einfach nicht mit den anderen, den normalen. Wie soll ein Wort wie zum Beispiel Ölwechsel, Elternabend oder Rasenmähen mit einem Wort wie Annuitätendarlehen oder Notaranderkonto klarkommen? Das funktioniert doch nie.

      Und das soll es auch nicht. Da sind sich doch die Notare, die Anwälte, die Ärzte, die Steuerberater, Handyverkäufer und die Gebrauchtwagenverkäufer einig. Man ist da verbal lieber unter sich und bastelt sich seine eigene Fremdsprache. Zu viele Mitwisser können da nur schaden. Der Kunde braucht ja schließlich nur an der richtigen Stelle zu unterschreiben. Und das haben wir ja auch gemacht.

      Und dabei verstehen wir sie ja, diese Sprache. Es ist ja unsere. Die Worte gehen rein, weil das Ohr ja gut funktioniert, aber sie bleiben nicht lange drin. Wenn unser Steuerberater, Herr Grenningloh, mir zum Beispiel erklärt, dass es durchaus steuerunschädlich und für mein sozial akzeptiertes Weiterbestehen in dieser Gesellschaft lebenswichtig ist, alle Quittungen und Rechnungen aufzubewahren und darauf zu achten, dass die Mehrwertsteuer ausgewiesen ist und die Bewirtungsbelege auch ausgefüllt und unterschrieben sein müssen, dann verstehe ich ihn natürlich, aber ich begreife es anscheinend nicht, weil ich es dann doch nicht mache.

      Ich kann mich dann natürlich zwingen, seine Worte und Ermahnungen eine Weile bei mir zu behalten, wie ein ekliges fettes, kaltes Stück Fleisch, ohne zu würgen, aber spätestens nach ein paar Tagen, haben mich die Worte dann doch wieder auf ganz natürlichem Wege verlassen.

      Kann man nix machen.

      „Na, die werden uns schon nicht über’s Ohr hauen, Steffi. Können die ja nicht machen. Guck mal, der Dumbledore ist ja schließlich ein Notar.“ Ich betone das Wort besonders erhebend, wie ich meine. „Da wird schon alles korrekt sein.“

      Steffi sieht mich an und kann auch schon wieder lächeln. Na bitte.

      „Ja klar, denke ich auch“, sagt sie dann und so beruhigen wir uns ganz wunderbar gegenseitig.

      „Komm, wir gehen zur Feier des Tages noch zu Gaetano!“

      Ja, das ist schön. Lecker essen bei Gaetano und Giovanna am Marktplatz in Leckede-Hintersten. Sapori Italiani heißt sein wunderbarer kleiner Laden. Das wird ein Fest. Hoffentlich hat er gut geheizt, weil es wirklich verdammt kalt geworden ist bei uns im Sauerland.

      ***

      „Aaah, kommte reine, Alessandro, Sstääffii!“, singt Gaetano durch seinen kleinen Feinkost-Laden mit Restaurantabteilung im vorderen Bereich und breitet freudig beide Arme aus. Es ist Mittag und recht voll. Alle Tische sind besetzt, weil Gaetano wirklich die beste Pasta von Leckede, nein, überhaupt macht. Außerdem verkauft er leckere Schinken, eine