Reiner Hänsch

100.000 Tacken


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dankbar meinen angefangenen Satz. „Auch genauso schön geschnitt’n, wie die Wohnung vonne Göktürks. Is’ ja genau drübber, woll.“

      „Ja, ja.“

      Da öffnet sich die Tür der Wohnung gegenüber, die im unteren Bereich ein paar schwarze Brandstellen zu haben scheint, und ein weiß geripptes Unterhemd, über einen passablen Bauch gespannt, zeigt sich. Der dazugehörige kurzrasierte Kopf mit ebenso kurzem Schnauzbart ist jetzt auch da und bollert: „Wat mach’n Se da? Da is‘ keiner!“

      Aus dem Hintergrund erklingt mit reichlich Volumen schmissige Militärmusik. Der Herr ist also ein Musikfreund, wie schön.

      „Ah, Härr Horstkötter!“, dreht Herr Dunkeloh sich zu der Erscheinung um, und es sieht nicht so aus, als ob er sich über Herrn Horstkötters Anwesenheit wirklich freut. Er wischt sich nur einmal ganz kurz ein paar weitere Schweißtropfen von der Stirn und stöhnt. Er scheint es wirklich schwer zu haben heute, der Arme, obwohl es gar nicht warm ist.

      „Ich bin hier mitte neue Besitzer, Härr Horstkötter. Sie wiss’n ja, dat Haus wird verkauft, woll …“, erklärt er vage in Richtung schwitzendes Feinripphemd.

      Herr Horstkötter sieht uns abschätzend an und es ist offensichtlich, dass er uns nicht zuzutrauen scheint, als neue Besitzer über dieses Haus und besonders über ihn zu herrschen.

      „Guten Tag, Herr Horstkötter!“, grüßen wir freundlich und sagen: „Knippschild!“

      „Tach!“

      Na gut, ich weiß natürlich auch nicht, wie man so ein Mehrfamilienhaus denn nun eigentlich besitzen soll und was es bedeutet, Herr in einem dermaßen großen, von vielen fremden und fremdländischen Leuten bewohnten Haus zu sein. Wie macht Günther Jauch das eigentlich? Wie kann man diese Menschen denn nun wirklich beherrschen und führen? Und muss man das eigentlich, oder kann man sie auch einfach so sich selbst überlassen? Ich habe da keinerlei Erfahrungen. Das muss ich zugeben.

      „Hier muss wat passier’n!“, sagt Herr Horstkötter dann ohne Übergang und meint anscheinend, dass das schon reicht. „Hör’n Se sich dat ma an!“, sagt er und zeigt nach oben. „Die arabisch’n Terrorist’n, ja?“

      Damit meint er wohl den Lärm aus der Etage über uns.

      „Und was muss passieren?“, frage ich ihn, weil ich wirklich nicht genau weiß, was er meint. Dinge, die jetzt von Grund auf geändert werden müssten, haben wir bisher doch noch gar nicht entdeckt. Und, nun ja, aus einer der oberen Wohnungen kommt eine ganze Menge Lärm. Das stört vielleicht ein wenig, ist aber sicher nur sporadisch. Aber sonst?

      „Un der Schinese macht au nur Mist da ob’n!“

      „Ja, wie …?“, fragt Herr Dunkeloh.

      „Der kocht Hunde da ob’n!“

      „Härr Horstkötter, ganz ob’n, dat is‘ Herr Nguyen, der kommt aus Vietnam und kocht ganz sicher keine Hunde, woll!“

      „Ja, dann isses eben so’n Vietkong. Mir doch egal. Aber wenn der jeden Tach hier Hunde kocht …!

      „Der KOCHT keine Hunde, Härr Horstkötter!“

      „Woher woll’n Se dat denn wissen? Ich hör se doch immer bellen. Vorher.“

      Herr Dunkeloh wischt sich schon wieder Schweiß von der Stirn, lächelt uns etwas bröselig zu und versucht, mit einem angedeuteten Kopfschütteln Herrn Horstkötters Anschuldigungen zu widerlegen.

      „Der Neger war auch dabei!“, fährt Horstkötter ungerührt fort und unterdrückt sehr nachlässig einen Rülpser.

      „Dat sacht man nich, Herr Horstkötter!“

      „Aber wenn’s doch stimmt. Ich hab ’ne ja selbs gesehn, den schwatt’n Kerl, wie er zu dem Vietkong rübber is‘.“

      „Neger sacht man nich“, wiederholt Dunkeloh unbeirrt.

      „Aber er is‘ doch einer.“

      Dunkeloh schaut kurz zu uns rüber und wir verstehen schon. Er will wissen, ob wir neben den Einblicken in Herrn Horstkötters Ansichten über seine ausländischen Mitbewohner auch noch Einblicke in seine Wohnung haben wollen.

      Nee, nee, schüttele ich unmerklich den Kopf und Steffi ist sogar schon neugierig und sicher auch irritiert von Herrn Horstkötters Unterhemd und der schmissigen Marschmusik eine Treppe höher dem anderen Lärm entgegengegangen.

      „Auf Wiedersehn, Härr Horstkötter! Schön Tach noch, woll!“, sagt Herr Dunkeloh erleichtert und wir lassen den Feinrippmann mit seinen antischinesischen, antiarabischen, anti-wahrscheinlich-alles-Ansichten einfach in seiner Wohnungstür stehen. Einer ist sicher immer dabei in so einem großen Haus, der einem nicht auf den ersten Blick so richtig sympathisch ist.

      „Da muss wat passier’n!“, grölt Horstkötter uns noch mal hinterher.

      Oh, ein Fahrrad kommt uns auf der Treppe entgegen. Und weil die Treppe selbst für so ein Sportrad doch ein wenig steil ist, wird es getragen.

      „Ach, Härr Nguyen!“, sagt Herr Dunkeloh und ich meine, er verdreht unmerklich die Augen, „darf ich Ihn’ de neuen Hausbesitzer vorstell’n? Dat sin Härr und Frau Knippschild.“

      Na, jetzt sind wir also schon die neuen Hausbesitzer … aber der Gedanke gefällt mir.

      Herr Nguyen, der chinesische Vietkong und außerdem ein nett aussehender, sympathischer junger Mann in einem hautengen schwarzen Radrennfahrer-Plastikdress, lächelt uns kurz an und sagt sehr freundlich: „Guten Tag, Hell un Flau Nipsi! Ick leider kein Sseit jetz, solly! Muss Hunden hole!“, und spurtet weiter die Treppe runter. Das Schutzblech des Rades hinterlässt in der Raufaser der Treppenhauswand eine sehr unschöne Spur und Herr Dunkeloh verzieht schmerzhaft sein Gesicht und schließt die Augen.

      „Kleinigkeit, Herr Dunkeloh“, sage ich nur, um den armen Mann zu beruhigen und wieder aufzurichten. Ist doch nicht so schlimm. Schnell gemacht. Ein gutes Handwerkerteam, etwas grüne Farbe … Wir gehen weiter. „Aber … netter junger Mann.“

      „Ja, ja, sähr nett, sähr freundlich, woll.“

      Und „Nipsi“ hat uns seit dem Urlaub letztes Jahr in Thailand schon lange keiner mehr genannt.

      Aus der nächsten Wohnung quillt uns dann der schon von unten vernommene Soundtrack einer größeren Festivität oder Versammlung entgegen. Es muss sich um eine riesige Veranstaltung handeln und wir wundern uns, davon nicht im Fernsehen erfahren zu haben. Es scheinen sich Hunderte von Menschen hinter dieser Tür versammelt zu haben, um etwas ganz Besonderes zu feiern. Es klingt märchenhaft und exotisch zugleich. Wie das bunte Treiben auf einem arabischen Basar, auf dem gerade Kamele zum Kauf angeboten werden, die aber nicht verkauft werden wollen, lauthals rumröhren und dafür von den Kamelbesitzern aufs Übelste beschimpft werden.

      Wir hören auch, wie ein Schlangenbeschwörer mit einer schiefen Flöte zu stampfenden Diskorhythmen seine gefährlichen Tiere vorführt, wie offensichtlich eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen einigen Marktbesuchern ausgetragen wird und vielleicht sogar auch noch eine kleine Hinrichtung stattfindet. Für unsere Sauerländer Ohren klingt es einfach fantastisch. Eine neue, aufregende Welt.

      Na, da haben wir ja doch schon so einige unserer lieben Mieter kennengelernt. Mit so viel Glück hatten wir ja gar nicht gerechnet. Sind ja doch nicht alle unterwegs, wie Herr Dunkeloh zuerst vermutet hatte.

      Herr Dunkeloh holt ein neues Taschentuch aus seinem grauen Anzug, um der Schweißströme Herr zu werden, die ihm von der Stirn direkt in den etwas speckigen Kragen rinnen.

      „Fadlallah“, würgt Herr Dunkeloh trocken heraus und scheint am Ende seiner Kräfte.

      „Wie bitte?“, fragt Steffi, denn sie hat es wohl nicht verstanden. Nicht nur wegen des Lärms. Ich auch nicht. Vielleicht fantasiert Herr Dunkeloh auch schon, der Arme.

      „Härr Fadlallah un seine Frau … und wahrscheinlich sein ganzer