Franziska Steinhauer

Zuhause wartet schon dein Henker


Скачать книгу

Bist du sicher, dass wir von unserem Pfarrer reden? Den bringt doch keiner um!«

      Ronald Halmquist packte gerade Kleidung in große Pappkisten und trug sie vor die Haustür, als die beiden Ermittler durch das Törchen kamen.

      »Kriminalpolizei Göteborg, guten Abend!« Beide präsentierten ihre Ausweise.

      »Und? Ihr kommt nicht, weil ihr mich mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt habt. Also, was ist es diesmal, das ihr mir anhängen wollt?«, fragte er und baute sich aggressiv vor den beiden auf.

      »Arne Mommsen wurde heute Nachmittag ermordet. Er hat dich doch aufgesucht, oder? Du stehst auf seiner Liste.«

      »Und deshalb soll ich jetzt ein Mörder sein? Es ist nicht zu fassen! Das halbe Dorf steht auf der Liste!«

      »Wir versuchen nur, den Nachmittag des Mordopfers zu rekonstruieren«, begann Ole in besänftigendem Ton, zog die Liste hervor und zeigte sie Halmquist. »Siehst du, hier stehen nur Namen, aber keine Zeiten. Wir besuchen jeden, damit wir uns ein Bild von Arnes Nachmittag machen können. Niemand verdächtigt dich.«

      Der Mann schrumpfte ein wenig, sank wieder in seine normale Körperhaltung zurück.

      »Deshalb die vielen fremden Wagen. Und die Streife. Ich dachte, vielleicht wurde bei ihm eingebrochen. Aber ermordet … Welcher Einbrecher tötet schon?«

      »Es war kein Einbrecher.«

      Es dauerte eine Weile, bis Ronald diese neue Information verarbeitet hatte.

      Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Das kann doch nicht wahr sein!«

      »Wann war er bei dir?«, wollte Britta wissen und zog das Heft wieder hervor.

      »So genau kann ich das nicht sagen. Tut mir leid. Kommt erstmal rein.«

      Er führte die Besucher in ein chaotisches Wohnzimmer. »Ich räume aus. Meine Frau ist abgehauen. Knall auf Fall. Mit ihrem Fitnesstrainer. Ich habe fast einen ganzen Monat darauf gewartet, dass sie zurückkommt – aber nun ist gut. Ich werfe all ihren Kram weg.« Der Ton war eine ungute Mischung aus Wut und Trauer, Einsamkeit und Verzweiflung. Britta, die solche Abschiede zur Genüge kannte, fühlte mit ihm.

      »Jünger als ich, durchtrainiert. Wie soll ich da mithalten. Ich sitze den ganzen Tag im Büro, beeile mich am Abend, um nach Hause zu kommen und Zeit mit meiner Frau genießen zu können. Wann soll ich also ins Sportstudio gehen? Und dann brennt sie ausgerechnet mit so einem Kraftmeier und Bizepszüchter durch!« Er holte tief Luft, atmete hörbar aus. »Aber hier geht es nicht um mich. Arne wurde ermordet. Ein Mörder in Hummelgaard! Wisst ihr, wie unwahrscheinlich das ist? Bei uns wird nicht einmal ein Fahrrad geklaut – und wenn, dann von jemandem, der auf der Durchreise ist! Bei uns ist nichts los. Und dann wird ausgerechnet der Pfarrer … Na, so kommt unser Ort mal in die Presse, was?«

      »Was für ein Mensch war Arne Mommsen?«

      »Ein netter. Zupackend, zuverlässig. Ein guter Zuhörer. So einer, der, wenn er wieder geht, eine Art bessere Luft zurücklässt. Du verstehst schon: Alles klärt sich, du kannst wieder durchatmen.«

      »Und wann hat er dir zum Durchatmen verholfen?«, hakte Ole nach.

      »Warte mal … Jetzt ist es schon kurz vor acht. Gegen drei wahrscheinlich. Wir haben nur darüber gesprochen, wo ich anrufen kann, damit Karins Sachen abgeholt werden. Eine Organisation, die die Kleidung nicht nach Afrika verscherbelt, sondern hier bei uns unter den Bedürftigen verteilt. Danach ist er weiter. Er hat gesagt, er habe noch einige Termine. Dann war er weg.«

      »Er war nur ein paar Minuten hier, ja?«

      »Ja. Er schrieb die Telefonnummer auf einen Zettel, riet mir, alles in stabile Pappkisten zu verpacken und ist losgezogen.«

      Ronald kramte neben dem Telefon. »Hier! Das ist die Nummer, die er notiert hat. Die Dame dort war sehr freundlich. Morgen holen sie alles ab, was vor der Haustür steht, ich muss nicht zuhause sein. Gut so. Mein Chef sieht es nicht gern, wenn man aus solchen Gründen fehlt. Er meint, Krankheiten kann man nicht immer vermeiden und für alles andere gibt es Nachbarn.«

      »Wer könnte Arne so sehr gehasst haben, dass er ihn umbringen würde?«, fragte Ole.

      »Das weiß ich nicht. Ich finde, er war ein patenter Pfarrer. Keiner ohne Fehl und Tadel – das machte ihn mir sympathisch.«

      Ole nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Aber irgendjemand hat das völlig anders gesehen – und ihn ermordet.«

      Ronalds Miene wurde nachdenklich.

      »Wie ist er umgebracht worden?«, erkundigte er sich dann mit belegter Stimme.

      »Die genaue Todesursache steht noch nicht fest.«

      »Oh, wie im Fernsehen, ja? Erst die Obduktion?« Der höhnische Unterton war nicht zu überhören.

      »Ja. Möglicherweise starb er an einer Stichverletzung«, blieb Ole bei dürrer Information.

      »Das ist ja fast ein bisschen schade. Wäre es eine ungewöhnliche Waffe, dann würde das den Täterkreis einschränken. Und eine Stichverletzung könnte ihm sicher auch eine Frau beigebracht haben. Das bedeutet für euch, dass jeder verdächtig ist, oder?« Ronalds Wangen hatten sich vor Aufregung gerötet. »Ist ungünstig für eure Ermittlungen, oder?« Nach einer Pause setzte er hinzu. »Ehrlich, wer in Hummelgaard läuft schon am helllichten Tag mit einer Stichwaffe in der Hand durch die Straßen, um den Pfarrer umzubringen? Ich sag’s euch: Keiner!«

      Ole sah sich in dem unordentlichen Wohnraum um. Studierte oberflächlich die Titel der Bücher im Regal. »Aha, ich sehe, du bist ein echter Krimifan.«

      »Und jetzt habe ich einen Mord fast vor der Haustür! Spannende Sache. Also – ich hätte wohl eher meine Frau oder ihren Liebhaber umgebracht. Denen geht es aber gut – wenn du willst, gebe ich dir die Telefonnummer des Studios. Arne wäre ganz sicher nicht mein Opfer gewesen.«

      Als die beiden sich auf den Rückweg zu ihrem Auto machten, legte sich plötzlich eine Hand auf Oles Arm.

      »Ihr seid die Polizei?«, flüsterte die dunkle Gestalt. In der hartnäckigen Finsternis nach dem Unwetter konnte Ole nicht einmal erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.

      »Ja. Wir ermitteln im Mordfall Mommsen.«

      »Der Kerl hat es nicht anders verdient.« Ole spürte, wie knochige Finger seinen Arm schraubstockartig zusammenpressten. »Er war eine Plage. Eine Bürde. Es ist gut, dass er nun tot ist. Den Mörder sollte man feiern, nicht jagen.«

      »Den Mörder feiern? Wer ist es denn?«

      »Hahaha, das möchtest du nun zu gern wissen, nicht wahr? Ich kann es dir nicht sagen. Aber ich weiß, dass es gut ist, wie es jetzt ist. Könnte sein, dass noch mehr Leute ins Gras beißen müssen. Denkt an mich! Es gibt einige hier, die es verdient hätten zu sterben!«, zischte die raue Stimme eindringlich.

      Als es Ole endlich gelungen war, mit der freien Hand die Taschenlampe aus dem Gürtel zu ziehen, glitten die Finger von seinem Ärmel ab und die Gestalt war so schnell verschwunden, dass es ihm nicht mehr gelingen wollte, sie mit dem Lichtkegel einzufangen.

      »Shit!«, fluchte er.

      »Was war das denn?«, fragte Britta beunruhigt. »Eine Warnung an uns?«

      Oles Handy dudelte einen nervigen, polyphonen Klingelton.

      Britta verdrehte die Augen.

      »Ja?«

      Ole lauschte, nickte. »Okay. Dann brechen wir hier ab und kommen ins Büro.«

      Zu seiner Kollegin gewandt meinte er: »Sven und Lars wollen erstmal alles zusammentragen. Eine Strategie festlegen. Also, auf ins Büro zurück nach Göteborg!«

      Eine Stunde später trafen alle fünf im Besprechungsraum zusammen.

      »So – hier sind die Bilder vom Tatort.« Bernt pinnte die Fotos an die Stellwand. »Sieht ja sehr dramatisch aus. Eine echte Kreuzigung.«