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Verlorene Zeiten?


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– dann kann man in Wirklichkeit diese Verantwortung irgendwann nicht mehr tragen. Das erlebte ich in hohem Maße bei Gorbatschow, das war bei Kohl zu spüren, das ist bei Honecker zu spüren gewesen: Die sitzen auf ihren Positionen und werden Verkünder. Ich selbst bin immer davon ausgegangen: Egal welche Verantwortung du hast – du musst sie ausfüllen, du musst den Ehrgeiz aufbringen, den diese Tätigkeit dir abfordert. Zum Beispiel hatte ich ja ab ungefähr 1985 jedes Jahr die Ehre, mit einem Rechenschaftsbericht beim Politbüro des ZK der SED zu erscheinen. Da hatte ich immer nur einen Ehrgeiz: Die können untersuchen so viel sie wollen; aber die können nicht nachweisen, dass du unfähig bist, deine Arbeit zu machen! Rausschmeißen wegen Unfähigkeit können die dich nicht! Mit dem Ehrgeiz habe ich also auch dagegenhalten können, wenn ich die Politik der Parteiführung kritisiert habe. Das war für mich der Trieb und Ehrgeiz.

      Im Hinblick auf die Ereignisse von 1989 betonten Sie auch den patriotischen Aspekt.

      Ohne eine solche Position hätte ich nicht sagen können: „Deutschland einig Vaterland“. Denn das war ja die Überschrift, unter der ich am 1. Februar 1990 den Vorschlag einer Drei-Stufen-Entwicklung zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten vorlegte. 15 Aber ich kann auch zurückgreifen, das habe ich Ihnen ja eben schon erzählt: Wenn die andern im LEW damals gesagt haben, ich sei Russe, dann hab’ ich immer entschieden entgegengehalten: „Ich bin wie du ein Deutscher.“ Meine Auffassung war: Wenn du diese Last, die mit der deutschen Geschichte, mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist, nicht als Deutscher mittragen willst, wirst du dich immer rausstehlen wollen. Du hast dich an der Wiedergutmachung beteiligt und bist nicht schlechthin nur Kriegsgefangener gewesen. Und die Deutschen haben die verfluchte Pflicht, all’ das auch für sich selber anzunehmen. Als dann aber 1989 die Losung ,Wir sind das Volk‘ in ,Wir sind ein Volk‘ überging, da wollte ich nicht dieses Volk, wovon die draußen geschrien haben. Da wollte ich, dass wir als Deutsche mit Souveränität aufeinander zugehen können. Für mich gab es zwei souveräne Staaten. Und nur, wenn die sich gegenseitig akzeptieren und achten – und zwar auch die Leistungen der Menschen in beiden Ländern –, nur dann wird es funktionieren. Das habe ich ja auch bei dieser historischen Pressekonferenz am 13. Februar 1990 in Bonn gesagt: „Lassen wir uns unseren aufrechten Gang als Bürger der DDR nicht nehmen!“ Wenn man sein Selbstbewusstsein nicht behält, muss man alles akzeptieren, was der andere sagt.

      Es gibt viele Menschen, die froh sind, dass es die DDR nicht mehr gibt.

      Ich erlebe zunächst umgekehrt viel mehr Leute, die mich fragen: „Haben Sie das so gewollt, wie es jetzt ist?“ Die betonen häufig: „Ich war nicht in der SED, Herr Modrow, aber so, wie es jetzt ist, so kann’s doch nicht gut sein. Ich bin nun die Oma und muss für meine Enkel mitsorgen, das war doch in der DDR nicht so.“ Das sind Dinge, die ganz nah am Alltag sind. Da ist nach einem gelebten Leben in der DDR einfach eine Unsicherheit dem gegenüber, womit man jetzt konfrontiert ist. Es gibt auch Menschen, die kommen und sagen: „Herr Modrow, noch mal vielen Dank, mit dem ,Modrow-Gesetz‘ 16 konnte ich mein Haus behalten. Ohne Ihr Gesetz wäre ich aus meinem Haus schon lange verjagt. Über manches andere sind wir nicht in Übereinstimmung – aber das habe ich Ihnen zu verdanken, und das sollen Sie auch wissen.“

      Aber de facto gibt es die DDR nicht mehr. War Ihr Einsatz für ein anderes Deutschland also umsonst?

      Als ich die ersten Male im Deutschen Bundestag auftrat, bin ich angegriffen worden aus allen Himmelsrichtungen. Da ist mir zunächst erst mal eines wieder beigebracht worden: Klassenkampf muss es doch irgendwie geben! Denn wenn da ein Graf Lambsdorff mich angreift, weil ich dafür Sorge getragen habe, dass die Bodenreform gültig bleibt, 17 kann ich mir nur sagen: „Ja, der hatte im Osten mit seinem Geschlecht irgendwo ein großes Gut; und wir waren zweifellos eine Familie, die auf dem Gutshof hätte arbeiten müssen.“ – Also musst du dich wehren. Du musst dafür argumentieren, dass die Bodenreform richtig war. Das ist immer wieder Geschichte, die mich begleitet. Geschichte, an der ich teilhabe. Geschichte, auf die ich eine andere Sicht habe. Ich weiß auch, wie viele Fragen am Ende in solchen Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen strittig bleiben.

      Es gab in der DDR nicht nur soziale Gerechtigkeit. Es gab auch den jungen Punk, der ins Gefängnis gekommen ist oder den Bürgerrechtler, der überwacht wurde. Was sagen Sie denen im Nachhinein?

      Da kann ich nichts anderes sagen, als dass die Existenz solcher Schicksale in der DDR nichts ist, was man verteidigen kann. Zugleich kann ich nicht sagen, dass es so etwas nur in der DDR gab. Wir selbst haben früher gedacht, diese Dinge laufen bei uns nicht so ab; und wenn, dann haben wir sie entschuldigt, verteidigt und beschönigt. Das sollte man heute nicht mehr tun. Gleichzeitig sollte man daraus aber nicht ableiten, dass der andere Teil der Welt so etwas nicht gemacht hat und nicht immer noch macht! Das passt nicht zusammen.

      Gibt es etwas, was Sie an der Bundesrepublik schätzen?

      Es wäre falsch zu sagen, dass man an der Bundesrepublik nichts zu schätzen hat. Das wäre völlig irre. Ob die Entwicklungen nach der ,Wende‘ dann wiederum die konstruktivsten waren, da beginnen dann meine Zweifel. Das sind aber Zweifel, die mit der Politik von heute zu tun haben – und die möchte ich bitteschön auch anmelden dürfen!

      Das Gespräch führte Alexander Thomas

       1 Heute Police, Polen.

       2 Die Schriftsteller Günter Grass (*1927) und Erwin Strittmatter (1912-1994) verschwiegen beide ihre Verwicklungen mit der SS. Strittmatter diente seit 1941 bei einer Einheit der Ordnungspolizei, die dann der SS unterstellt wurde; das Regiment war an Kriegsverbrechen in Griechenland beteiligt. In der DDR gehörte Strittmatter mit zahlreichen Romanen zu den meist gelesenen Autoren.

       3 Die KPdSU richtete in Zusammenarbeit mit den Emigranten der Kommunistischen Internationale während des Zweiten Weltkriegs Schulen ein, um kommunistisch gesinnte Nachwuchspolitiker für den europäischen Wiederaufbau auszubilden.

       4 Den beiden deutschen Staaten war die Aufstellung eigener Streitkräfte nach 1945 von Seiten der Siegermächte nicht erlaubt. Als Vorläufer der NVA, die 1956 gegründet wurde, wurden in der DDR seit 1948 bewaffnete Einheiten der Volkspolizei in Kasernen untergebracht. 1952 entstand daraus die Kasernierte Volkspolizei.

       5 Anna Seghers (1900-1983) und Willi Bredel (1901-1964) waren Vertreter der antifaschistischen bzw. kommunistischen Exilliteratur. Der Roman ,Wie der Stahl gehärtet wurde‘ von Nikolai A.Ostrowski (1904-1936) erzählt teilweise autobiographisch vom Kampf eines russischen Revolutionärs. Er erschien zuerst 1932/34 und gehörte in der DDR zur Pflichtlektüre in der Schule.

       6 Robert Naumann (1900-1978), ging als Werkzeugmacher und Parteifunktionär 1920 in die Sowjetunion. Er studierte dort Politische Ökonomie; 1930-43 arbeitete er im Sekretariat der Komintern, 1943-1950 als Lehrer und stellvertretender Leiter der Antifa-Schulen; 1950 übernahm er eine Professur für Politische Ökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde Prorektor der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften. Er war Mitglied des ZK der SED.

       7 Lokomotivbau Elektrotechnische Werke.

       8 Komsomol - die Jugendorganisation der KPdSU und Pendant zur FDJ.

       9 Lawrenti P. Beria (1901-1953), als sowjetischer Politiker lange Zeit berüchtigter Chef des Geheimdienstes NKWD. Beria wurde nach Stalins Tod 1953 erschossen.

       10 Erich Honecker (1912-1994), späterer Generalsekretär der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR, war 1946-1955 Vorsitzender der FDJ.

       11 Willy Stoph (1914-1999), zuletzt Vorsitzender des Ministerrates der DDR.

       12 Egon Krenz (*1937), seit 1983 Mitglied des Politbüros und dann als Stellvertretender Vorsitzender des Staatsrates der DDR der ,zweite Mann‘ hinter Erich Honecker. Während der ,Wende‘ von Oktober bis Dezember 1989 maßgeblicher SED-Politiker.

       13 Das Politbüro des Zentralkomitees der SED war als oberstes Parteiorgan zugleich das Machtzentrum der Politik