Franziska Steinhauer

Ferienhaus für eine Leiche


Скачать книгу

Stimme am anderen Ende meldete, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Wirr, aber ruhig und geduldig von der fremden Stimme geleitet, berichtete er von seinem grausigen Fund. Es gelang ihm auch nach einiger Überlegung, sich auf seinen Nachnamen zu besinnen und sich an den Weg zu seinem Häuschen zu erinnern. Er möge dort bleiben und nichts berühren oder gar verändern, beschied ihm sein gesichtsloser Partner mit der angenehmen Stimme, die Polizei würde schnell eintreffen. Dann legte er auf.

      Gunnar war wieder allein.

      »Nichts berühren!«, zischte er sarkastisch. »Ich habe nur gerade das ganze Haus geputzt. Das wird der Polizei nicht so recht gefallen!« Er überlegte, was nun am besten zu tun sei.

      Die Frau konnte doch nicht einfach von einer der Familien vergessen worden sein, wie damals die kleine Katze. Man würde doch wohl bei der Abreise bemerken, dass eine Person fehlte!

      Unfall? Nein, das war doch sehr unwahrscheinlich! Alte Damen spielten nicht unbekleidet Verstecken auf Dachböden und gerieten dabei versehentlich in eine alte Truhe, um dort den Tod zu finden.

      Nein, Gunnar schüttelte den Kopf, das schied mit Sicherheit aus.

      Suizid vielleicht? Nein, das kam auch nicht in Frage. Er hatte schon viel über Suizidversuche in Ingas Frauenzeitschriften gelesen – aber sich in eine Truhe legen und zwischen Decken und Kissen abwarten, bis man entweder erstickte oder verdurstete? Nein. Wie hätte sie auch selbst den Riegel sichern können? Nein, das schied aus! Dann also musste wohl doch jemand die Tote mit Absicht in die alte Truhe gelegt haben! Gunnar fröstelte und rieb sich die Oberarme.

      Kannte er die Frau?

      Er kam immerhin alle vierzehn Tage zum Mähen vorbei. Bei der Gelegenheit konnte er sie getroffen haben! Vielleicht hatten sie sich unterhalten? Gunnar konnte gut Englisch und die Touristen meist auch. In dieser Saison war es häufig zu persönlichen Gesprächen mit den Feriengästen gekommen. Sie nutzten das schöne Wetter um sich zu sonnen oder mit den Kindern im Garten zu toben. Gut möglich, dass er mit ihr über das Wetter gesprochen hatte oder das schwedische Gesundheitssystem, über das er sich oft maßlos ärgerte. Und dabei hatten sie beide nicht geahnt, dass sie schon bald sterben würde. Gunnar versuchte diesen unangenehmen Gedanken abzuschütteln, aber manchmal erweisen sich gerade die unangenehmen als besonders klebrig. Wie eine Fliege an einem Fliegenband blieb er in seinem Kopf hängen und summte dort herum. Erschöpft lehnte er sich an die Nackenstütze und schloss die Augen.

      Die Haut der Toten hatte eine eigenartig ungesunde Färbung gehabt und spannte sich pergamentartig über den Schädelknochen, kehrten seine Gedanken wieder zu seinem Fund zurück. Ihre Augen waren trübe und milchig. Vielleicht, dachte Hilmarström, waren sie früher blau, aber das konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Wieder wurde ihm schlecht, er glaubte den süßlich-fauligen Gestank der Verwesung selbst hier in seinem Auto wahrnehmen zu können. Weil er fürchtete, sich wieder übergeben zu müssen, hielt er den Atem an, beugte sich weit aus dem Auto und zählte langsam bis zwanzig. Als er merkte, dass er sich wieder unter Kontrolle hatte, lehnte er sich ächzend zurück. Der Mund der Leiche war geöffnet gewesen und Gunnar hatte bemerkt, dass einige Zähne fehlten. Er überlegte, ob sie wohl vor ihrem Tod noch alle Zähne gehabt hatte und die Lücken erst danach entstanden waren – oder hatte sie vielleicht eine Prothese getragen?

      Durch die nach dem Tod eingetretenen Veränderungen, war es ihm nicht möglich gewesen zu erkennen, wie alt die Frau geworden war. Gunnar konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das Gesicht ausgesehen haben mochte, als es noch von Leben, Lachen, Zorn und Freude erfüllt war. Die Verwesung hatte dazu geführt, dass der gesamte Körper aufgedunsen wirkte. An einzelnen Stellen hatte sich das Gewebe von den Knochen gelöst, hing in Fetzen herunter. Eine schleimig wirkende Schicht überzog weite Bereiche des Leichnams, um die Mitte herum war er gallertartig verändert. Die Hände hatten auf ihn dagegen einen eingetrockneten Eindruck gemacht, doch jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob das wirklich stimmte. Ich hätte mir vielleicht die Hände genauer ansehen sollen, dachte Gunnar, an den Händen konnte man einen Menschen auch ganz gut erkennen. Doch er wusste, dass er keinen noch so winzigen Moment länger auf diesen entstellten Körper hätte sehen können.

      Es war schon zu lang gewesen!

      Der Anblick der Toten würde ihn verfolgen, nächtelang in seinen Träumen heimsuchen.

      Und obwohl er nur für Sekunden auf die Frau gestarrt hatte, waren erstaunlich viele Details in sein Gedächtnis eingegraben, registrierte er mit leichter Überraschung, mehr als ihm lieb sein konnte.

      Ob er das Haus wohl je wieder betreten könnte?

      Oder vermieten?

      Was, wenn die Vermietungsagentur von der Leiche Wind bekam? Sie würden sein Haus womöglich aus ihrer Angebotsliste streichen! Wer will schon seine Ferien in einem Haus verbringen, in dem man eine Leiche entdeckt hatte?

      Ihm wurde wieder schlecht.

      »Nimm dich zusammen!«, schimpfte er leise.

      Gunnar Hilmarström stieg aus dem Wagen und setzte sich auf die Holzbank im Garten, von der aus er den Eingang im Auge behalten konnte. Je mehr er darüber nachdachte, desto intensiver wurde die Überzeugung, er habe beim Rauslaufen Schritte hinter sich gehört – vielleicht war noch jemand im Haus, hatte in einem der alten Schränke gelauert?

      Er lauschte angespannt, sah sich ein paar Mal hektisch um.

      War der Mörder noch hier?

      Und er, Gunnar, sein nächstes Opfer?

      Energisch schüttelte er den Kopf und zwang sich zur Ruhe. Wenn eines klar war, dann doch wohl die Tatsache, dass die Frau nicht gerade eben erst ermordet worden war! Bestimmt sehe ich mir einfach zu viele Krimis im Fernsehen an, überlegte er, während er so sehnsüchtig wie nie zuvor auf das Eintreffen der Polizei wartete.

      Woran mochte sie gestorben sein und welche seiner Sommerfamilien hatte ihm wohl diese unangenehme Überraschung hinterlassen? In diesem Jahr waren viele ältere Damen unter den angemeldeten Gästen.

      So etwas passiert eigentlich gar nicht wirklich!

      Gunnar stützte seinen Kopf in die Hände und rieb sich die Augen.

      Man fand keine wildfremden Leichen in einer Truhe auf dem Dachboden!

      Das war doch einfach absurd! Und im höchsten Maße unfair!

      Vielleicht war sie während der Ferien einfach gestorben und die Familie hatte Angst gehabt, mit den Behörden zu verhandeln, weil sie kein Schwedisch sprechen konnte?

      So könnte es gewesen sein!

      Seine letzte Familie war vor vier Tagen abgereist. Konnte eine Leiche sich in so kurzer Zeit derart verändern? Gunnar rieb die Hände aneinander. Er fror trotz der Sonne. Rastlos fuhr er sich mit der immer noch zitternden rechten Hand übers Gesicht.

      Am ehesten kamen wohl die Deutschen dafür in Frage, entschied er dann vorurteilstreu.

      »Dabei waren die Kinder so freundlich. Wer hätte an so was gedacht? Man soll sich eben nicht von einem lächelnden Gesicht täuschen lassen!«, sagte er laut zu sich, um eine Stimme in der Einsamkeit hören zu können und hob den Kopf, um die Straße ein Stück weiter einsehen zu können. Wo blieb nur die Polizei? Wenn man zu schnell fuhr oder in einer Ausfahrt parkte, waren sie immer sofort zur Stelle. Selbst an den verlassensten Orten lauerten sie mit ihrer Laserpistole – aber wenn man sie mal wirklich brauchte, ließen sie sich Zeit.

      Als er, wie es ihm schien, nach endlosem Warten endlich Motorengeräusche hörte, sprang er erleichtert auf und stand schon in der Zufahrt, als der weiß-blaue Streifenwagen einbog. Der Himmel hatte sich in den letzten zwanzig Minuten zunehmend bewölkt und eine dicke graue Wolke drohte mit Regen. Gunnar zitterte am ganzen Körper. Er war sich allerdings nicht sicher, ob die Kälte, die er so deutlich empfand, wirklich nur mit der gesunkenen Temperatur zu erklären war.

      Ungeduldig beobachtete er, wie die beiden Polizisten aus dem Wagen stiegen. Jeder in Hjortronbakken kannte die beiden, Knut und Jan. Hilmarström war erleichtert, jetzt nicht völlig fremden Menschen von seinem schockierenden Erlebnis berichten zu müssen. Bei den