tief durch, räusperte sich und begann noch einmal von vorn, wobei er sich angestrengt um wohlgesetzte Worte bemühte, als könne er Angst und Schrecken dahinter vor sich selbst verbergen.
»Natürlich habe ich vorhin einen gewaltigen Schreck bekommen, als ich so unvermutet auf die tote Frau stieß. Wer erwartet schließlich auch so was! Aber jetzt geht es mir schon wieder besser − ehrlich«, beteuerte er, als er dem skeptischen Blick Lundquists begegnete.
»Na gut. Kannten Sie denn die Tote? Vielleicht von einem Ihrer Besuche hier. Knut hat mir erzählt, dass Sie alle vierzehn Tage zum Mähen herkommen. Oder stammt sie hier aus dem Ort?«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ich kann mich an keine Frau mit langem grauem Haar erinnern. Und ihr Gesicht …« Gunnar ließ den Satz unvollendet und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Wir werden von Ihnen die Namen und Adressen Ihrer Feriengäste brauchen. Sie führen doch Buch darüber, oder haben Sie das an eine Vermittlungsfirma abgegeben?«
»Mein Häuschen wird über eine Firma vermittelt, aber ich führe auch Buch über meine Mieter. Schließlich muss ich ja nach der Abreise immer das Haus überprüfen. Schon wegen der Endreinigung und so. Die Liste liegt zu Hause auf meinem Schreibtisch.«
»Wie viele Familien waren in diesem Sommer hier?«
»Genau kann ich das nicht sagen. Fünf oder sechs? Ich kann mich im Moment nicht darauf besinnen.« Gunnar kam sich ziemlich dumm vor, doch Lundquist lächelte ihn freundlich an und meinte: »Das ist doch ganz normal nach so einem Schock. Einer meiner Leute wird mir die Liste holen, dann wissen wir es genau.« Er sprach leise und beruhigend. »Natürlich müssen wir mit Ihnen morgen noch ein ausführliches Protokoll erstellen, aber können Sie mir bitte jetzt schon mal erzählen, wie sie die Frau gefunden haben, was Sie davor und danach gemacht haben? Es ist für uns sehr wichtig.«
Endlich, dachte Gunnar erleichtert, endlich interessiert sich jemand für meine Geschichte! Immerhin hatte er die Frau schon vor ungefähr drei Stunden gefunden! Nach anfänglicher Unsicherheit sprudelten die Worte nur so hervor und der Hauptkommissar hörte geduldig zu, ohne zu unterbrechen. Nur ganz zu Anfang, als der Vermieter von seiner gründlichen Hausputzaktion berichtete, zog er für einen kurzen Augenblick die linke Augenbraue hoch. Was für ein fähiger, junger Kriminalist, dachte Gunnar, als er sich viel später von Lundquist verabschiedete, hat man ihm gleich angesehen, dass der was kann!
Ein Streifenwagen setzte ihn zu Hause ab. Den schwarzen Volvo fuhr Jan und parkte ihn vor der Haustür der Hilmarströms.
»Eine Leiche in der Truhe auf unserem Dachboden! So eine Unverschämtheit!« Inga war zutiefst entrüstet. Gunnar, dem es nicht entgangen war, dass sie plötzlich von ›unserem Dachboden‹ gesprochen hatte, schmunzelte zaghaft. Bald würde sie von diesem Fund all ihren Freundinnen berichten und da wäre es doch zu schade, wenn es ›nur‹ Gunnars Dachboden wäre! Sie wollte persönlich in diese Geschichte verwickelt werden! Er seufzte leise. Typisch Inga! Jetzt war es auch ›ihre‹ Leiche!
»Und«, fragte sie ihren Mann, »hast du die Frau denn erkannt? Wer war sie denn?«
»Nun mal langsam, Inga!«, stoppte Jan ihren Redefluss, »sei ein bisschen vorsichtig mit deinem Mann. Es hat ihm ziemlich zugesetzt. Vielleicht solltest du ihm erst einmal einen schönen heißen Tee kochen!« Er bugsierte den bleichen Herrn des Hauses zu einem großen weichen Sessel und ließ ihn sachte hinein gleiten.
»Meine Güte! Du bist ja wirklich ganz weiß!«, stellte Inga missbilligend fest und stopfte ihrem Mann theatralisch ein Kissen in den Rücken. »Dann werde ich mal schnell Tee machen. Jan, trinkst du auch eine Tasse mit?«, fragte sie den jungen Mann, der etwas unschlüssig neben dem Sessel stehen geblieben war. »Ja. Danke«, antwortete Jan artig und nahm auf dem altmodischen weichen Sofa Platz. Über ihm an der Wand hing ein monströses Ölgemälde, das eine Schiffskatastrophe zeigte. Wackere Seemänner mit Südwester und Ölzeug kämpften mit Fluten und Sturm, die Takelage des Dreimasters war gerissen, einige Segel zerfetzt.
Gunnar lächelte Jan gequält an. Ihm war noch immer übel und wenn er jetzt das Bild über Jans Kopf betrachtete, hatte er das Gefühl, in den aufpeitschenden Wellen hin und her geworfen zu werden. Fast glaubte er schon, die Stimmen der Männer hören zu können, die dort um ihr Überleben kämpften. »Mensch, Gunnar. Jetzt fängst du wirklich langsam an zu spinnen!«, ermahnte er sich flüsternd.
Gerade noch rechtzeitig erreichte er das Bad.
Als er mit einer trockenen, warmen Jacke, weichen Knien und schalem Geschmack im Mund wieder ins Wohnzimmer zurück wankte, hatte Inga schon das Tablett mit der bauchigen Kanne und drei Tassen auf den Tisch gestellt. Schwankend erreichte er seinen Sessel, der ihm wie ein Schutzschild vorkam und ließ sich aufatmend hinein fallen. Vielleicht war es seinem Großvater ja auch immer so gegangen, und er hatte seinen Sessel mit seinen ausladenden Armlehnen und den breiten Ohren deshalb so sehr geliebt. Jan hielt ihm eine Tasse mit heißem Tee hin und er nahm sie in beide Hände, um sich seine eisigen Finger daran zu wärmen. Prüfend sah der junge Polizist Gunnar an und meinte dann: »Inga, wo steht denn der Schnaps? Ich glaube, dein Mann braucht seinen Tee heute etwas stärker.« Gunnar Hilmarström warf dem jungen Mann einen dankbaren Blick zu und Inga erhob sich zu seinem maßlosen Erstaunen ohne bissigen Kommentar, um die Flasche aus dem Wandschrank zu holen.
»Jan hat gerade gefragt, ob eigentlich unsere eigene Verwandtschaft komplett ist!«, kicherte sie dabei albern. »Er wollte wissen, ob wir irgendwelche ›Abgänge‹ zu verzeichnen hätten. Abgänge! Was für eine Wortwahl! So kann man das doch wohl wirklich nicht nennen!« Sie schüttelte amüsiert und zugleich missbilligend den Kopf. »Ausdrücke habt ihr jungen Leute!«
»Und, haben wir?«, fragte Gunnar mit unsicherer Stimme.
»Was?«
»Na, ›Abgänge‹ zu verzeichnen?« Es entstand eine kleine Pause.
Jan hob seinen Blick wieder aus der Teetasse und sah Inga interessiert an.
»Hm. Da wäre natürlich meine Tante. Sie ist vor ein paar Monaten gestorben. Ganz überraschend. Sie hat sich bei einer Seereise, die ihr Jörgen, ihr Sohn, zu Weihnachten geschenkt hatte, über die Reling ins Meer gestürzt. Man weiß das aber nicht so genau – es gab keine Zeugen und ihre Leiche wurde auch nie gefunden. Aber der Totenschein wurde dennoch schnell ausgestellt.«
»Gott sei Dank! Sonst hätte dein armer Cousin wohl gar noch auf sein Erbe warten müssen!«, murmelte Gunnar grantig.
Lundquist seufzte, als er am nächsten Morgen zum dritten Mal die Liste der Sommermieter in Gunnars Häuschen durchging. Zwei schwedische, drei dänische Familien, eine deutsche, eine britische und sogar eine italienische Familie hatten in der vergangenen Saison in Hilmarströms Ferienhaus gewohnt.
»Da kommt ganz schön Bein- und Fahrarbeit auf uns zu, was? Wir müssen mit den Kollegen in Italien, Dänemark, Deutschland und Großbritannien Kontakt aufnehmen.« Lars Knyst klang unzufrieden. »Das gibt immer Schwierigkeiten«, setzte er hinzu.
»Bernt spricht gerade mit den Kollegen im Ausland. Wir wissen auch schon, dass die Familie aus Uppsala noch immer oder schon wieder unterwegs ist. Wir haben bei ihnen angerufen und einen Nachbarn erreicht, der die Blumen gießt und die Katzen füttert. Er erwartet die Familie erst Ende des Monats zurück«, versuchte Lundquist die Lustlosigkeit seines Freundes etwas aufzufangen. »Björn ist zu den Hilmarströms gefahren und nimmt das Protokoll auf.«
Er mochte diese erste Ermittlungsphase nicht.
Zu wenig Informationen, um Theorien zu entwickeln, Motive aufzudecken, Schlüsse zu ziehen. Der Anfang war meist langweilige Routine: Überprüfungen, Berichte, die noch ausstanden, Informationen, die nicht zusammenpassen wollten, kein roter Faden … Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und presste mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Nasenwurzel fest zusammen.
»Kopfschmerzen?«
»Nicht