von Jericho.
Ein bayerischer Opernkomponist hat diesen Stoff Anfang des 20. Jahrhunderts für die Oper entdeckt. Es war Clemens Freiherr von Franckenstein, der in dieser Zeit auch Intendant der bayerischen Staatsoper in München war. Die Oper selbst wurde 1911 fertiggestellt. Das Libretto stammt von Oskar F. Mayer, der daraus eine Liebesgeschichte entwickelte. Der Kundschafter heißt in dieser Geschichte Hiram. Er wird von den königlichen Soldaten entdeckt und gejagt, bis er blutbespritzt vom Kampf ins Haus der Rahab kommt. Viel Zeit für Erklärungen gibt es nicht, also versteckt Rahab den Kundschafter in ihrem Schlafgemach. Soldaten rücken an und durchsuchen das gesamte Haus. Das Schlafgemach verteidigt Rahab mit einem Messer in der Hand. Die Soldaten lassen von ihr ab. Sie wollen kein Blutvergießen provozieren, denn sie wissen von Rahabs einflussreichen Beziehungen. Nachdem die Soldaten verschwunden sind, öffnen die Sklavinnen, wie sie in der Oper genannt werden, dem Kundschafter Hiram die Tür, sodass er aus dem Versteck heraustreten kann. Er geht auf Rahab zu, die ihm ihre Zuneigung gesteht. Ihre Sklavin Nahalal allerdings will Rahab davon abbringen, sich mit dem fremden Kundschafter einzulassen. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung, bei der Rahab ihre Sklavin aus Liebe zu Hiram, der sonst verraten wäre, ersticht. Hiram ist beeindruckt. Immerhin wurde er von einer Frau gerettet, deren Stadt er ohne Rücksicht auf Verluste einnehmen wollte. Die Oper endet in dem Moment, als der Kundschafter seinen Gott ruft, um ihn um Schonung zu bitten, für ihn selbst, für Rahab und für ihre Familie. Hier bleibt das Ende offen.
Matthäus schreibt im Neuen Testament, dass Rahab später einen hochrangigen Fürsten aus dem Stamme Juda geheiratet und ihm den Sohn Boas geboren hatte. Dadurch ist sie in den Stammbaum Jesu hineingekommen und ihr voriges Sündenleben war vergeben. Matthäus stellt hier eine Rahab vor, die durch ihren Glauben einen Neuanfang macht: Sie ist nicht mehr die Dirne Rahab, sondern die Mutter Rahab, die Mutter von Boas.
von Sema Binia
Quellen:
Ruth Lapide, „Biblische Gestalten - Rahab, die Dirne von Jericho”, Gespräch mit Walter Flemmer, Bayerischer Rundfunk, München 2001
Volkhard Spitzer, „Die ganze Wahrheit über die Hure Rahab”, Predigt in Bibel-TV, Hamburg 2010
Magda Motté, „Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit. Biblische Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts”, Darmstadt 2003
CID - christliche internet dienst GmbH, Berlin, Website: http://bibel-online.net
Georg Fohrer, „Zürcher Bibelkommentare. Das Buch Jesaja”, Band 2, Zürich-Stuttgart 1966
Frank Hossfeld, Erich Zenger, „Die neue Echter-Bibel. Kommentar zum Alten Testament mit Einheitsübersetzung” Würzburg 1993
Ambapali
Buddhas Mango - Eine freie Unternehmerin
Es war so etwa im Jahre 495 vor unserer Zeitrechnung in der Stadt Vesali in einem Land im Nordosten Indiens, dem heutigen Bihar, das von der Adelsfamilie namens Licchavi beherrscht wurde, als ein Gärtner sein Tagewerk im königlichen Park beendet und seinen Heimweg über eine schmale Brücke nimmt, an einem Mangobaum vorbei. Sein Herz ist schwer, gerade ist ihm und seiner Frau ein spät geborener Sohn gestorben. Da hört er ein Wimmern, und ja, da liegt doch etwas unter dem Mangobaum, es bewegt sich. Es ist ein Neugeborenes in ein Tuch gehüllt. Sollten die Götter ihm ...? Er lupft das Tuch – ein Mädchen. Mädchen wirft man in den Fluss. Die Kleine öffnet die Augen, sie quietscht. Er nimmt sie mit nach Hause und legt sie der Frau in den Arm. “Ein Mädchen – auch das noch, wo hast du sie gefunden?“ „Unterm Mangobaum.“ Da lächelt der Winzling. Sie seufzt und legt das Baby an die Brust, sie hat noch keine Tochter aufgezogen. „Wir werden sie Ambapali (das heißt Mangoblatt) nennen.“
Es war schon über 1000 Jahre her, dass die Arier von Norden in die Indusgegend eingedrungen waren, sich dann weiter östlich und südlich ausgebreitet und die alten Kulturen verdrängt hatten, die womöglich eine Göttin verehrt und vielleicht auch Frauen einen würdigen Platz in der Gesellschaft zugestanden hatten. Sollte das je der Fall gewesen sein, so wusste das nun niemand mehr. Zur Zeit der Licchavi hatte die Aufteilung der Menschen in hierarchisch gegliederte Kasten schon lange Einzug gehalten, und wenngleich dieses System noch nicht derart verfestigt war wie heute, so machte es doch die Gesellschaft undurchlässig und wertete Frauen ab. Mädchen waren eine Last. Es ist dieselbe Zeit, in der ein alter Mann mit einer Schar von Mönchen durch die Lande zieht, der einst als Prinz Siddharta Gautama gelebt hatte und zurzeit von Ambapalis Geburt schon weithin bekannt ist als der Erwachte, der Buddha.
Die Findeltochter wird dem Gärtnerehepaar viel Freude machen. Sie ist früh aufgeweckt und bewegt sich graziös, sie ist gehorsam und doch eigenwillig, dabei immer freundlich und gutherzig. Ein hübsches Kind ist sie und nach ein paar Jahren geht ein wunderschönes junges Mädchen mit dem Vater durch die königlichen Anlagen und wird gesehen. Die Eltern halten die wissbegierige Tochter nahe am Haus. Sie spürt, dass sie besonders ist, nicht nur ihre Anmut zeichnet sie aus, sie weiß auch, sie ist klüger als ihre Eltern und Brüder und als jeder Mann, dem sie begegnet ist. Die jungen Prinzen stellen ihr nach, Höflinge versuchen, sie zu verlocken. Es wird geredet. Die Eltern hören mit Schrecken von Krach und Streit im Palast. Es geht um ihr Mangomädchen, jeder will sie haben – aber nicht als Ehefrau, versteht sich. Müssen sie schon einen Ehemann für sie suchen, um sie in Sicherheit zu bringen? Sie ist doch erst zwölf oder 13 Jahre alt und sie möchten sie gern noch um sich haben. Da kommt aus dem Palast ein hoher Beamter zum Haus des Gärtners und macht einen Vorschlag: Ambapali solle Ganika werden – ob dieser Name für eine geachtete Edelkurtisane bei Hofe schon gebräuchlich war, lassen wir offen; Überlieferungen über die 64 Künste, die eine Ganika beherrschen musste, stammen aus späterer Zeit. Für ihre Ausbildung werde gesorgt, sie werde gut bezahlt, ein eigenes Haus werde für sie eingerichtet.
Der Hinduismus war wohl schon damals dem diesseitigen Leben und der Sexualität zugewandt und nicht erst zur Zeit des Kamasutra, dem heiligen Buch der Liebe, das etwa 1000 Jahre später verfasst wurde. Doch wir liegen sicher nicht falsch mit der Annahme, dass dies eher für das höfische Leben galt und weniger für das der einfachen Leute. Das Gärtnerpaar steht stumm vor Schreck und Ratlosigkeit, als ihre Tochter hinzutritt. Sie hat zugehört, sie weiß, dass sie hier und jetzt ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen kann. Sie erlebt einen Moment der Hellsicht: Da ist ihr Leben als gute Tochter braver Eltern, bald wird sie verheiratet werden. Weil sie schön ist, wird ein wohlhabender Mann sie nehmen, doch als Ehefrau ist ihr Platz im Haus. Sie wird der Willkür und Missgunst einer Schwiegerfamilie ausgeliefert und fortwährend schwanger sein. Dabei sehnt sie sich nach Bildung, nach Wissen, nach Poesie, Musik und schönen Dingen. Sie sieht in diesem Moment der Erleuchtung, was Liebreiz und Klugheit ihr eröffnen: die einzige Selbstständigkeit, die in ihrer Welt für eine Frau denkbar und akzeptabel ist. Sie wird unabhängig sein von Familienbanden. Gebildet und wohlhabend wird sie für die Eltern sorgen und den Armen helfen, sie wird die Herrin ihres Lebens sein.
Ja, spricht sie, meine Eltern nehmen das Angebot an. Und ich gehorche ihnen.
Doch eine Bedingung stelle ich: Meinen Preis bestimme ich selbst.
Ihre Ausbildung wird von kundigen Frauen und Männern geleitet. Sie lernt mehr als Schminken und Körperbemalung, bald kann sie lesen und schreiben, sie studiert Tanz und Gesang und die Musikinstrumente der Zeit. Ambapali spielt die Bogenharfe, die Flöte und Trommel mit Freude und Hingabe. Sie wird Poesie verfassen und für ihr tänzerisches Können gepriesen werden. Wir können wohl sicher sein, dass eine Ganika auch die Kunst lernte, nicht schwanger zu werden. Und dennoch bekommt sie später einen Sohn, dessen Vater der König des Nachbarstaates gewesen sein soll. Ambapalis Ruf war weit über die Grenzen der Adelsrepublik der Licchavi hinaus gedrungen und hatte auch zum Ruhm und Reichtum des Landes beigetragen, denn selbstverständlich nahm der Staat von ihr Steuern ein. König Bimbisara von Rajagaha, der eigentlich im Krieg mit den Licchavi lag, war neugierig auf diese nützliche Einrichtung der Ganika und besuchte Ambapali. Er sei, heißt es, in Liebe zu ihr entbrannt. Hat sie ihn wohl auch geliebt oder begehrt, hat sie sich ein Kind gewünscht? Vielleicht gehen all diese romantischen Vorstellungen fehl. Vielleicht ist es eine Legende, dass Ambapali ihren Geliebten zum Friedensschluss mit ihren Herren bewegt habe.
Doch