Friedhelm Rathjen
Von
GET BACK
zu
LET IT BE
Der Anfang vom Ende der Beatles
FUEGO
Für die
Boscheler Glimmer Twins:
Bobby „Sunset“ Meyer
und
Manni „Manni“ Hensel
- Über dieses Buch -
Anfang Januar 1969 versammelten sich die Beatles in den Filmstudios Twickenham, um für ein neues Projekt zu proben und Songs aufzunehmen; dabei war anfangs nicht ganz klar, was am Ende wirklich herauskommen sollte: ein Live-Auftritt, eine TV-Show, ein Film, eine Dokumentation, vielleicht sogar ein neues Album? Diverse kuriose Ideen erwiesen sich dabei als nicht realisierbar, so etwa Live-Auftritte an so illustren Orten wie einem Amphitheater, der nordafrikanischen Wüste, an Bord eines Kreuzfahrtschiffes oder (dies ein nicht sonderlich ernstgemeinter Vorschlag John Lennons) in einer Irrenanstalt.
Was eigentlich als Neuanfang der Band gedacht war, entwickelte sich zunächst so desolat, daß es stattdessen zum Anfang vom Ende der Beatles wurde. Den Höhepunkt erreichten die Spannungen, als George Harrison nach einem Streit mit John Lennon seinen Austritt erklärte und die Aufnahmen verließ; erst nach mehreren Tagen ließ er sich zur Rückkehr bewegen, und nach einer Veränderung der Zielsetzung fanden die Beatles zu einem produktiven Miteinander zurück, doch ein Jahr später waren die Beatles Geschichte, und ihr Ende bleibt für immer mit den berüchtigten „Get-Back“-Sessions verknüpft. „Von GET BACK zu LET IT BE“ erzählt erstmals die ganze Geschichte dieser Sessions. Genaugenommen sind es zwei Geschichten, die erzählt werden, eine musikalische Geschichte, die der Entstehung des vorletzten Beatles-Albums, das von vielen bis heute für ihr letztes gehalten wird, und eine menschliche Geschichte, die des Umgangs der Beatles miteinander. Es war wirklich der Anfang vom Ende der berühmtesten und bedeutendsten Popgruppe der Welt war, aber es gab auch immer noch hochproduktive Momente. Wir sind bei der Proben- und Aufnahmearbeit der Beatles so nah dabei, wie es nur geht, und erleben, wie stümperhaft sie sein konnten, freilich auch, mit wie einfachen Mitteln sie immer noch musikalische Werte für die Pop-Ewigkeit schufen. Erst die Kenntnis dieser Sessions ermöglicht die Beantwortung des letzten ungelösten Beatles-Rätsels: warum haben sie sich denn nun wirklich getrennt?
»… in jeder Hinsicht großartig zu lesen, für Fans von “Let it be”, für alle Musiker, die hier erfahren, dass sich Beatles-Proben von Schülerbandsessions in keiner Weise unterscheiden bis hin zu allen Freunden der späten 1960er Jahre.«
Bücher in Zahlen
Anfänge
1960-1968
Am frühen Nachmittag des 10. Januar 1969 sitzen vier junge Männer samt Gefolge in der Kantine der Filmstudios von Twickenham im Westen Londons, und die Dinge zwischen ihnen stehen gar nicht gut. Die vier heißen John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr; es sind die Beatles, und zwischen zweien von ihnen knallt es mächtig – zwischen John und George. Wutschnaubend verlässt George am Ende den Schauplatz, und nicht nur den, sondern die Gruppe; er steigt bei den Beatles aus. Eine Woche lang sieht es so aus, als sei dies das definitive Ende der Beatles, dann geht es aber doch noch weiter, und zwar nicht etwa, weil Johns spontane Idee umgesetzt würde, man könne als Ersatz für George ja einfach Eric Clapton verpflichten „oder Jimi“, sondern es geht weiter, weil George sich bereit erklärt, unter bestimmten Bedingungen wieder einzusteigen. Eine dieser Bedingungen ist, dass sie aus Twickenham verschwinden.
Dass sie überhaupt in Twickenham sind, schon seit einer Woche, hat paradoxerweise gerade damit zu tun, dass Paul die Beatles wiederbeleben wollte, und zwar durch eine Rückkehr zu den Wurzeln, zum gemeinsamen Livespiel. Dieses Ansinnen geht gründlich in die Hose, das weiß jeder, der das Beatles-Album Let It Be und den gleichnamigen Film kennt, also die Dokumente dieser Sessions – oder vielmehr die angeblichen Dokumente, denn es sind in Wahrheit eher Verfälschungen. Der Streit zwischen John und George kommt im Film nicht vor, dafür aber eine Auseinandersetzung zwischen George und Paul über Details der Instrumentierung eines Songs, und folglich gilt seit dem Erscheinen von Platte und Film Paul als der Buhmann, dessen diktatorisches Gehabe die Beatles ruiniert habe.
Dabei ist es eigentlich gerade kein diktatorischer Ansatz, sondern die Gemeinschaft vier halbwegs gleichberechtigter Kumpel, die Paul mit dem Projekt hatte stärken wollen. Die Männerkumpanei war es, auf deren Basis die Beatles funktioniert haben, solange sie funktionierten; ja, eigentlich ist es nicht mal eine Männerkumpanei, sondern eine Jungsfreundschaft, herübergerettet noch aus gemeinsamen Schul- und Jugendzeiten. Seit 1957, als Paul fünfzehn war und John sechzehn, machen sie zusammen Musik; George ist seit 1958 dabei, als Vierzehnjähriger, und das, was sie machen, ist natürlich Livemusik. Die drei spielen mit verschiedenen anderen Jungs in Gruppen mit wechselnden Namen, am längsten als Quarrymen; zu den Beatles werden sie 1960 bei ihrem ersten Engagement in Hamburg, und diese eigentliche Geburtsstunde der Beatles steht im Zeichen irrwitziger Livearbeit. In Hamburg absolvieren die Beatles zwischen August und November 1960 gut hundert Auftritte im Indra Club und im Kaiserkeller, dann von April bis Juli 1961 nochmals knapp hundert Auftritte im Top Ten Club, schließlich im April und Mai 1962 knapp fünfzig Auftritte im Star-Club – und das sind keineswegs Kurzauftritte, sondern in der Regel sechsstündige Nachtschichten, durchzuhalten nur unter Zuhilfenahme diverser Aufputschmittel, und natürlich brauchen sie außerdem ein riesiges Repertoire an Songs (vor allem ihrer 50er-Jahre-Idole: Elvis Presley, Little Richard, Chuck Berry, Buddy Holly), die sie im Schlaf beherrschen. Seit dem Ausstieg des völlig unmusikalischen Bassisten Stu Sutcliffe Ende 1961 sind sie ein Quartett (noch mit Pete Best am Schlagzeug); John ist zu dieser Zeit der unbestrittene Boss (und zudem, wie sich bei den Get Back-Sessions erweisen wird, ein lausiger Bassist) und George der versierteste Sologitarrist, also übernimmt Paul, ohnehin der begabteste Multiinstrumentalist, den nicht sonderlich beliebten Bass. Zum Quintett werden sie sich erst bei den Get Back-Sessions wieder erweitern, als kurzzeitig Billy Preston zu ihnen stößt, übrigens auch er ein alter Kumpel aus Hamburg, wo er 1962 als blutjunger Pianist parallel zu den Beatles ein Engagement in der Begleitband von Little Richard hat. Ein weiterer Kumpel aus Hamburg ist der Schlagzeuger der Konkurrenzband Rory Storm & the Hurricanes, mit dem die Beatles vertragswidrig einige Sessions absolvieren: Ringo Starr. Auch er ist also schon mit John, Paul und George durchs Hamburger Fegefeuer gegangen, obgleich er erst im Sommer 1962 Mitglied der Band wird, nachdem diese Pete Best anlässlich der ersten Plattenaufnahmen auf Betreiben des Produzenten George Martin gefeuert hat.
„Mach schau!“ lautet die Anweisung, die die Beatles von ihrem ersten Arbeitgeber in Hamburg erhalten; also lernen sie, wirklich eine Schau abzuziehen. Als Liveband erobern sie nach der Rückkehr aus Hamburg ihre Heimat Liverpool; live im Studio treten sie (nach einer Pleite bei Decca) bei der Firma EMI überzeugend genug auf, um einen Plattenvertrag zu ergattern; fast live im Studio spielen sie am 11. Februar 1962 – also innerhalb eines Tages – ihr komplettes erstes Album ein. Aber damit endet fürs erste auch schon die Geschichte der Beatles als Livetruppe; rasch finden sie Gefallen an allen Möglichkeiten der Studiotechnik und nutzen sie weidlich, um ihre Musik in rasantem Tempo weiterzuentwickeln, bis hin zu komplizierten Tönen und komplexen Klangstrukturen, die sich auf der Bühne mit der damaligen technischen Ausrüstung beim besten Willen nicht mehr reproduzieren lassen. Zwar sind die Beatles über Jahre hinweg fast pausenlos auf Tour, um auf der ganzen Welt Konzerte zu geben, aber diese Konzerte haben mit den Sechs-Stunden-Gigs der Hamburger Zeiten nichts mehr zu tun: Meist spielen die Beatles nur zwanzig, dreißig Minuten lang, fertigen das Publikum mit einer Handvoll leicht runterzunudelnder Hits ab – und können sich dabei selbst kaum hören, weil dieses sehr junge Publikum unentwegt kreischt und alle musikalischen Feinheiten übertönt. So verlieren die Beatles paradoxerweise auf ihren Livetourneen die Fertigkeit, live zu spielen; und die Lust dazu ohnehin. Am 29. August 1966 geben sie in San Francisco am Ende einer frustrierenden, teils sogar von Attentatsdrohungen und politischen Verwicklungen überschatteten Welttournee ihr letztes öffentliches Konzert.
Fortan können sie sich noch mehr auf die Möglichkeiten des Studios konzentrieren, fummeln und feilen ewig an Johns fast avantgardistisch