Friedhelm Rathjen

Von Get Back zu Let It Be


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mit Überleitungen zwischen den Songs (teilweise unter Zuhilfenahme künstlich hinzugemischter Liveeffekte) angelegt ist. Von nun an werden sie versuchen, jedes ihrer Alben nicht als bloße Sammlung von Einzelsongs, sondern als Gesamtkunstwerk zu konzipieren, bei dem zumindest einige der Songs ineinander übergehen. Mit solchen konzeptuellen Tricks, die vor allem von Paul verfolgt werden, gelingt es immer wieder, auf ihren Alben eine künstlerische Kontinuität und Einheit zu suggerieren, die so allerdings gar nicht mehr besteht. Am deutlichsten wird das auf dem Doppelalbum The Beatles von 1968 (gemeinhin als „Weißes Album“ bezeichnet), dem eigentlichen Nachfolger von Sgt. Pepper, auf dem die vier Beatles zum Teil völlig entgegengesetzte musikalische Ziele verfolgen und zudem in die große Wundertüte etliche Tracks hineinpacken, an denen nur ein oder zwei Beatles (teilweise zusammen mit Gastmusikern) mitgewirkt haben – als Gesamtalbum geht es (wenn überhaupt) nur durch geschickte Überleitungen und die richtige Verpackung auf.

      So sehr aber der Abschied von den anstrengenden Livetouren die Beatles musikalisch auch beflügelt hat, eines fehlt ihnen nun doch: der alte Zusammenhalt von Kumpeln, die stets beisammen sind und alles gemeinsam tun. In den Jahren bis 1966 haben sie fast ihre gesamt Zeit miteinander verbracht, selbst Ehefrauen und Freundinnen müssen zurückstecken. Das Beatles-Prinzip war ein Rahmen, der alles aushielt, auch gelegentliche Krisen, vor allem bei John, rasche Interessens- und Geschmackswechsel bei allen vieren vertrug und aus der Summe der divergierenden Teile ein immer noch homogenes und voranstrebendes Ganzes entstehen ließ. Dieser Rahmen fehlt nun, und schlimmer noch: die Reste des Rahmens werden im Zweifel nicht mehr als Rückhalt begriffen, sondern als Zwangskorsett, das die eigene Freiheit behindert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die vier pubertierenden Jungspunde von einst nun erwachsen geworden sind und plötzlich Interessen entwickeln, bei denen die Männerkumpanei nicht mehr unangefochten im Vordergrund steht. George, seinen Freunden einst als unbeschwerter nächtlicher Pistengänger bekannt, beschäftigt sich so nachhaltig mit östlicher Musik, Philosophie und Spiritualität, dass ihm sein Dasein als Beatle zweitrangig wird. Ringo findet Gefallen an der Schauspielerei. Paul beginnt, beeinflusst durch die Intellektuellenfamilie seiner langjährigen Freundin Jane Asher, sich für avantgardistische Kunst zu begeistern, und überredet den bisher eher an Fernsehkomikern als an künstlerischen Happenings interessierten John, sich die Aussellung einer japanisch-amerikanischen Avantgarde-Künstlerin anzuschauen. So gerät John am 9. November 1966 an Yoko Ono und findet auf diese Weise ein neues Betätigungsfeld jenseits der Beatles, und zwar sowohl in künstlerischer als auch in privater Hinsicht.

      Während der langwierigen Arbeit am „Weißen Album“, die sich von Mai bis Oktober 1968 hinzieht, ist Yoko fast ständig bei John im Studio, hockt meist schweigend an seiner Seite oder nervt die anderen Beatles mit langen Monologen. Als Ringo es nicht mehr aushält, fragt er John, was das denn solle, und John erklärt ihm, Yoko und er wollten nun mal ein Leben führen, das wirklich ein gemeinsames sei, wo jeder wisse, was der andere tue. Ringo schluckt das, es hat immerhin seine Logik. Paul muss dann aber auch schlucken, als John ihm seine Theorie der „Erhöhten Aufmerksamkeit“ erläutert, die zwischen ihm und Yoko herrsche: Sie bräuchten gar nicht miteinander zu reden, denn auch so stünden sie in unablässiger Verbindung miteinander, und jeder wisse immer, was der andere wolle. Konsequenterweise verfällt John fortan in den Geschäftssitzungen der Firma Apple, die die Beatles 1967 gegründet haben, um künstlerisch unabhängiger sein und gleichzeitig dem Finanzamt ein Schnippchen schlagen zu können, gern in ausgedehntes Schweigen und lässt stattdessen Yoko reden. Auch auf Johns musikalisch-kompositorische Arbeit färbt die neue Zweisamkeit ab: Unter Yokos Einfluss entfernt John sich von den psychedelisch-verkapselten Texten der vorausgegangenen Alben und nimmt Zuflucht zu einfachen Statements und Songs, die wie musikalisch verpackte Slogans und Spruchweisheiten klingen.

      Ein Wunder ist es also gewiss nicht, dass bei den enervierenden Arbeiten am „Weißen Album“ zum ersten Mal seit 1961 ein Mitglied der Beatles aus der Band ausscheidet. Merkwürdig nur, dass es ausgerechnet Ringo ist. Am 22. August erklärt er seinen Austritt, weil er sich von den anderen in der Gruppe zu wenig gewürdigt fühlt, und verschwindet erst einmal nach Sardinien, um über alles nachzudenken. Für den Moment wird das Problem gelöst, indem sich Paul kurzerhand ans Schlagzeug setzt und die Aufnahme von Back In The USSR rettet, aber auf Dauer ist das natürlich keine Lösung. Zum Glück lässt sich die heikle Angelegenheit rasch bereinigen, indem die drei übrigen Beatles Ringo anrufen und ihm beteuern, sie liebten ihn alle und er sei der beste Schlagzeuger der Welt. Mit Blumengirlanden wird Ringo am 3. September wieder in der Gruppe empfangen – gerade noch rechtzeitig, denn tags darauf, am 4. September 1968, nehmen die Beatles in den Filmstudios von Twickenham Werbefilme für die beiden Songs ihrer neuen Single, Hey Jude und Revolution, auf.

      Der Kameratermin ist eine spannende Geschichte, weil die Beatles zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder vor Publikum spielen, großenteils zwar im Playback-Verfahren, aber teilweise auch live. Regisseur der Aufnahmen ist Michael Lindsay-Hogg, ein 1940 in New York geborener britischer Adelsspross, der schon 1966 die Clips für Paperback Writer und Rain mit den Beatles gedreht hatte und inzwischen mit Pop- und Rock-Filmaufnahmen gut im Geschäft ist. Zum Aufwärmen vor den Dreharbeiten spielen die Beatles ein paar Rock ’n’ Roll-Nummern, was Lindsay-Hogg besonders gut gefällt. Als er nicht lange danach mit den Beatles das Get Back-Projekt realisiert, wird er immer wieder fragen, ob sie nicht auch Rock ’n’ Roll spielen und aufnehmen wollen. Für die Beatles selbst jedoch ist im Moment die Erfahrung wichtiger, vor Publikum zu spielen. Einerseits ist es eine erfreuliche Erfahrung, denn es stellt sich heraus, dass sich ihr Publikum wie sie verändert hat und inzwischen nicht mehr aus kreischenden jungen Mädchen besteht. Andererseits behagt es insbesondere George nicht recht, dass ihm die Fans bei der Aufnahme von Hey Jude, wo alle mitträllern dürfen, doch arg auf die Pelle rücken.

      Nachdem das „Weiße Album“ im Oktober 1968 endlich fertig ist, zerstreuen sich die vier nun sehr individualisierten Beatles in alle Winde. George fliegt nach Amerika, um ein Album von Jackie Lomax zu produzieren und einige Zeit mit Bob Dylan und The Band zu verbringen. Ringo zieht in ein Haus in Elstead in Surrey, das er dem Schauspieler Peter Sellers abgekauft hat; mit Sellers zusammen wird er ab Februar 1969 als Schauspieler in dem Film The Magic Christian vor der Kamera stehen. John stürzt sich mit Yoko Ono in diverse Aktivitäten: Die beiden drehen experimentelle Kurzfilme, nehmen ebenso experimentelle Schallplatten auf, lassen sich von der Polizei Drogen unterjubeln und beteiligen sich schließlich Mitte Dezember an einem Projekt der Rolling Stones namens Rock and Roll Circus, einer Mischung aus Rockkonzert und Zirkusdarbietung, die von Michael Lindsay-Hogg gefilmt wird, aber der Öffentlichkeit bis 1996 vorenthalten bleibt, weil Mick Jagger findet, The Who kämen in dem Streifen besser rüber als die Stones. John stellt für diesen Anlass eine Liveband namens The Dirty Mac zusammen, bestehend aus Eric Clapton, Keith Richards, Mitch Mitchell und ihm selbst, die eine fetzige Version der Lennon-Nummer Yer Blues vom „Weißen Album“ hinlegt, außerdem wird in erweiterter Besetzung unter Beteiligung von Yoko ein Stück namens Whole Lotta Yoko dargeboten.

      Das ist, wenn man so will, Johns Rückkehr auf die Livebühne und auch ins Zentrum der Musikszene. Nach ihrem Verzicht auf weitere Konzerttourneen hatten die Beatles es zwar geschafft, sich mit Sgt. Pepper musikalisch an die Spitze der Hippie-Bewegung zu setzen, aber richtig „drin“ in dieser Bewegung sind sie doch nicht, dafür fehlt ihnen der direkte Kontakt. Als George im August 1967 das Hippieviertel Haight Ashbury in San Francisco besucht, ist er entsetzt, wie kaputt und von Drogen gezeichnet die angeblichen „Blumenkinder“ sind, und noch entsetzter, als sie ihm zurufen, er solle ihr „Führer“ sein. Das will er auf keinen Fall. Aber mit dem Abschied von der Bühne haben die Beatles zwangsläufig den Anschluss an die beginnende Festivalkultur verpasst. Zum ersten großen Rockfestival, im Juni 1967 in Monterey, werden sie zwar eingeladen, müssen den Veranstaltern der beschlossenen Bühnenabstinenz wegen aber einen Korb geben – Paul empfiehlt als Ersatz einen in London lebenden Gitarristen mit seiner Band, und Jimi Hendrix nimmt diese Steilvorlage dankend an.

      Wie John, George und Ringo ist auch Paul Ende 1968 keineswegs untätig, produziert ein bisschen für das Beatles-Label Apple und trifft sich zu einer Session mit Donovan, aber im Unterschied zu John, George und Ringo will er auch das „Beatles-Ding“ unbedingt weiterführen, und zwar auf der Höhe der Zeit. John spielt wieder live, mit den Helden der Festivalära – lässt sich das nicht auch mit den Beatles machen? Die Rolling Stones veranstalten