Reiner Hänsch

Rotzverdammi!


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holen. Flach atmen.

      „Henni?“, frage ich ganz vorsichtig in Richtung … BMW, Handtasche, Kniekehlen.

      Jetzt dreht sie sich um, hat wohl auch ihren Schlüssel gefunden und sieht noch besser aus. Von vorne.

      „Henni?“

      Sie hat sich ja überhaupt nicht verändert, denke ich. Wie ist das denn möglich? Sie sieht genauso toll aus wie früher. Meine Henni. Plötzlich ist die ganze Zeit dazwischen einfach weg. Es ist wieder 1983, '84, '85 oder so und wir sind jung, verliebt – und blöd.

      Ich weiß natürlich, dass an mir die Zeit leider nicht so spurlos wie an ihr vorübergegangen ist, und daher bin ich mir etwas unsicher, was ich selbst gerade so für einen Eindruck mache. Es ist auf jeden Fall nicht der beste. Da kann ich ganz sicher sein. Henni hat mich jetzt seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen, da könnte das erste Treffen nach so langer Zeit ein schwerer Schock für sie sein. Naja, die richtigen Momente kann man sich ja nie aussuchen. Also dann …

      „Henni!“

      Sie knibbelt ein wenig in meine Richtung mit ihren schönen blauen Augen, was darauf schließen lässt, dass sie wohl kurzsichtig geworden ist. Ja? Dann hätten die Jahre also doch ihre Spuren hinterlassen? Gehört hat sie mich scheinbar auch nicht sofort. Vielleicht ist da auch was mit den Ohren. Na, dann bin ich doch einigermaßen beruhigt. Das Alter macht also vor keinem Halt, nicht mal vor Henni Heggemann mit den Kniekehlen, denke ich und gehe mit viel zu viel Herzklopfen auf sie zu. Sie knibbelt immer noch ein wenig. Aber jetzt müsste die Entfernung eigentlich reichen … ja! Sie erkennt mich.

      „Heinz-Norbert! Da bist du ja!“

      „Jou. Da bin ich.“

      „Määänsch, Heinz-Norbert“, sagt sie dann mit ihrer Stimme. Sie müssen nämlich wissen, dass sie auch eine ganz tolle warme, weiche Stimme hat. Ich könnte ihr stundenlang zuhören, auch wenn sie bloß meinen blöden Namen sagt.

      „Ich wollte nur schnell … weil ich ja wusste, dass heute …“, stolpert sie verbal drauflos, „… ach, wie geht’s dir denn so?“, sagt sie dann aber entschlossen, lässt ihre Tasche stehen – sie tritt sie nur beinahe mit ihren schönen Füßen um – und kommt mir entgegen. Bis auf ungefähr eineinhalb Meter.

      „Das mit deiner Mutter tut mir leid“, sagt sie dann. „Meine ist auch tot seit ’nem halben Jahr.“

      „Ja, hat Klaus erzählt. Tut mir auch leid.“

      Ich kann sie beinahe anfassen. Ich könnte sie eigentlich umarmen oder so was. Tu ich aber nicht. Warum? Weiß nicht. Ich habe wahrscheinlich immer noch ein schlechtes Gewissen wegen … naja, das erzähle ich Ihnen noch, wenn Sie’s noch nicht ahnen … und bin natürlich auch immer noch beleidigt wegen dem … BMW-Fahrer. So was sitzt tief.

      „Mir geht’s sonst ganz gut … so weit“, stammele ich jetzt dafür blöd und sinnlos daher, fasse mir ohne weiteren Plan ins Gesicht und reibe orientierungslos an meinem Kinn herum. Henni, Henni, du machst mich nervös. Immer noch. Schon wieder.

      „Und dir, Henni? Wie geht’s dir so?“

      „Och jo, auch gut.“

      Dann stehen wir voreinander wie zwei ahnungslose Sechzehnjährige und glotzen uns nur dämlich an. Sie lächelt allerdings sehr schön, sie kann ja gar nicht glotzen. Aber wir müssen reden!

      „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen … und dann jetzt leider auf ’ner Beerdigung …“, sagt sie da mit ihrer Stimme … den Füßen und ihren Knien. Jetzt kann ich nämlich ihre Knie sehen, weil sie sich ja umgedreht hat. Die sind auch so toll, aber ich will da jetzt nicht so hinstarren.

      „Ja“, sage ich, und dann muss ich ihn einfach doch noch ins Spiel bringen, „seitdem du damals mit diesem … BMW-…“

      „Ach ja“, sagt sie da ganz müde und fast bedauernd. „Heinz-Jürg.“

      Ja, so hieß der breitbeinige Arsch. Heinz-Jürg. Würg. Was für ein grandioser Blödmann-Name. Naja, da kann ja keiner was für.

      Und dann fällt noch ein Name.

      „Tja, und seit du und Gaby damals …“, sagt sie. „Das wollen wir ja auch nicht vergessen.“

      Ich atme schwer aus. Doch, das wollen wir vergessen! Ja, wir waren jung und … eben blöd. Und jetzt ahnen Sie’s auch. Da war mal was mit Gaby … naja, wie soll ich das erklären? Es ist ganz schwer. Genauso schwer wie damals, als ich versucht habe, es Henni zu erklären. Das hat auch nicht geklappt. Aber Sie wissen jetzt, dass da was war. Und das war ganz blöd – von mir.

      „Ich bin ja jetzt geschieden“, sagt Henni dann wieder ganz fröhlich so weit. „Schon seit ’n paar Jahren.“

      Aha, also doch schlau geworden. Na, bitte. Sie sitzt also dann nicht mit ihm abends vor dem Fernseher und er hat wahrscheinlich keine schwarzen Hände von der Arbeit in seiner Tuningwerkstatt … aber ein Goldkettchen, das hatte er. Der … BMW-Fahrer.

      „Ach so“, sage ich aber nur und versuche ansonsten einigermaßen unbeteiligt zu bleiben.

      „Ja, und ich wohne jetzt wieder hier“, sagt sie, ganz froh, das Thema wechseln zu können. „Hab’ nach dem Tod meiner Mutter unser altes Haus hier geerbt.“

      „Ja, das hat Klaus mir auch erzählt.“

      „Aha. Hat er vielleicht irgendwas nicht erzählt?“

      Ich grinse etwas unsicher und würde natürlich gerne nach dem „Interessenten“ fragen, den Klaus ja erwähnt hatte und über den man schon so redet im Örtchen, weil der ja offensichtlich ab und zu mal hier erscheint, der Doofmann.

      Aber was geht das mich an?

      Wieder eine dumme Pause. Verdammt aber auch. Ich habe Herzklopfen und Lampenfieber. Hennifieber.

      „Was … macht die Musik?“, fragt sie dann. Wieder ein geschickter Themawechsel.

      „Och, nix mehr. Ist ja schon so lange her.“

      „Ja, ja. Ich hab’ gehört, du bist doch jetzt irgendwie ’ne große Nummer in der Werbung oder so.“

      Sie hat also von mir gehört in all der Zeit zwischen damals und heute. Sie hat sich also für mich interessiert, mich vielleicht sogar vermisst, gesucht, gebraucht …?

      „Och ja“, sage ich nur.

      „Und du wohnst doch in Düsseldorf mit einer …“

      „Ja, ja“, falle ich ihr schnell ins Wort.

      „Mmh. Und: Du verdienst aber ’ne Menge Geld, erzählt man sich so.“

      „Oooch, was man so erzählt.“

      Ja, Sie merken schon, jetzt ist unser Wiedersehensgespräch leider schon wieder festgefahren. Ich bin schuld, aber sie will es retten. Das spüre ich und das gefällt mir.

      „Siehst gut aus!“, sagt sie dann energisch, nachdem sie einmal tief Luft geholt hat und ihre Brüste sich sehr erotisch gehoben und gesenkt haben. Ich will aber nicht zu lange hingucken und darf auch gar nicht an ihre Brüste denken. Einfach flach weiteratmen. Aber das mit dem Gut-Aussehen hätte ich eigentlich sagen müssen. Vergessen. Hach, ja, Heinz-Norbert, wenn’s drauf ankommt.

      „Na, du aber auch, Henni. Hast dich ja gar nicht verändert.“

      „Haha, sehr witzig“, lacht sie. „Wie lange ist das jetzt alles her?“

      „Fünfundzwanzig Jahre!“ Ich weiß es genau.

      „Meld’ dich doch mal bei mir. Ich wohne ja jetzt wieder …“

      „… im gelben Haus, ich weiß.“

      „Ja, dann komm doch mal vorbei, ’ne … Zosche hab’ ich immer kalt.“

      Oh, wie sie das so sagt mit ihrer Stimme, den Füßen, den Kniekehlen, den Knien und den Brüsten … und diesen Augen … ich glaube, wenn sie