Reiner Hänsch

Rotzverdammi!


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scheint mir. Das mit den Bildern zieht auf jeden Fall. Wenn man sich bis dahin noch mit gelegentlichem Schneuzen über Wasser gehalten hat, dann geben einem die Bilder der Verstorbenen den Rest. Jetzt heul endlich, dazu bist du doch schließlich gekommen!

      Aber das Bild, das sie hier von Mutter ausgestellt haben, ist wirklich der Wahnsinn. Naja, wie soll ich sagen? Eigentlich ist es zum Brüllen. Meine Güte, wo haben die das denn bloß her?, denke ich erschrocken. Es zeigt Hilde Flottmann, wie sie sich nur zu ganz besonderen Feiertagen herausgeputzt, „zurechtgemacht“ hatte, wie sie eben immer sagte. Wie ein Pfingstochse, schießt mir der natürlich sehr unpassende Vergleich durch den dröhnenden Schädel. Entschuldigung. Das hat auch mit dem Schock zu tun.

      Das muss direkt nach einem ihrer seltenen Friseurbesuche gewesen sein. Erst Friseur – und dann sofort nach nebenan zum Fotografen, bevor die ganze Pracht wieder zusammenfällt. Das halten wir mal direkt fest. So kriegen wir die Frau doch nie wieder hin. Ihre Haare sind in gewaltige Dauerwellen gelegt mit einem leichten Blaustich, darüber wölbt sich ein topfartiger, blauer Hut mit einer weißen Feder und unter diesem Hut steckt ihr rundes Gesicht mit diesem aufmüpfigen Blick, der mir zu sagen scheint: „Nich ma heute bisse pünktlich, Düsseldorfer Gung! Na, Hauptsache, du biss überhaup’ da an meinem Ährentach. Abba wie du aussiehs’!“

      Ach, tut mir leid, Mutter. Aber, du siehst, heute bin ich tatsächlich endlich mal da. Ja. Tief durchatmen, denn jetzt bin ich nur noch ganz wenige Millimeter davon entfernt, wirklich mit aller Kraft unter dem strengen Blick von Mutter einfach loszuheulen. Und dann kommt wieder die Orgel. Gleichmäßig atmen. Wie wär’s mit Banjo statt Orgel?

      Dann bricht es einfach los und ich kann es auch nicht mehr halten. Dicke salzige Tropfen quillen mir aus den Augen, werden zu regelrechten Sturzbächen und laufen eilig die Wangen runter. Ich wische unbeholfen daran herum und Sabine reicht mir schnell eins ihrer nützlichen Papiertaschentücher.

      Egal. Als Sohn darf man das. Wird wahrscheinlich sogar erwartet. Und eindämmen kann ich solche Fluten eigentlich nur, wenn ich an was Anderes denke. Ganz was Anderes. Wie wär’s zum Beispiel, wenn ich jetzt mal an meinen schönen alten Porsche denke, der noch vor Kurzem für viel Geld generalüberholt worden ist, eine neue Lichtmaschine bekommen hat und eine sehr aufwändige Aufarbeitung des silbernen Lackes … und der jetzt im stinkenden Schwattmecker Brackwasser liegt und vielleicht schon ganz darin versunken ist.

      Ein tiefer Schluchzer rutscht mir heraus und Sabine nickt mir voller Verständnis zu.

      „… und wie es ja auch schon einer der beiden Söhne in dem bekanntesten seiner Lieder mit seiner wunderbaren Band so schön gesungen hat: ,Wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen!‘ Ach, könnte diese Band doch noch einmal für uns alle spielen! Na, wer weiß … Die Wege des Herrn sind unergründlich.“

      Der Pfarrer hat augenblicklich meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Was hat er da eben gesagt? Die Band? Jetzt fängt der auch noch damit an.

      „Ja“, scheint er sich dann zusammenzureißen, die schönen Erinnerungen wegzuwischen und fährt fort. Und er sieht mich dabei direkt an: „Ja, es stehen nicht immer nur Palmen am Wege des Lebens, nein, auch die Misthaufen gehören dazu. Auch mit ihnen müssen wir leben. Und wir müssen lernen, sie zu lieben, unsere Misthaufen. Hildegard Flottmann hat sie geliebt. Sie hat ihre Heimat geliebt, wie es auch wiederum in dem schönen Lied des Sohnes Heinz-Norbert vorkommt.“ Und da sieht er mich schon wieder sehr direkt an. „,Mein Herz schlägt für das Sauerland!‘ Ja. Das tat es wirklich. Und nun wird es hier begraben, wie es dann auch wieder in dem schönen Lied ihres Sohnes Heinz-Norbert vorkommt: ,Begrabt mich mal am Lennestrand!‘ Und das wollen wir nun tun!“

      Meine Güte, sogar der Pfarrer zitiert meinen Song. Das gibt’s ja gar nicht. Regelrecht aufgewühlt folge ich auch dem Rest seiner Predigt, die dann allerdings nur noch von dem üblichen „Herr, nimm diese arme Seele bei dir auf“ handelt und daher für mich weniger interessant ist.

      Dann kommt die Sache mit dem Begraben am Lennestrand. Lenne ist der Fluß, der zwar nicht direkt am Örtchen vorbeifließt, aber das mit dem Lennestrand könnte man trotzdem gelten lassen. Es geht also raus ins Open-Air-Gelände. Der eigentliche Höhepunkt der Feierlichkeit.

      Natürlich gießt es in Strömen.

      Und das beschleunigt die Zeremonie enorm. Der Trauerzug rast geradezu über den Friedhof, einige der etwas älteren und schon leicht gehbehinderten Trauergäste bleiben hoffnungslos zurück. Natürliche Auslese. Und auch der Pfarrer macht es am offenen Grab gnädigerweise ganz kurz.

      Ich höre nur noch „… in Ewichkait. Amen.“

      „Sskheiße“, sagt noch einer der Sargträger, die das Eichenmöbel jetzt in der braunen Brühe versenken, die sich bereits in der Grube gesammelt hat. Einen kurzen Moment scheint der Sarg aufzuschwimmen und dann senkt er sich gurgelnd und schmatzend auf den Grund. Und dann ist es auch schon vorbei. Wir drücken Millionen von Händen, schauen in betroffene Gesichter, die uns schmerzvoll zunicken, einige Hände klopfen mir auf die Schultern – und die Sonne wagt sich wieder raus.

      Und ganz hinten, am Ende der Friedhofshecke sehe ich einen grünen Mann stehen, der seine Kappe in den Händen dreht. Und neben ihm steht ein riesiges, braunes sabberndes Tier und hält den Kopf schief.

      5

      Fass den Onkel nich’ an!

      „Wir fahren getz alle nach Pollmanns Kneipe hin!“, grölt Onkel Dieter voller Vorfreude auf Schnittchen, Teilchen und vielleicht ein leckeres Pilsken dazu über den Parkplatz vor dem Friedhof in die sich langsam zerstreuende Runde.

      „Der Hilde ihr Fell versaufen, woll.“

      Es fehlt nur noch, dass er sich die Hände dabei reibt.

      Einige Köpfe schießen ruckartig und empört zu Onkel Dieter herum, meiner ist dabei. Ich gehöre jetzt also auch zum feindlichen Organismus. Der hat sie wohl nicht alle! Da wundert sich Onkel Dieter dann wohl doch ein wenig und scheint es durchaus in Betracht zu ziehen, dass vielleicht seine Wortwahl nicht unbedingt der Feierlichkeit des Momentes angemessen war. Geradezu übereifrig korrigiert er sich also, mit beiden Händen in Abwehrstellung: „Äh, Kaffeetrinken, meinich.“

      Hätte ich ihm auch geraten! Der Organismus brummt böse und man hört verärgert die Autotüren knallen.

      „Wat is’ denn getz mit dir passiert, Heino?“, fragt Bernd mich dann endlich und auch Sabine lauscht neugierig.

      „Ich hab’ da mein Auto in den Graben gesetzt. Direkt am Ortsschild. Mir ist nichts passiert, wie ihr ja seht …“

      Sie schauen mich an, als würde ich lügen.

      „Naja, gut … die Klamotten, die Beule … aber das Auto muss da unbedingt weg. Meinst du, wir könnten da vielleicht direkt mal …?“

      Aber Bernd sagt nur: „Getz donnich’! Ersma zu Pollmanns. Da besprech’n we alles. Komm, steich ein!“

      Aber ich lehne dankend ab und laufe dann eben zu Fuß durchs Dorf. Sind ja nur ’n paar Schritte, und ich will dann doch lieber mal ’n bisschen alleine sein, wenn es jetzt erst mal nichts wird mit der augenblicklichen Rettung meines Fahrzeuges. Muss mir mal alles aus dem Kopf laufen. Vielleicht lassen auch die Kopfschmerzen gnädigerweise etwas nach. Und außerdem sollte ich mal dringend auf mein Handy gucken … und dann holen wir eben später meinen schönen Porsche aus dem Graben.

      Oh, oh, es gibt viel zu tun!

      Der Blick aufs Display bedeutet allerdings erst mal nichts Gutes. Achtmal die Agentur und fünfmal Sylvia. Was ist schlimmer? Okay. Wat mutt, dat mutt. Ich drücke also mit einem tiefen Durchatmer auf die Rückruftaste mit der Agenturnummer.

      „Mensch, Hardy, endlich“, stöhnt Sven Böckmann, mein Art Director, und dann besinnt er sich freundlicherweise und fragt schnell noch so pro forma: „Haste’s hinter dir? Alles gut gelaufen?“

      „Ja, ja, alles super gelaufen. Was gibt’s, Sven, schieß los!“

      „Hardy, hier brennt der Baum! Atzenberger tickt aus. Er will unsere Kampagne nicht