Gerwalt

Schlag mich! Fessel mich! ... aber mach es richtig'!


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eigentlich nicht.

      Das hat mehrere Gründe: Der Kreativität sind bei Bondage mit Ketten eher Grenzen gesetzt als mit Seil. Sie sind zudem absolut unnachgiebig und können erhebliche ungewollte Schmerzen erzeugen, wenn man beispielsweise darauf zu liegen kommt, eine Situation, die im Eifer der gelebten Sexualität bisweilen auftritt.

      Ketten sind zwar sehr stabil, fesseln aber nur so gut wie ihre Verschlüsse: Nicht umsonst wurden die Ketten im Mittelalter regelmäßig von gehässig aussehenden Schmieden mit den Halsringen vernietet. Heute wäre für jede Verbindung stattdessen ein kleines Vorhängeschloss nötig, also etwa vier bis acht Stück, jeweils mit den entsprechenden Schlüsseln – ansonsten ist die Fixierung nur eine Farce.

      Und Ketten sind laut. Das Rasseln hat eine sehr durchdringende Frequenz; vor allem wenn es als Körperschall über Wandhaken in das Gebäude eingeleitet wird, ist es über mehrere Stockwerke hinweg zu hören.

      Wie bereits erwähnt, werden Ketten mit Schellen oder Manschetten kombiniert. Tatsächlich werden im Internet, sogar relativ günstig, metallene Hand- und Fußfesseln angeboten, die vom Aussehen her in etwa den Sklaven- und Mittelalterfesseln entsprechen. Optisch reizvoll, haben sie in der praktischen Verwendung allerdings dieselben Nachteile wie Ketten: die Unnachgiebigkeit. Hinzu kommt noch ein anderer Effekt: Da die Kette weit außermittig an der Schelle angreift, entsteht bei bestimmten Winkeln des Zuges ein Kippmoment, welches die Kante der Fessel in das umschlossene Glied hineindrückt.

      Diese Nachteile haben Ledermanschetten nicht. Es gibt sie in vielen Variationen und Preisklassen für Hand- und Fußgelenke, sowie Halsbänder, teils mit Schnallen- teils mit Klettverschlüssen, und bei manchen werden die Manschetten direkt mit dem Karabinerhaken verschlossen, der die Kette an ihr fixiert. Der Punkt, den es zu beachten gilt, ist die relativ geringe Festigkeit der Manschetten. Sie sind mehr oder weniger sorgfältig genäht und eigentlich nicht dafür ausgelegt, das Körpergewicht zu tragen, auch wenn sie sehr stabil aussehen. Ansonsten sind sie weitgehend unproblematisch.

      Natürlich gibt es noch viele weitere Utensilien, mit denen gefesselt werden kann, doch davon mehr nach dem Werbeblock.

      Hochzeitstag

      »Ruth? Bist du da?«

      Joseph stand einen Augenblick unschlüssig im Flur, in der einen Hand die Aktentasche, in der anderen den Blumenstrauß, den er eben noch schnell an der Tankstelle gekauft hatte.

      Er horchte, aber es kam keine Antwort.

      Also stellte er die Aktentasche unter der Garderobe ab und ging, den Blumenstrauß verspätet von seinem Cellophanpapier befreiend, durch die Stube in die Küche, aber auch dort war Ruth nicht. Sie hätte sonst auch Antwort gegeben. Joseph warf das Papier in den Mülleimer, und einen Augenblick lang war er ratlos. Er selbst hätte den Hochzeitstag, ihren 26., beinahe vergessen, aber bei Ruth war das nicht anzunehmen.

      Eigentlich hätte er erwartet, dass sie etwas gekocht hätte oder ihn zumindest etwas sorgfältiger als sonst gekleidet – nicht dass sie etwa nachlässig gewesen wäre – aber immerhin mit etwas mehr Schick angezogen erwartet hätte, damit sie zum Essen hätten ausgehen können. Die Entscheidung, zu Hause oder im Gasthaus zu essen, überließ er gewöhnlich ihr, wollte er ihre Kochkünste doch nicht in Frage stellen. Tatsächlich kochte Ruth sehr gut, und er aß ihr Essen immer gerne; es ging ihm mehr um die Arbeit, die sie durch das aufwendige Zubereiten hatte. Er wollte sie zu nichts zwingen.

      Josephs Gedanken waren ihm entglitten, und er musste sich eingestehen, dass er jetzt unruhig war.

      Sicherlich gab es 1000 Gründe, warum Ruth nicht da war, vielleicht hatte sie etwas vergessen zu kaufen und war schnell in den Ort zu dem kleinen Supermarkt gefahren.

      Doch ihr Auto stand draußen, das konnte also nicht sein.

      Wäre sie unvorhergesehener Weise weggerufen worden, beispielsweise weil ihrer Mutter etwas geschehen wäre, dann hätte sie ihm gewiss eine Nachricht hinterlassen, in der Firma angerufen. Ein Handy besaß er ja nicht, aus Überzeugung, doch in solchen Augenblicken …

      Vielleicht – Joseph wurde unbehaglich – hatte sie ja die Koffer gepackt und ihn grußlos verlassen?

      Er konnte sich zwar nicht vorstellen, weshalb, ihre Ehe war jetzt nicht direkt unglücklich, wenn auch zu einer eigentlich an Langeweile grenzenden Ruhe gekommen – aber zu gehen, ohne Nachricht, ohne vorherige Auseinandersetzung, sozusagen ohne Abmahnung einfach zu gehen, das sähe Ruth nun wirklich nicht ähnlich.

      Joseph dachte nach, warum er die Möglichkeit, Ruth könnte ihn verlassen haben, überhaupt in Erwägung zog.

      Weil …

      Sie hatte ihm tatsächlich eine Nachricht hinterlassen. Ein Zettel auf dem Küchentisch.

      »Im Stall« stand da, in Ruths nicht sehr sauberer Handschrift. Ruths eigenwillige und kaum leserliche Schrift überraschte Joseph immer wieder. Eigentlich passte sie nicht zu ihr; Ruth war ein ordentlicher und in gewisser Weise geradezu schöngeistiger Mensch.

      »Im Stall« …

      Joseph war 53 Jahre alt, arbeitete seit langem in der Qualitätssicherung, was ihn mit der Zeit vielleicht ein wenig pedantisch hatte werden lassen, aber er war es auf der anderen Seite immerhin gewohnt, komplexe Situationen schnell und zutreffend zu analysieren.

      Jetzt im Augenblick schrillten bei ihm alle Alarmglocken.

      Er und Ruth, nun, höflichkeitshalber »Ruth und er« hatten sich, nachdem die Kinder aus dem Haus gewesen waren, den kleinen Bauernhof außerhalb des Dorfes gekauft, von einem Nebenerwerbslandwirt, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Ein kleines Anwesen mit einem schönen Bauerngarten davor, Wohnhaus und Scheune im selben Baukörper vereinigt und dem Wohngebäude gegenüber ein kleiner Schuppen, der früher einmal Schweine- und Ziegenstall gewesen sein mochte. Doch das war wohl schon so lange her, dass weder er noch Ruth den Schuppen als Stall wahrgenommen hatten, jedenfalls hatten sie dieses Wort nie im gemeinsamen Gespräch benutzt.

      Warum sprach sie nun von »Stall«?

      Und warum war ihre Schrift auf dem Zettel womöglich noch krakeliger als sonst?

      Einen irrwitzigen Augenblick lang dachte Joseph daran, dass Ruth sich etwas angetan haben könnte. Im Stall erhängt. Tat man das gewöhnlich nicht dort?

      Joseph versuchte ruhig zu bleiben, wiewohl er schon im Eilschritt nach draußen über den Hof ging. Er schaffte es, seine Schritte zu zügeln und blieb einen Augenblick vor der Tür des Schuppens stehen, bevor er sie langsam öffnete.

      »Bist du da, Ruth?«

      Sie gab ihm keine Antwort, doch er wusste, dass sie da drinnen war. Es dauerte einen Augenblick, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten.

      Dann sah er sie.

      »Hallo Ruth«, sagte er schließlich und stützte die Ellbogen auf die Brüstung des Schweinekobens. Sie hatte den Verschlag, der vorher voller Gerümpel gewesen war, ausgeräumt und eine Decke auf dem Boden ausgebreitet. Auf der kniete sie jetzt.

      Joseph hatte tatsächlich Schwierigkeiten gehabt und hatte sie auch jetzt noch, die Frau auf der Decke, dieses Wesen, als seine Ruth zu identifizieren, als die Frau, mit der er seit 26 Jahren verheiratet war.

      Sie trug jetzt eine lederne Augenbinde, zudem war ihr ganzer Kopf von einem Ledergeschirr umschlossen. Ein gummierter Ball zwängte ihre Lippen weit auseinander. Ihr Oberkörper wurde von einer Art Korsage umfangen, die …

      Nun gut, Ruth trug ein eng geschnürtes ledernes Unterbrustkorsett und Overknees, beides in Schwarz.

      Woher weiß sie?, dachte Joseph, doch dann dämmerte ihm, dass Ruth einfach seinem Internetverlauf gefolgt sein musste.

      Ich Idiot, dachte er, ich dämlicher Hund; sie ist doch auch nicht von gestern. Und neulich war erst so ein IT-Kerl da, weil der PC zusammengebrochen war …

      Gut. Nun kniete sie hier.

      Eine bizarre, aber nicht unbedingt bedrohliche Situation.