Joachim Ackva

rüffer&rub visionär / Ein Konto für die ganze Welt


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voranzubringen. Der Dreh- und Angelpunkt ist allerdings die praktische Kraft der Globalen Hausverwaltung. Da wir inzwischen als einzelne Menschen vielerorts vernetzt sind, lässt sich diese Kraft heute viel besser sammeln als früher. Der Aufklärer Hugo de Groot vertrat den Weltordnungsgedanken bereits 1625, mitten im Dreißigjährigen Krieg.7 Immanuel Kant8 konstatierte 1795 eine Völkergemeinschaft, in der »die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird«. Die im 19. und 20. Jahrhundert wurzelnden Gremien der Interparlamentarischen Union und des Völkerbunds folgten diesem Ideal. Doch solch supranationale Institutionen erhielten seit je wenig Kompetenzen von den Nationalstaaten.

      Der Völkerbund zerfiel vor dem Zweiten Weltkrieg, weil einige Siegermächte des Ersten Weltkrieges ihn nur so lange beachteten, wie er ihren eigenen Interessen diente. Schließlich überfiel Japan im Jahr 1931 die Mandschurei, und Italien warf sich 1935 auf Äthiopien. Beide kamen mit ihrer völkerrechtswidrigen Mordbrennerei praktisch ungestraft davon. Das verdeutlichte, wie wenig die Nationalstaatenwelt willens war, sich für internationales Recht einzusetzen. Albert Einstein schrieb:9 »Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das gegenwärtige System souveräner Nationen Barbarei, Krieg und Unmenschlichkeit nach sich ziehen muss und dass nur ein Weltrecht zu einer zivilisierten friedlichen Menschheit führen wird.«

      Heutzutage bemühen sich die UN zweifellos viel erfolgreicher als der Völkerbund um das Weltrecht. Doch Regierungen umgehen oder nutzen sie oft je nach taktischem Bedarf und beschneiden so den Ruf und die Wirkkraft der UN. Manche Regierungen gehen dabei sehr weit. Beispielsweise zerstörten die Wirtschaftssanktionen des UN-Sicherheitsrates gegen den Irak in den 1990er-Jahren dessen Wirtschafts-, Gesundheits- und Sozialsystem. Experten schätzen, dass dadurch u.a. bis zu einer halben Million Kleinkinder starben.10 Im Irak gab es kaum mehr sauberes Trinkwasser – das Importverbot umfasste auch Mittel zur Wasseraufbereitung. UN-Mitarbeiter, im Irak tätige Hilfsorganisationen und zahlreiche Regierungen erkannten den Kollaps und protestierten gegen die Sanktionsbedingungen, zwei UN-Programmleiter legten ihr Amt aus Protest nieder, 20 Mitarbeiter der Menschenrechtsabteilung ebenso. Die im UN-Sicherheitsrat für die Sanktionen verantwortlichen Regierungen führten die Blockade mit unverminderter Härte weiter. Sie argumentierten, der irakische Diktator sei schuld. Er müsse einlenken und belegen, dass er keine Massenvernichtungswaffen besitze.11 Eine Katastrophe und moralische Selbstschwächung der Menschheit nahmen ihren Lauf: »Wir haben die Beweise für das Leiden der Zivilbevölkerung regelrecht geleugnet und jeden mundtot gemacht, der die Sanktionen infrage stellte«, sagt der zuständige britische Diplomat Carne Ross rückblickend. Von ihm wurden auch die Äußerungen des UN-Generalsekretärs überwacht. »Ich habe die Berichte seines Büros vor Erscheinen redigiert. Annan hat gesagt, was wir wollten.« Ross quittierte 2004 desillusioniert den Dienst. Nach 15 Jahren Diplomatie war in ihm die Überzeugung gereift, dass Regierungen der Grund für viele Instabilitäten in der Welt sind. Er sah zu oft geschützte Eliten politische Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen Schutzlose zu tragen hatten.12

      Eine klare Abwertung erfahren die UN auch durch den Trend, dass mächtige Regierungen ihre Beschlüsse lieber in von der UN unabhängigen Gremien abstimmen, in abgegrenzten Interessengemeinschaften wie den G8 oder in der OECD, sodass schwächere Staaten von den Entscheidungen zwar oft betroffen sind, aber kaum mitreden können. Bezeichnend ist auch, dass eine privatwirtschaftlich organisierte Veranstaltung wie das Weltwirtschaftsforum in Davos viel Zulauf erhält, während die UN an Präsenz und Status eingebüßt haben. Gleichwohl stellen die UN mit ihren Unterorganisationen die am häufigsten ausgezeichneten Friedensnobelpreisträger. Als globaler Zusammenschluss von zzt. 193 Staaten verfügen sie potenziell über eine hohe Legitimation. Sie kümmern sich gemäß ihrer Charta um die Sicherung des Weltfriedens, um den Schutz der Menschenrechte und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit auch im wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bereich. So wurden im zivilen Sektor sehr erfolgreich souveräne Staaten in ein internationales Regelwerk eingebunden und zahlreiche Abkommen geschaffen, die z.B. die internationale Luftfahrt oder die weltweite Postversendung ermöglichen. Bei genauerem Hinsehen zeigen die UN zwei Gesichter. Das eine Gesicht bilden die Regierungsvertreter. Sie organisieren sich in bestimmten UN-Gremien: in der Generalversammlung, im Sicherheitsrat, im Wirtschafts- und Sozialrat usw. Sie definieren dort Ziele, vergeben Ressourcen und verfolgen dabei naturgemäß oft ein kurzfristiges Nationalinteresse. Entsprechend dem UN-Gründungsjahr 1945 spiegelt sich dabei die Nachkriegsordnung wider: Die fünf Siegermächte dominieren den UN-Sicherheitsrat und können per Vetorecht alle Mehrheitsentscheidungen bezüglich Sanktionen oder militärischen Eingreifens in Konflikte blockieren. Im Hauptorgan der UN-Generalversammlung sitzen weisungsgebundene Diplomaten aller 193 Regierungen. Hinter ihnen stehen verschiedenste Herrschaftsformen mit mehr oder weniger Bürgerbeteiligung. Dabei gilt: Ein Land – eine Stimme. Ein Kleinstaat wie Tuvalu besitzt das gleiche Stimmgewicht wie China, in dem über hunderttausendmal mehr Menschen leben.

      »Mir wurde in diesen Jahren immer klarer, wie unglaublich hegemonial oft vorgegangen wurde, um die UNO so zurechtzuschneidern, dass sie den politischen Zielen der Großmächte … angepasst wurde«, sagt Hans-Christof Graf Sponeck nach rund drei Jahrzehnten in verantwortlichen UN-Positionen. Er fährt fort: »Die Auslegung der UN-Charta, vor allem die Auslegung von Art. 100 und Art. 101, muss sehr viel ernster genom-men werden. Art. 101 definiert, welche Mitarbeiter in der UN tätig sein sollen: Da geht es um Effizienz, um Kompetenz und um Integrität. Und Art. 100 sagt: Regierungen, lasst eure Finger aus der UNO-Arbeit heraus. Definiert die Politik, aber der UNO-Generalsekretär und seine Mitarbeiter sind verantwortlich für die Umsetzung. Solange die Regierungen immer wieder versuchen, auf der Führungsebene ihre eigenen Leute zu platzieren … solange kann die UNO nicht optimal arbeiten.«13

      Das zweite Gesicht der UN ist also das ausführende Sekretariat mit seinem internationalen Dienst unter dem Generalsekretär. Die Aufgabe dieses zweiten Gesichts ist es, unabhängig von Einzelinteressen für die internationale Gemeinschaft zu wirken. Diese Pflicht lässt sich allerdings nur schwer erfüllen, solange der ausführende Dienst seine Ressourcen von Regierungsgremien erhält, die naturgemäß national gesinnt sind. »Viele der Defizite der UN sind strukturell bedingt – und verwurzelt im begrenzten Interesse der Mitgliedsstaaten, das UN-Sekretariat mit der notwendigen Autonomie und mit den Ressourcen auszustatten, um die Vielfalt der Aufgaben zu erfüllen«, resümiert Sebastian Graf von Einsiedel, Director am UNU Centre for Policy Research, Tokyo.14

      Seit einigen Jahren läuft eine Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den UN.15 Ziel: National oder regional entsandte Parlamentarier sollen zumindest eine beratende Stimme bilden. Doch die Chancen dafür sind gering.

      Davon abgesehen, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung gar nicht in Ländern lebt, in denen es »echte« Volksvertreter zu entsenden gibt: Auch ein nur verbal agierendes Weltparlament trifft noch auf betonharten Widerstand vieler Regierungen.

      Bei jeder annähernd legitimen globalen Bürgervertretung würden sich klare Mehrheiten bilden. In einer Nationenwertung würden China (ca. 19 % der Weltbevölkerung) und Indien (ca. 18 %) dominieren. Insgesamt stellen die aufstrebenden Länder derzeit rund 85 % der Weltbevölkerung. Viele von ihnen wachsen kopfmäßig schneller als der Westen und sind dabei häufig politisch instabiler und unfreiheitlicher. Aus Sicht z.B. der USA mit 4,4 % der Weltbevölkerung und 31,8 % des Weltprivatvermögens sieht damit jegliche repräsentative Struktur wenig erstrebenswert aus.16 Ein direkterer Weg, die UN zu einer wirksam treibenden Kraft der Global Goals auszubauen, umfasst zwei Schritte: 1. Bei der Analyse der UN ist sauber zu trennen zwischen dem Regierungsgesicht und dem von Einzelinteressen unabhängigen Antlitz des UN-Sekretariats mit seinem internationalen Dienst. 2. Es gilt, das Sekretariat in seiner Autonomie entsprechend der UN-Charta zu stärken und mit den erforderlichen Ressourcen auszustatten. Dies können wir als globale Zivilgesellschaft mithilfe eines UN-Weltkontos leisten. Wenn also im Zusammenhang mit dem Weltkonto von »Globaler Hausverwaltung« die Rede ist, ist das unabhängige UN-Sekretariat mit seinem internationalen Dienst gemeint.

      Derzeit bildet sich ein planloses Vakuum, in dem sich repressive Regime ausbreiten. Sie ersetzen die ohne wirkliche globale Kooperation oft schwierigen sachlichen Aufgaben durch die scheinbar leichtere Aufgabe, eine Gesellschaft zu ordnen, die äußeren Feinden trotzt und innere Feinde eliminiert. Um diese Politik zu rechtfertigen, beruft man sich meist auf Angriffe auf die Gesellschaft. Besonders Attentate erhalten so immer wieder