Lynn Blattmann

Sozialfirmen


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mehr als der Fehlbetrag von 1000 CHF (rund 655 EUR), der bei seinem Arbeitgeber bestand und zu seiner Kündigung führte. In den drei Jahren seit seiner Kündigung sind Kosten im Umfang von fast 180 000 CHF (rund 118 000 EUR) aufgelaufen. Wenn sich seine Frau von ihm trennt, müssen zwei Haushalte unterhalten werden, und die Kosten für die Sozialhilfe steigen nochmals kräftig an. Wenn wir davon ausgehen, dass der mittlerweile 54-jährige Mann wahrscheinlich keine Stelle im Ersten Arbeitsmarkt mehr findet, so wird allein die Sozialhilfe bis zu seinem Pensionsalter über 500000 CHF (rund 328000 EUR) kosten. Danach werden Zusatzleistungen zur Altersrente nötig sein, da die Rente und die verbliebene Pensionskasse für ein existenzsicherndes Einkommen im Alter nicht reichen werden. In diesem Beispiel sind keine negativen Nebenwirkungen auf die beiden Kinder einkalkuliert, die durch die Langzeitarbeitslosigkeit ihres Vaters und die damit verbundenen familiären Probleme auch mitbetroffen sind. Es ist zu erwarten, dass sie sich mit schulischen Schwierigkeiten auseinandersetzen müssen und dafür zusätzliche Unterstützung benötigen.

      Selbstverständlich lassen sich solche hypothetischen Fälle nicht genau rechnen, da die Realität immer wieder andere Voraussetzungen schafft. Dennoch zeigt sich deutlich, dass es die Gesellschaft teuer zu stehen kommt, wenn sie einen erheblichen Teil ihrer erwerbsfähigen Bevölkerung vom Arbeitsleben ausschließt und Arbeitslosigkeit nur verwaltet und für ihre finanzielle Abgeltung sorgt. Zudem ist es auch gesellschaftlich unfair, eine wachsende Gruppe von Menschen langfristig und dauerhaft von der Arbeit fernzuhalten und ihnen die Schuld für ihre Arbeitslosigkeit immer wieder implizit oder explizit selbst zuzuschreiben.

      Partnerschaft zwischen Staat und Sozialunternehmern

      Angesichts der vielen anstehenden Probleme im Umfeld der Sockelarbeitslosigkeit stellt sich die Frage, wo die positiven Kräfte und Ideen für eine bessere Arbeitsintegration in Zukunft herkommen sollen.

      Arbeitsintegration ist heute eine rigide gesteuerte Angelegenheit, die wenig Freiraum für Neues lässt. Viele Institutionen sind seit mehreren Jahrzehnten im Bereich der Arbeitsintegration tätig; meist sind dies private Organisationen mit verwaltungsähnlichen Strukturen. Die Verzahnung zwischen den bezahlenden Stellen, wie beispielsweise der Kommune oder der Arbeitslosenkasse beziehungsweise dem Amt für Arbeit, und den Anbietern ist eng, und es besteht wenig unternehmerischer Handlungsspielraum für die Anbieter. Zahlreiche Anbieter verstehen es bestens, die heutigen Verhältnisse klug zu analysieren. Viele warnen auch vor den Folgen der aktuellen Entwicklung im Umgang mit der Arbeitslosigkeit. Den Problemanalysen folgen jedoch wenige Ideen, wie die Situation langfristig geändert werden könnte.

      Auch methodisch hat sich in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Arbeitsintegration nur wenig getan. Der Glaube an die Wirksamkeit von Weiterbildung und befristeter Beschäftigung als Mittel zur Reintegration von Arbeitslosen ist ungebrochen. Dies ungeachtet der Tatsache, dass Beschäftigungsmaßnahmen von den Betroffenen oft als nicht sehr sinnvoll erlebt werden und die Wirksamkeit derartiger Programme im Hinblick auf eine Reintegration in den Ersten Arbeitsmarkt auch unter Fachleuten umstritten ist.

      In allen staatlichen Weisungsunterlagen ist eine große Angst vor Wettbewerbsverzerrung zu spüren, da Arbeitsintegrationsmaßnahmen teil- oder vollsubventioniert sind. Diese Angst ist verständlich, und es ist sicher richtig, dass Arbeitsintegration auch in dieser Hinsicht zu besonderer Rücksicht verpflichtet ist. Noch gibt es erst wenige Ansätze zur Arbeitsintegration, die methodisch nahe an der Wirtschaft liegen. Es ist, als ob die Angst vor Wettbewerbsverzerrung das Denken in Richtung einer unternehmerischeren, stärker marktorientierten und betriebswirtschaftlich ausgerichteten Arbeitsintegration lähmen würde. Dabei gibt es durchaus erste erfolgversprechende Schritte in Richtung einer engeren Zusammenarbeit mit Privatunternehmen auch in Deutschland. Zahlreiche Firmen lassen beispielsweise Teilfertigungsschritte, die viel Handarbeit benötigen, durch Arbeitsintegrationsfirmen ausführen. Ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung ist die aus den USA stammende Idee des »Supported Employment«, mit dessen Methode Behinderte direkt in den Ersten Arbeitsmarkt platziert und durch externe Coachs so unterstützt werden, dass sie ihre Arbeitsstelle dort auch tatsächlich behalten können.14 Eine europäische Studie, die in verschiedenen Ländern parallel durchgeführt wurde, zeigt, dass mehr als die Hälfte aller Vermittelten auch nach einem Jahr ihre Stelle im Ersten Arbeitsmarkt noch halten konnten und Direktplatzierungen zudem deutlich billiger sind als institutionalisierte Beschäftigungsmaßnahmen.

      In Deutschland hat die Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit geschaffen, zusätzliche Arbeitsplätze in Betrieben für Langzeitarbeitslose und Leistungsbeeinträchtigte längerfristig zu subventionieren. Auch in der Schweiz kann der Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen mittels Lohnzuschüssen vereinfacht werden. Dennoch bleibt das Interesse der Wirtschaft an derartigen Anreizen in der Schweiz vergleichsweise gering. Es scheint ein Problem zu geben an der Schnittstelle zwischen Staat und Privaten. Viele Wirtschaftsunternehmen mussten sich im Zuge der Globalisierung verstärkt einem internationaleren Parkett zuwenden und konnten sich weniger auf lokale Probleme konzentrieren; doch allein kann der Staat die anstehende Aufgabe nicht bewältigen.

      Die finanziellen Anreize haben bislang wenig bewirken können, sie wurden von den Unternehmen eher als Druckmittel aufgefasst. Auch auf der Ebene der Arbeitnehmenden herrschte in den letzten Jahren ein deutlich verstärkter Druck. Der Bereich der Integration gehört zu den Zwangsmaßnahmen; dies kommt bei den Betroffenen jedoch nicht immer gut an. Beschäftigungsmaßnahmen werden zwar als Hilfe verstanden, die einem arbeitslosen Menschen Integration »angedeihen lassen«, damit ist aber durchaus auch ein Zwang verbunden. Während beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit wiederholt darauf hinweist, dass es kein Recht auf eine Integrationsmaßnahme gibt, besteht die Pflicht, eine solche anzunehmen, wenn sie verfügt wird; wer sie nicht annimmt, muss mit Unterhaltseinbußen rechnen. Die Situation ist paradox. Einerseits wird Druck gemacht für die Arbeitsintegrationsprogramme, andererseits fehlen genügend Möglichkeiten sinnvoller Arbeit für Arbeitslose.

      An diese unbefriedigend organisierte Schnittstelle zwischen Staat und Privaten treten in den letzten Jahren als dritte Gruppe von Akteuren vermehrt Sozialunternehmerinnen oder Sozialunternehmer. Unter diesem Begriff versteht man unternehmerisch tätige Personen, die sich mit wirtschaftlichen Mitteln pragmatisch und langfristig für einen wesentlichen positiven Wandel der Gesellschaft einsetzen. Sozialunternehmer im engen Wortsinn sind Personen, die anstehende soziale Probleme »an die Hand nehmen« (Entrepreneur), jedoch im eigenen unternehmerischen Risiko handeln und nicht in eine staatliche Organisation eingebunden sind. Sie sind Unternehmer im ursprünglichen Sinn, das heißt, sie entwickeln die Wirtschaftsressourcen aus Bereichen geringerer Produktivität so, dass sie höhere Produktivität und höhere Erträge erzielen. Sozialunternehmer sehen ein solches Potential auch im Bereich der vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Personen, die sich eine gewisse Arbeitsfähigkeit erhalten haben, und suchen nach Mitteln und Wegen, um diese Ressourcen zu stärken. Sie verfolgen damit zwei Ziele: Erstens soll die Arbeitsfähigkeit der vom Ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Personen zu ihrem Optimum entwickelt werden, und sie sollen dafür einen Lohn erhalten, der ihren Fähigkeiten entspricht. Zweitens soll Personen, die das entsprechende Potential haben, eine Wiedereingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Damit soll die Durchlässigkeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Arbeitsmarkt vergrößert werden.

      Der amerikanische Ökonom Peter F. Drucker definiert den Unternehmer als eine Person, die immer auf der Suche ist nach Veränderung, die auf Veränderung reagiert und diese als Chance nutzt. Eine Sozialunternehmerin oder ein Sozialunternehmer verbessert gemäß Drucker die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft.15 Sie oder er bewirkt einen systemischen gesellschaftlichen Fortschritt und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen dafür ziemlich ungünstig erscheinen.

      Im Bereich der Arbeitsintegration sind sozialunternehmerische Personen heute besonders gefragt, denn die Situation ist verfahren und erscheint vielen als hoffnungslos. Die Gelder werden knapper, und es bleiben immer mehr Arbeitskräfte unerschlossen. Eine wachsende Zahl von Menschen landet für lange Zeit oder für immer in der Arbeitslosigkeit. Sie müssen sich neben empfindlichen Einkommenseinbußen mit einem gravierenden Statusverlust und mit einer zunehmenden Perspektivenlosigkeit auseinandersetzen. Die Gesellschaft bringt ihnen kaum Wertschätzung entgegen. Sie sehen sich mit subtilen oder offenen Vorwürfen der Faulheit und der Nutzlosigkeit