Richard Moss

Die Kraft der Präsenz


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Moment zu sich selbst haben. Ändern Sie die Beziehung zu sich selbst – und alles andere wird sich ebenfalls ändern. Wie Albert Einstein schon so treffend bemerkte, kann man ein Problem nicht auf der gleichen Bewusstseinsebene lösen, auf der es entstanden ist.

      Wenn Leiden das Problem ist und dieses Leiden vor allem aus Ihrem Denken resultiert, dann werden Sie Ihren Schmerz nicht lindern beziehungsweise Ihr Problem (beispielsweise Angst oder Unglücklichsein) nicht lösen, wenn Sie auf Ihrer derzeitigen Verstandesebene bleiben. Selbst wenn Sie beschließen, positiv zu denken, werden Ihre Gedanken früher oder später wie ein Pendel wieder zur negativen Seite hin ausschlagen.

      Es geht nicht um das, was Ihrer Ansicht nach mit Ihnen oder einer anderen Person nicht in Ordnung ist. Sie müssen vielmehr die Ebene wechseln und vom Denken in einen Zustand gehen, in dem Sie Ihres Denkens gewahr sind. Denn dies ist die Beziehung, um die es geht: die Beziehung Ihres Selbst, das gewahr ist, zu ihren Gedanken, Emotionen und Gefühlen.

      Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie leidvoll es sein kann, schwierige Zeiten zu durchleben. Ich kenne aber auch die Erfahrung, dass sich der Großteil meines Leidens auflöst, wenn ich zu meinem Selbst zurückkehre, das im gegenwärtigen Moment gewahr ist. Ruhen wir dergestalt in der eigenen Mitte, dann verlieren die Geschichten, die der Verstand uns erzählt und die uns ängstigen und zum Opfer werden lassen, ihre Macht. Die selbst erzeugten Muster des Leidens werden sichtbar und Sie können heilsame Veränderungen vornehmen. Allein durch diese Verlagerung des Bewusstseins entsteht spontan ein Gefühl des Wohlbefindens und der Dankbarkeit für das eigene Leben.

      Mir ist bewusst, dass bereits vieles über das Leben im Hier und Jetzt geschrieben wurde. Allerdings gibt es nur wenig Literatur dazu, wie man tatsächlich dorthin gelangt – wie man vollständig präsent wird und in dieser Präsenz bleibt. In diesem Buch finden Sie effektive Übungen und einen klar vorgezeichneten Weg zum Erreichen von Präsenz. Sie werden die Fülle des Moments erleben und lernen, wie Sie diesen Ort immer leichter und immer öfter erreichen können. Sie werden verstehen, wohin Sie gehen, wenn Sie nicht im Jetzt sind, und auf welche Weise Sie immer wieder aus dem Jetzt abdriften. Wenn Sie lernen, die Einsichten und Hilfsmittel einzusetzen, die Sie auf den nachfolgenden Seiten finden, werden Sie (wie viele andere vor Ihnen) sich nahezu wie ein neuer Mensch fühlen.

      Mein Weg vom Arzt zum Lehrer

      Ich habe Medizin studiert, ich bin fest in den Grundlagen der empirischen Wissenschaft verankert und habe meinen Respekt für den wissenschaftlichen Ansatz nie verloren. Aus diesem Grund würde ich niemals leichtfertig Behauptungen über mögliche Heilerfolge bei emotionalen und körperlichen Leiden aufstellen, die sich aus dem Erlernen des vollständigen Präsentseins in Ihrem Leben ergeben können. Alles, was ich hier schreibe, basiert auf nahezu 35 Jahren Arbeit und Erfahrung mit Zehntausenden von Menschen. Allerdings begegne ich diesen Menschen nicht mehr in einer Arztpraxis, sondern im Rahmen von Seminaren, die in Form von Retreats stattfinden und sozusagen experimentelle Abenteuer sind, bei denen man lernt, voll und ganz im Jetzt zu leben und alle notwendigen Fertigkeiten zu entwickeln, um weiterhin in der Präsenz zu bleiben. [Retreat = Rückzug, Zeit des Rückzugs, Auszeit. Im Deutschen bezeichnet das Wort in der Regel eine Zeit der Einkehr und Besinnung in einer anderen Umgebung; im Kontext dieses Buches: mehrtägige Seminare, in denen neue Konzepte erlernt und selbst erfahren werden. Anm. d. Übers.]

      Mein Weg vom Arzt im traditionellen Sinne, der in Notfallambulanzen und Krankenhäusern tätig war, zum Erforscher von Bewusstsein und Herz begann an meinem dreißigsten Geburtstag mit einer Erfahrung, die ich in Ermangelung eines besseren Wortes als „Erwachen“ bezeichnen möchte. Ohne erkennbaren Grund gelangte ich da in einen Zustand reinen Seins, einen Zustand der Liebe und des Einsseins. In den darauf folgenden Wochen und Monaten folgten auf Phasen reiner Glückseligkeit Zustände abgrundtiefer Angst. Schritt für Schritt lernte ich, in mir Raum für diese Extreme zu schaffen und in jedem Fall präsent zu bleiben. Natürlich ahnte ich damals noch nicht, dass dies den Kern der Arbeit darstellte, die ich für den Rest meines Lebens tun würde.

      Diese Phase meines Lebens veränderte mich grundlegend. Sie öffnete innere Türen zu neuen Ebenen meiner selbst und zu neuen Fähigkeiten. Plötzlich konnte ich die Emotionen der Menschen um mich herum mit vollkommener Klarheit spüren und manchmal konnte ich sogar erahnen, was sie gerade dachten. Ich konnte so tiefes Mitgefühl für das Leid einer Person empfinden, dass sie sich gesehen und verstanden fühlte. Auch war ich nun in der Lage, in meinen Händen Energie zu spüren und diese Energie aus den Händen sanft zu anderen Menschen strömen zu lassen; damit konnte ich häufig körperliche Schmerzen lindern.

      Ich spürte einen Strom der Präsenz, der mich durchdrang, und konnte wahrnehmen, wie er sich in Abhängigkeit von meinen Gedanken veränderte: Je präsenter ich war, desto stärker war er. Diese Präsenz hatte auch Einfluss auf andere. Sie beruhigte sie und ließ sie offener und empfänglicher werden. Während sie in diese Präsenz einbezogen wurden, wurde sie auch in mir selbst stärker. Aufgrund dieses Phänomens gab ich meinem ersten Buch, das ich 1979 schrieb, den Titel: The I That Is We [zu Deutsch etwa: Das Ich, das ein Wir ist; Anm. d. Übers.].

      Kurz vor diesem „Erwachen“ hatte ich – als ob ich intuitiv gespürt hätte, dass sich eine größere Veränderung anbahnte – unbegrenzten Urlaub genommen. Wie sich herausstellte, sollte ich nie wieder in die Berufstätigkeit als Arzt zurückkehren. In den nachfolgenden Monaten blieb ich einfach zu Hause, las spirituelle Klassiker (von denen ich auf einmal gar nicht genug bekommen konnte) und unternahm lange Spaziergänge. Bereits nach kurzer Zeit jedoch suchten mich einige meiner ehemaligen Patienten auf und ich begann, mich mit ihnen bei mir zu Hause zu treffen. Wir saßen erst schweigend beisammen und hielten uns einfach nur an der Hand, manchmal bis zu einer halben Stunde lang; und dann redeten wir. Eines Tages rief mich eine Psychologin an, bei der eine meiner „Patientinnen“ in Therapie war. Sie erzählte mir, dass ihre Klientin enorme Fortschritte gemacht habe, und schrieb diese der mit mir gemeinsam verbrachten Zeit zu. Auf die Frage, was ich denn da eigentlich tue, antwortete ich: „Einfach nur präsent sein.“ Daraufhin trug sie die Idee an mich heran, für sie und einige ihrer Kollegen einen Workshop abzuhalten und ihnen meine „Methode“ zu vermitteln. Auf diese Weise begann meine neue berufliche Laufbahn, ohne dass ich auch nur im Geringsten darüber nachdenken musste.

      Heute verstehe ich mich als Lehrer der Seele, der über einen medizinischen Hintergrund verfügt, aber gleichzeitig weiß, dass das Bewusstsein – genauer gesagt: der Zustand des Gewahrseins, in dem man sich im Jetzt befindet – die größte aller menschlichen Kräfte ist. Wenn Sie wirklich verstehen, wie Sie Ihre Verbindung zum Jetzt immer wieder verlieren und wie Sie sich selbst wieder ins Jetzt bringen können, werden Sie genauso zuverlässig zum Wohlbefinden zurückfinden, wie Sie mit einer guten Ausbildung so schwierige Disziplinen wie Mathematik, Chemie oder Physik beherrschen können. Ich bin sicher, dass Sie mit dem, was Sie in diesem Buch lernen, zuverlässiger zu innerem Frieden gelangen als mit dem Schlucken einer Pille. Das bedeutet nicht, dass ich dem medizinischen Fortschritt und dem Einsatz von Medikamenten grundsätzlich ablehnend gegenüberstünde – im Gegenteil; aber ich weiß einfach, dass die Kraft Ihres Gewahrseins stärker ist.

      Die von mir geleiteten Retreats waren und sind wie eine Art Labor und erkunden weiterhin, mit welchen Techniken und Übungen man Menschen am besten in die Lage versetzt, vollkommen präsent, voller Leben und zu wahrer Nähe und Liebe fähig zu sein. Ich habe diesen Weg im Übrigen nicht eingeschlagen, weil ich ihn zu beherrschen glaubte und wusste, dass er für andere gut war. Ich habe es vielmehr ebenso sehr für mich wie für meine „Schüler“ und Klienten getan. Ich selbst musste das alles erst lernen und Erkenntnisse sammeln, während ich Schritt für Schritt voranging. Wie jeder Forscher lerne ich nie aus.

      Dieser Lernprozess hat nichts mit dem Aneignen von mehr Informationen zu tun oder mit dem Sammeln weiterer Erfahrungen. Es geht vielmehr darum, das Leben und die Welt zu entdecken, die sich uns in jedem Moment eröffnen, wenn wir wahrhaftig im Hier und Jetzt sind. Es geht darum, tiefer in das eigene Selbst vorzudringen – in den Körper, die Gefühle, das Leid, die Freude und das Verhalten. Und es geht darum, in jedem Moment mit sich selbst, mit dem Leben und mit anderen vertrauter zu werden. Und es geht darum, andere beim Leben dieses Wegs zu unterstützen.

      Ich lehre und