Birgit Schmid

In jeder Beziehung


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Erst dadurch werden die Geschichten bedeutsam. Eine positive Erinnerung an den gemeinsamen Anfang ist ein Merkmal guter Beziehungen, so sagen Psychologen. Man konstruiert einen Liebesmythos. Diesen erzählt man sich immer wieder, erzählt ihn seinen Kindern und Enkelkindern. Das verbindet.

      Die romantische Variante tönt dann so:

      Wir blickten uns in der Menge fünf Minuten wortlos an.

      Ich folgte ihr durch die ganze Stadt.

      Die unromantische tönt so:

      Er war das sechste Blind Date in vier Tagen.

      Bevor ich meinen Account löschte, gab ich noch einer letzten Person eine Chance – und das war sie.

      Es kommt nicht darauf an, wie und wo man jemanden getroffen hat. Sondern, daraus eine gute Story zu machen, egal, ob sie die Wahrheit trifft oder diese verklärt.

      ALLE MEINE

       STOFFE

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      Jetzt, da die Sonne bereits beim Aufstehen ins Zimmer fällt, droht bald schon die Wärme. Also muss ich meine Kleider umgruppieren, ruft der Kleiderschrank nach einer neuen Ordnung. Ich stehe vor den offenen Flügeltüren und fange an: Wollsachen auf die oberen Regale, das Feinstoffliche nach vorn.

      Den Winter hindurch wurde mein Schrank zum Bau. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich ein Tier hineinverkrochen hätte. Manchmal leuchten tatsächlich Augen im Dunkeln heraus: die Katze, die die Höhle liebt. Neue Kleider kamen nicht viele hinzu. Sondern das Durcheinander wuchs mit dem nachlässigen Verstauen an.

      Wenn ich mich nun an mein Kasting mache, das Lichten der vollen Regale, wird mir klar: Beim Aufräumen begegnen mir Menschen, die mit diesen Kleidern verwoben sind, und damit Erinnerungen an mich selber. Dafür muss ich nicht von Marie Kondo an die Hand genommen werden, der ordnungsversessenen Japanerin, nach deren Philosophie nun alle leben. Diese findet: Nach dem Aufräumen sei man auch innerlich aufgeräumt. Ich glaube ihr kein Wort.

      Was stimmt: Beim Umschichten wechselt man seine Identität ein wenig. Als wären einem nicht nur die Kleider verleidet, sondern man sich selber. Also streife ich mit dem Rollkragenpullover auch mein Winter-Ich ab. Wobei ich nicht unbedingt zu jenen gehöre, die euphorisch werden, sobald die Temperaturen steigen. Den Körper einzuhüllen, bot auch einen Schutz. Etwa vor der Nötigung zu guter Laune.

      Während man den Schrank aufräumt, fällt einem zu jedem Kleidungsstück ein Erlebnis ein. Der Kaschmirpullover wärmte wie die Umarmung an jenem Abend. Die übergroße Hose trug ich auf dem Schneespaziergang, der in einen Streit ausartete. Die Mütze: ein Geschenk. Übersommert gut, ihr alle!

      Auf einem Zwischenregal lagert Stoff für die Zeit dazwischen. Dazu gehört das Shirt von der letzten Städtereise. Die Verkäuferin fragte mit dem Tablet in der Hand nach meiner E-Mail-Adresse – »to establish a relationship«. Doch eine Beziehung will ich nur zu meinen Kleidern haben. Während ich den Isländer streichle, denke ich: Man könnte Kleider ja nach den Ländern ordnen, aus denen man sie »mit nach Hause« brachte. Aber dann müsste man auch Bangladesh und China Platz einräumen. Und zwar viel.

      Wenn ich in meinen Kleiderschrank blicke, zeigt sich weiter meine Treue, die keinesfalls ein Horten ist. Gerade weil Kleider an Biografien mitweben, kann ich mich schwer von ihnen trennen. Karl Lagerfeld, um den wir trauern, war da anders. Er sagte: »Mein Stil ist eher: ein neuer Frühling, eine neue Liebe.« Aber auch wenn die Liebe wechselt: Die textile Erinnerung hat einen Wert. Ich hänge an diesen alten Stücken, auch wenn sich ihre Geschichte selbst mit mehrmals Waschen nicht auslöschen lässt – und ich sie also nie mehr tragen werde. Der Kleiderschrank, mein Museum.

      Bald stoße ich zu Gegenständen vor, die den Schrank auch als Versteck ausweisen. Es lässt sich allerhand unter die Stapel schieben, um Unbefugten die Suche zu erschweren. Deshalb bin ich für getrennte Kleiderschränke. Während ich mein Höhlensystem bevorzuge, gefällt mir die frei schwebende Männergarderobe an Kleiderständern.

      Dann halte ich das blaue Kleid in den Händen, das ich das letzte Mal vor fünfzehn Jahren trug. Wie jedes Mal muss ich innehalten. Behalten oder entsorgen? Ich behalte.

      Am Schluss liegt alles schön gefaltet. Die Kleider hängen an den Bügeln, die Schuhe stehen aufgereiht. Nur ich bin durcheinander.

      ER NANNTE SIE

       »MEIN HERZTIER«

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      Sie sind komisch und lächerlich, deshalb sollte man sie nie im Beisein von Dritten aussprechen: die Kosenamen. Sie gehören in den geschützten Raum einer Beziehung und passen ausschließlich auf zwei Menschen. Sie drücken deren Einzigartigkeit füreinander aus. Als Maria gehört sie allen, als Käfer nur mir. Für die Patienten ist er Herr Doktor, für mich heißt er Muffin. Kosenamen führen eine Privatsprache an, die ein Paar im Lauf der Zeit zu einem Code entwickelt, unentzifferbar für andere. Der Linguist Ernst Leisi nannte sie ein Initiationsritual, das den Beginn einer Beziehung markiere.

      Allerdings ist der richtige Zeitpunkt wichtig für ihre Vergabe. Ich erinnere mich an die Schleimspur des »Schnäggli «, einen Namen, den ich zu früh erhielt. Da war bereits alles hoffnungslos. Man muss jede Hemmung ablegen, um zu sagen, dass der andere das Bild eines Otters oder einer Hexe wachruft. Das geschieht erst mit zunehmender Vertrautheit. Und geteilten Erlebnissen, denn oft entstehen Kosenamen aus der Situation heraus. Mein Chef de cuisine. Spitzschühchen. Mit solchen Namen lässt sich später die gemeinsame Geschichte zurückverfolgen, sie sind wie ein Tagebuchzeichen: erinnern an jene Zeit, den damaligen Tag. Bibbi, weißt du noch, wie wir unsre erste Ikea-Bettwäsche »Bibbi« kauften?

      Das beliebteste Wort im deutschsprachigen Raum ist »Schatz«. Austauschbar und deshalb am gesellschaftstauglichsten. Fantasielos. »Schatz, schau dir das an!«, ruft es im Zug. Ein Schatz ist ursprünglich nicht nur etwas, was kostbar ist und beschützt werden muss, sondern meint im religiösen Kontext ein Heiligtum, nur Auserwählten zugänglich. Vielleicht nervt es darum, unbeteiligt Ohrenzeuge von Kosewörtern zu werden, wie einmal jemand gesagt hat: Man fühlt sich wie der Atheist, der in eine Messe geraten ist.

      Das Zwiespältige an Kosenamen ist die Infantilisierung. Der andere wird verniedlicht und verkleinert. Viele scheinen sich beim Spaziergang durch den Zoo zu inspirieren. Mein Bär, mein Pinguin. Es ist eine Verniedlichung ins Asexuelle, die sich mit der Babysprache fortsetzt. Beginnt ein Paar früh damit, wird das zum Sexkiller wie ein Ganzkörperfrotteepyjama. Dabei will man bloß eine neue Sprache finden, weil jedes »Ich liebe dich« abgedroschen klingt. Fantasiewörter, verdrehte Syntax, Brabbellaute drücken nichts als ein Wohlgefühl aus. Man könnte auch zu schnurren beginnen.

      Im Gegensatz dazu schafft der Vorname, den man kaum mehr verwendet, plötzliche Distanz: Seine Nennung macht das Gesagte dringlich. Im Streit, in einem feierlichen Moment. Wegen ihrer Einfachheit mag ich auch »Liebste« und »Geliebter«. Oder ihn »meinen Mann« zu nennen oder sie »meine Frau«, auch wenn man nicht verheiratet ist. Hier ist die Wiederverwendung in der nächsten Beziehung nicht einmal stillos.

      Sympathisch, dass auch weltläufige Menschen eine »underground relationship« führen. So hat die Psychologin Wendy Langford die private Liebesrede bezeichnet. Theodor W. Adorno nannte seine Ehefrau Gretel »mein Herztier «. Edmund Stoiber sagt seiner Karin »Muschi«. Prinz Philip ruft Queen Elizabeth »Cabbage«. Gewiss haben auch Diktatoren daheim Kosenamen. Und sie haben öffentliche: »Baby Doc« für den Haitianer Jean-Claude Duvalier. Kim Jong-il, »der liebe Führer«. Väterchen Stalin. Massenmörder zum Streicheln.

      Übrigens: Spätestens dann, wenn ein Kosename zum Ersatz für das Gefühl wird, das er herzustellen behauptet, sollte man seine Verwendung hinterfragen. Oder dann einen ehrlichen Namen benutzen, wie es die Engländerinnen tun. Sie nennen ihren Mann »my headache«. Wenn er nicht da ist.

      MEINE WAFFEN