Frederik Hetmann

Wo der Wind weht


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sind mir die Frauen gewissermaßen ausgegangen.«

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       Der Anfang der Welt

      Eine Geschichte der Huronen und Irokesen

      Diese Schöpfungsgeschichte der Indianer wurde 1874 nördlich des Erie-Sees von einem Unterhäuptling der Huronen, der zu dieser Zeit etwa fünfundsiebzig Jahre alt war, erzählt. Sie stellt wahrscheinlich die Niederschrift des ältesten Schöpfungsberichts von nordamerikanischen Indianern überhaupt dar.

      Da der Erzähler die Geschichte selbst schon von den Alten seines Stammes in seiner Jugend gehört hatte, wird sie in dieser oder ähnlicher Form schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts, vielleicht sogar noch früher bei den Indianern erzählt worden sein.

      Auf jeden Fall waren dies Zeiten, als die Zivilisation der Weißen die Sitten und Gebräuche und die Vorstellungen der Wendat noch nicht beeinflusst hatte. Wendat ist der indianische Name dieses Stammes, Huronen der Spitzname, den diese Indianer von den Franzosen erhielten. Im Englischen wurde aus dem indianischen Stammesnamen die Bezeichnung »Wyandot«.

      Im Anfang war nichts als Wasser, nichts als eine weite, weite See. Die einzigen Wesen, die es damals schon auf der Welt gab, waren die Tiere. Sie lebten in oder auf dem Wasser.

      Dann fiel eine Frau vom Himmel, eine heilige Person. Zwei Tauchervögel flogen über das Wasser hin, sahen sich um und bemerkten, wie sie herabfiel. Rasch schoben sie sich unter sie und bildeten mit ihren Leibern ein Kissen, auf dem sie ruhte. So retteten sie sie vor dem Ertrinken. Während sie sie so in der Schwebe hielten, riefen sie mit lauter Stimme die anderen Tiere um Hilfe. Nun kann man den Ruf der Taucher auf dem Wasser weithin hören, und so kamen die anderen Geschöpfe rasch herbei.

      Als die Große Schildkröte hörte, was geschehen war, trat sie in der Ratsversammlung vor und sagte:

      »Überlasst die Frau nur mir. Legt sie auf meinen Rücken. Mein Rücken ist breit.«

      So wurden die Taucher ihre Last los.

      Dann berieten die Tiere, was geschehen solle, um das Leben der Frau zu retten. Um zu leben, brauche sie eine Erde, meinten sie.

      Die Große Schildkröte hieß die anderen Tiere eines nach dem anderen auf den Meeresboden hinabtauchen und etwas Erde heraufholen. Der Biber, die Bisamratte, die Wasservögel – sie alle halfen mit. Einige von ihnen blieben so lange unten, dass die anderen schon fürchteten, sie seien ertrunken.

      Die Große Schildkröte sah allen ins Maul und konnte bei keinem auch nur eine Spur Erde finden. Zum Schluss tauchte die Kröte.

      Nach langer Zeit und erschöpft vom langen Tauchen kam sie schließlich wieder herauf. In ihrem Maul nun fand die Große Schildkröte etwas Erde, und sie gab diese Erde der Frau.

      Die Frau nahm sie und streute sie vorsichtig rings um den Panzer der Großen Schildkröte. So entstand das trockene Land. Nach allen Seiten hin wurde das Land größer und größer, und schließlich begannen auf dem Land auch Bäume und Pflanzen zu wachsen. All dies trug die Große Schildkröte auf ihrem Rücken, und so ist es auch noch heute.

      Nach einiger Zeit brachte die Frau Zwillinge zur Welt. Die beiden Kinder waren sehr verschieden. Noch ehe sie geboren wurden, schlugen und stritten sie sich im Leib der Mutter. Die Mutter hörte den einen sagen, ihm sei es recht, wenn er auf die normale Art und Weise zur Welt komme, und so geschah es. Der andere aber brach aus der Seite der Frau hervor und tötete seine Mutter dabei.

      Die Frau wurde in der Erde begraben, und aus ihrem Körper wuchsen Pflanzen, jene Pflanzen, die die Menschen auf der neu erschaffenen Erde zu ihrem Lebensunterhalt brauchen würden.

      Aus dem Kopf der Frau wuchs eine Kürbisranke, aus ihren Brüsten der Mais und aus ihren Armen und Beinen die Bohne.

      Die Zwillinge waren nicht etwa Menschen. Sie waren übernatürliche Wesen. Ihnen war aufgetragen, die Erde als Heimat der Menschen vorzubereiten.

      Als sie aufwuchsen, stellte sich heraus, dass sie in allem sehr verschieden waren. Als sie nun merkten, dass sie zusammen nicht leben konnten, gingen sie ihrer Wege, und jeder von ihnen nahm einen Teil des Landes. Zuerst schufen sie die verschiedenen Arten von Tieren.

      Der Böse Bruder, dessen Name soviel wie »Feuerstein« bedeutet, schuf die wilden Tiere, die die Menschen in Schrecken versetzen und sie verschlingen. Er schuf die Schlangen, die Panther, die Wölfe, die Bären und Moskitos, die so groß waren wie heutzutage die Truthühner. Und er schuf auch eine riesige Kröte, die alles Wasser auf der Erde aufleckte.

      Der Gute Bruder schuf die nützlichen Tiere – den Hund, das Reh, den Elch, den Büffel und viele Vögel, darunter auch das Rebhuhn. Sehr zum Erstaunen des Guten Bruders flatterte das Rebhuhn auf und flog in das Land des Bösen. »Wo willst du denn hin?« fragte der Gute Bruder.

      »Ich schaue mich nach Wasser um«, antwortete das Rebhuhn. »Im Land des Feuersteins soll es welches geben.«

      Der Gute Bruder folgte dem Rebhuhn und erreichte bald das Land des Bösen. Hier stieß er auf die riesigen Schlangen, die wilden Tiere und die gewaltigen Insekten, die sein Bruder geschaffen hatte. Der Gute überwand sie. Er vermochte sie nicht zu vernichten, aber er machte sie kleiner, weniger wild, so dass die Menschen ihrer Herr werden konnten.

      Dann kam er zu der riesigen Kröte. Er schnitt ihr den Bauch auf und ließ das Wasser auf das Land laufen. So bildeten sich die Flüsse.

      Der Gute schlug vor, jeder Fluss solle zwei Strömungen haben, die eine flussauf, die andere flussab, damit die Menschen auch stromaufwärts fahren könnten. »Das ist nicht so gut für die Menschen«, sagte der Böse Bruder, »es wird ihnen nichts schaden, wenn sie sich etwas anstrengen müssen.«

      Also machte er, dass die Flüsse nur in einer Richtung fließen. Und um das Paddeln in einem Kanu noch gefährlicher zu machen, schuf er die Wasserfälle und die Strudel.

      In einem Traum erschien dem Guten der Geist seiner Mutter und warnte ihn vor dem Bösen.

      Als die Zwillinge feststellten, dass sie sich wieder einmal nicht einigen konnten, beschlossen sie, ein Duell auszutragen. Der Sieger sollte der Herr der Welt sein. Sie kamen auch überein, dass jeder die Waffe bestimmen solle, die ihm selbst den Tod bringe.

      »Ich kann nur vernichtet werden«, sagte der Gute Bruder, »wenn man mich mit einem Sack Bohnen oder Mais schlägt.«

      »Ich kann nur vernichtet werden«, sagte der Böse, »wenn man mich mit dem Geweih eines Rehbocks oder dem Horn eines anderen Tieres tötet.«

      Dann bestimmten sie einen Kampfplatz, und der Böse begann den Kampf. Er schlug auf den Bruder mit einem Sack Bohnen ein, jagte ihn umher, bis er endlich leblos zu Boden sank. Aber der Geist der Mutter hauchte ihm wieder Leben ein, und er gewann seine alte Stärke wieder.

      Dann griff der Gute nach dem Rehbockgeweih, verfolgte seinen Bruder und tötete ihn.

      Nach seinem Tod erschien der Böse seinem Bruder und sprach:

      »Ich gehe jetzt weit in den Westen. Hernach werden alle Menschen nach ihrem Tod in den Westen gehen.« Und bis die christlichen Missionare kamen, flogen die Geister der toten Indianer in den fernen Westen und lebten dort.

      Die Tuscaroras, einer der sechs Stämme aus der irokesischen Liga der Nationen, kennen eine interessante Erweiterung zu dieser Schöpfungsgeschichte, die unter den Indianern der Irokesenfamilie verbreitet ist. Die Tuscaroras lebten an den Ufern des Roanoke-River in North Carolina im Südosten der heutigen Vereinigten Staaten, als die ersten Kolonisten in diese Gegend kamen.

      Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1783) schickte man diesen und andere irokesische Stämme, die zu den Engländern gehalten hatten, in eine Reservation am Grand-River in Ontario. Nach ihrer eigenen Überlieferung aber haben die Tuscaroras Jahrhunderte zuvor am St.-Lorenz-Strom gelebt, der in ihrer Sprache »Kanawage« heißt.

      Nach der Erschaffung der Welt, der Pflanzen und der Tiere