Frederik Hetmann

Wo der Wind weht


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zur Rettung aufgetan hatte. Major Morrison führte mich sogleich zu dem fließenden Wasser, wo ich erst einmal nach Herzenslust trank. Ich warf mich einfach auf den Bauch, legte meinen Mund auf die Wasseroberfläche und ließ das köstliche Nass in meinen durstigen Leib rinnen. Es schien mir die größte Wohltat auf Erden. Nach dieser Erfrischung überquerten der Kapitän, sein Verwandter und ich in der Jolle den Fluss, angelockt von dem Geräusch wilder Hühner. Der Kapitän hatte eine Flinte bei sich, und da der Mond schien, gelang es uns, eine Ente zu erlegen, die wir an einem Stecken brieten, den einer der Matrosen über den Flammen drehte, während wir uns weiter am Flussufer umsahen.

      Als wir an einer kleinen Wasserrinne vorbeikamen, entdeckten wir eine Austernbank und versahen uns mit einer guten Ergänzung zu unserem Wildhuhnbraten. Als die Köche ihre Arbeit getan hatten, warteten wir nicht erst, bis der Rest der Gruppe zu uns gestoßen war, sondern begannen zu essen. Für alle hätte der Braten ohnehin nicht ausgereicht. Also erinnerten wir uns des Sprichwortes: »Je weniger es sind, desto besser schmeckt es.«

      Die Knochen, den Kopf und die Beine sowie die Innereien gaben wir dem Mann, der den Spieß gedreht hatte, und dann dankten wir Gott und kehrten zu unseren Freunden zurück, ohne uns vor ihnen unseres Glückes zu rühmen.

      So gestärkt, überprüften wir die Wassertiefe an der Barre, mit der der Kapitän zufrieden zu sein schien. Er versicherte immer wieder, er wolle das Schiff um unserer Sicherheit willen aufgeben.

      Gegen Tagesanbruch flüsterte er mir ins Ohr, ob ich mit ihm aufs Schiff zurückkommen wolle. Ich antwortete: »Nein.« Es schien mir unnötig mühsam, sofern er sich nur an seinen Entschluss hielt. Also fuhr er mit seinem Verwandten zurück, dem ich, zum Schutz vor der Kälte, einen großen, groben Mantel borgte. Der neue Tag ließ mich erkennen, welchen Fehler ich begangen hatte, indem ich seiner Aufforderung nicht gefolgt war. Das erste, was ich sah, war auf See das Schiff unter Segeln. Es lief mit allem Tuch, das noch brauchbar war, auf die Kaps zu.

      Für uns, die wir zurückgelassen worden waren, war das ein furchtbarer Anblick. Man hatte uns aufgegeben, irgendwo an der Küste, entgegen den getroffenen Abmachungen.

      In einer Verwirrung, die sich mit Worten nicht beschreiben lässt, klagten wir einander unser Leid. Wir stellten traurige Überlegungen darüber an, was wir nun machen sollten. Zunächst beteten wir. Dann bestimmte mich die Gruppe zum Vater der leidgeprüften Familie.

      Einer, so kamen wir überein, musste die Befehlsgewalt haben, um Streitigkeiten zu vermeiden und bei widerstreitenden Ansichten unsere Rettung nicht noch mehr zu erschweren.

      Sie hielten es für vernünftig, mir das Kommando zu übergeben, da ich noch gesund und stark war und deshalb unter meinen Gefährten für diese Aufgabe am besten geeignet schien.

      Als ich vom Schiff ging, hatte mir mein Diener Thomas Harman, ein Holländer, zugeflüstert, er habe mir 30 Zwiebäcke in mein Bündel gesteckt, die er sich selbst vom Mund abgespart hatte.

      Der Gedanke an diese Zwiebäcke kam mir ein, als man mir dieses Amt antrug. Ich sagte mir, es sei meine Christenpflicht, jeden an dem teilhaben zu lassen, was ich besaß, und also teilte ich den Zwieback in neunzehn Teile. Dies war die Zahl derer, die an Land zurückgeblieben waren.

      Es war am fünften Tag des Januar, dass wir so zu leben oder besser, den Weg zu unseren Gräbern begannen, denn wir waren ziemlich sicher, dass wir alle umkommen würden.

      Zunächst überlegte ich, wer in der Lage wäre, zu arbeiten und eine Waffe zu bedienen. Dann drückte ich einem jeden von diesen eine Vogelflinte in die Hand. Unter der Gruppe gab es einen jungen Gentleman, Mr. Francis Cary mit Namen, der mir sehr tatkräftig dabei half, unser Überleben zu organisieren. Er war mir von Sir Edward Thurian empfohlen worden und sich mir mit Worten vorgestellt, dass er besser damit fahren werde, als Kolonist in der Fremde zu leben, als in England zu bleiben. Nun bekam er das Kolonistenleben gleich von seiner dunkelsten Seite zu spüren.

      Bis zum Abendessen waren tatsächlich ein paar wilde Gänse erlegt worden und wir beschlossen, eine weitere Nacht in diesem Lager zu verbringen.

      Meinen Freund Cary schickte ich zur Mündung des Flusses und befahl ihm, nach Indianern Ausschau zu halten, die uns entweder helfen oder unserem Leben eine Ende setzen würden.

      Für letzteren Fall hatten wir uns vorgenommen, tapfer kämpfend zu sterben. Sollten uns aber die Indianer freundlich entgegenkommen, so hatte ich meine Genossen angewiesen, sie mit größter Höflichkeit zu behandeln und zu versuchenm, ihnen durch kleine Geschenke zu schmeicheln.

      Cary kam nach einer Stunde mit trauriger Miene zurück. Er hatte herausgefunden, dass wir uns auf einer unbewohnten Insel befanden, die an allen Seiten, soweit er dies hatte feststellen können, von Wasser umgeben war, das zu tief war, um es zu durchwaten. Menschen war er nicht begegnet. Nur Vögel hatte er gesehen und versucht, sie zu erlegen, was ihm aber nicht gelungen war.

      Diese Nachrichten stürzten uns erst recht in Verzweiflung. Wir kamen uns vor wie zum Tode Verurteilte, deren Leben nur so lange währen kann, wie sie es ertragen zu fasten.

      Cary war abermals fortgegangen, ohne uns etwas zu sagen, und wir hatten guten Grund, anzunehmen, ein Engel habe ihn geleitet. Wir sahen ihn zurückkehren. Er lachte. Er trug etwas in den Händen, von dem wir über die Entfernung hin nicht ausmachen konnten, was es sei. Als er jedoch näher kam, sahen wir, dass es eine Menge Austern waren.

      Als er über die Insel schlenderte und einen schmalen Wasserlauf durchquerte, war er auf die Austern getreten und hatte sich an ihren Schalen verletzt. Er hatte dann ins Wasser gegriffen und erst mit den Händen erfühlt, dass es Austern waren, die sich an dieser Stelle in großer Menge fanden.

      Vorerst hatten wir also etwas zu essen. Während der kalten Jahreszeit besuchten auch große Schwärme von wilden Vögeln, Gänse, Enten und Brachvögel, die Insel. Einige von jeder Art erlegten wir, rösteten sie an Stecken und aßen sie mitsamt den Federn auf. Als der Wind von Süden kam, wurde es nun zwar wärmer, aber es gab weniger Vögel. Sie waren in kältere Gegenden abgewandert. Wir hielten uns nun an die Austernbänke und an eine Art von Unkraut, so dick wie unser Hauslauch, das außer den Kiefern das einzige Grün auf der Insel darstellte. Wir kochten es mit etwas Pfeffer – wovon wir ein Pfund mit auf die Insel gebracht hatten – und aßen es mit sechs, sieben Austern für einen jeden von uns.

      In den nächsten Tagen sterben zunächst zwei der Frauen, dann zwei der Männer. Die Überlebenden essen das Fleisch der Toten. Dann kommt von Nordwesten her ein Sturm auf, der Schnee und Hagel bringt. Norwood baut aus Ästen und Kleidungsstücken eine Art Windschutz, schleppt seine geschwächten Gefährten dorthin und zündet ein Feuer an. Er fasst den Entschluss, über den Fluss zum Festland zu schwimmen und sich entlang der Küste durch die Wälder von Virginia zu den Indianern durchzuschlagen. Zuerst sind seine Gefährten über diesen Plan entsetzt. Dann wird ihnen klar, dass dies die einzige Chance ist, vielleicht doch noch gerettet zu werden. Als Proviant für Norwood werden gekochte Austern in Flaschen gefüllt.

      Am neunten Tag unseres Aufenthalts auf der Insel war ich eifrig mit meiner Austernkocherei beschäftigt, als Cary angerannt kam und mir berichtete, er habe auf dem Festland drüben Indianer gesehen. Ich hörte sofort mit meiner Arbeit auf und rannte zu der Stelle, an der er seine Beobachtung gemacht haben wollte, konnte aber nichts entdecken und nahm an, er müsse sich getäuscht haben, denn er war ein sehr phantasievoller Mensch, der oft schon solchen Einbildungen und Täuschungen zum Opfer gefallen war.

      Niedergeschlagen kehrte ich zu meiner Arbeit zurück und machte weiter, bis eine Flasche gefüllt war.

      Ich sagte mir, jetzt hast du ein bisschen Zeitvertreib verdient; und da ich das Geschrei von Gänsen hörte, nahm ich mein Gewehr, schlich mich an und erlegte einen der Vögel.

      Diese Gans wollte ich allein verzehren. Ich würde danach, so redete ich mir ein, kräftiger sein und besser durch den Fluss schwimmen können. Ich hängte also die Gans an einen Zweig und ging, um den Koch zu rufen und Glut für ein Feuer zu holen. Als ich zu der Stelle zurückkam, war meine Gans verschwunden, gestohlen von Wölfen wohl, die, wie uns die Indianer später erzählten, häufig auf die Insel kamen.

      Der Verlust dieser Gans, auf die ich mich mit