Johannes Hucke

Frühlingsfahrt


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Weingut mit allen Voraussetzungen, nach Höherem zu greifen; aus einem konventionellen Mischtrieb typisch Kraichgauer Prägung entwickelte sich einer der ersten Biobetriebe der Region. Bei alledem schimmert nirgendwo eine Spur von Dogma durch, keine Verbissenheit ist Armin Schäufele anzumerken. Weiß Gott, wo ihm sein Selbstvertrauen gewachsen ist ...

      Wenn bei Weingütern die Rede auf die Jugend kommt, sprich auf die nächste Generation, so gewinnt, zumal für Freunde des Hauses, die Frage höchste Brisanz, ob diese denn gewillt sei, das Aufgebaute dereinst zu übernehmen. Die Leute verlangen Sicherheiten – das ist nachvollziehbar. Leider können wir zur Stunde noch keine Entwarnung geben, denn Isabel und Gerrit Schäufele haben sich zunächst auf die Künste der Betriebswirtschaftslehre verlegt. Sagten wir zur Stunde? Nun, da dürfen wir nicht verschweigen, dass just an diesem Märzvormittag, da wir einen Blick auf den Kelterhof zu werfen wagen, die Geschwister wohl aufs Umtriebigste für das Wohl des Hauses tätig sind: Geschwinde, geschickt und eingespielt bauen sie einen Pavillon für das große Frühlingsfest auf, das am kommenden Wochenende mehr denn ein halbes Tausend Weinlustige nach Großvillars ziehen wird. Dann sperrt man die Straße zwischen der Kelter und dem Hof, auf Bänken werden die Gäste in der Frühlingssonne sitzen und Flammkuchen und Knackwürste schmausen und sämtliche Weine durchprobieren, die das Gut zu bieten hat, und mittendrin werden Isabel und Gerrit herumwuseln, dass es eine Art hat, mit einer Zahllosigkeit von Dingen beschäftigt, dabei gutgelaunt, behende und mit jeder Faser hier zu Hause.

      Von Dichtern wie Hölderlin wissen wir – oder wir hoffen zumindest mit ihnen –, dass, wo Gefahr ist, das Rettende gleich mit heranwachse. Zweifelsohne, das hat man so schon beobachten können. Jedoch, es gibt auch den umgekehrten Fall: Es ist zu einem der Lieblingsthemen der Kunst geworden, Idylle, wenn sie schon einmal da sind, möglichst rasch und vollständig zu brechen. Mag sein, dass auch diese Variante auf Vorbildern fußt ... Bislang wissen wir nur dies: Großvillars mitsamt dem Kelterhof scheint eines jener Refugien des Lebensglücks zu sein, wonach die meisten Erdbewohner lebenslang vergebens suchen. Und dennoch droht hier ein Ereignis von solcher Dramatik, dass Metropolen wie Frankfurt oder New York geradezu neidisch werden müssten. So viel dürfen wir verraten: Es droht nicht nur von außen, sondern durchaus auch von innen her. Denn Erfolg schafft Neider und Besitz erregt Eifersucht; Tatkraft vergrämt die Zukurzgekommenen, und vom Glück des Glücklichen fühlt sich der Verbitterte verhöhnt. Diesem Gedankengang wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt detailreicher nachgehen.

      Großvillars am Rande des Kraichgaus, zwischen Bretten und Oberderdingen ... Seltsam, wenn man die Bewohner befragt, was es hierorts für Merkwürdigkeiten, gar Schrecknisse gegeben habe, welche Auffälligkeiten aus den vergangenen Jahrzehnten zu berichten sind, zucken die meisten die Achseln. Ja, da sei mal ein Kampfflugzeug in einen Vorgarten gestürzt, gottlob unbemannt und ohne größeres Unheil anzurichten; in der Tat, da habe es einmal zwei Häftlinge aus Bruchsal gegeben, die sich in einer Wohnung verschanzt hielten – auch aus dieser Geschichte kam man heraus, ohne Schaden zu nehmen. Ein paar Originale habe es auch gegeben, einen, der ohne Unterlass Relikte der Vorzeit aus den Äckern grub, einen anderen, der nach seinem Tagewerk mit dem Trecker direkt in die Höfe der Besenwirtschaften geholpert kam, um, noch auf dem Bocke sitzend, seinen ersten Abendschoppen zu sich zu nehmen ... Ansonsten erfährt der Wissbegierige allenfalls von jener prekären Hanfkrankheit, der auffallend viele Bürger des Ortes zu erliegen scheinen. Wobei man freilich wissen muss, dass aus Hanf Stricke gefertigt werden, welche man sich in Momenten der schlimmsten Seelennot um den eigenen Hals legen kann. Ob diese Häufung, sollte der Sachverhalt denn wirklich zutreffen, womöglich eine sehr späte Folge der unvorstellbar grässlichen, von Folter und Mord gekennzeichneten Vertreibungsgeschichte der waldensischen Vorfahren darstelle, eine Verkettung unbewusster Reaktionen auf niemals verarbeitete, von Generation zu Generation weitergereichte Traumatisierungen, wer kann es wissen ...

      Für unseren Fall genügt es zu fragen, ob der unzweifelhaft in reichem Maße vorhandene Zusammenhalt der Hiesigen genügen wird, um mit den Gefahren, die auf das Örtchen zukommen, fertig zu werden? Die Antwort schieben wir auf.

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