Tobias Eick

Die Welt erklären


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der Bell Telephone Company. Er galt als einer der wirtschaftlich einflussreichsten Männer dieser Zeit.9 Schon lange hegte der groß gewachsene Mann mit den braunen Augen und dem dichten Vollbart eine Vorliebe für die Wissenschaft und unterstützte sie rege. Geboren in Boston, absolvierte Hubbard das Dartmouth College und studierte später Jura an der Harvard University. Auch Major John Wesley Powell, ein Veteran des amerikanischen Bürgerkrieges und Gründer des Cosmos Clubs, zählte zu den Gründungsmitgliedern. Powell unternahm bereits erste Bootsexpeditionen über den Colorado-River und erforschte den Grand Canyon.10

      Abb. 3: Major John Wesley Powell, Gründer des Cosmos Clubs, zählte auch zu den Gründungsmitgliedern der National Geographic Society.

      Ebenfalls anwesend war Adolphus Washington Greely, der oberste US-Funkoffizier.

      Greely führte von 1881 bis 1884 die erste US-amerikanische Polarexpedition in die Arktis an – im Alter von 37 Jahren und ohne jegliche Erfahrung.11

      Abb. 4: Adolphus Washington Greely, oberster US-Funkoffizier, war bei der Gründung der National Geographic Society ebenfalls anwesend.

      Beinahe hätte er dies mit seinem Leben bezahlt, wie 18 Personen seines ursprünglich 25 Mann starken Abenteurerteams. Doch der spätere Flottillenadmiral George W. Melville bewahrte ihn durch eine Rettungsaktion vor dem Tod.12 Melville saß an jenem Tag Greely in einem der schweren Ledersessel des Cosmos Clubs gegenüber, ebenso wie der Forschungsreisende George Kennan, der eine Entfernung von fast 9000 Kilometern mit Hunden, Pferden und Rentieren durch Sibirien zurückgelegt hatte.13 Der Alaska-Erforscher William Healey Dall, der Arzt und Naturwissenschaftler Clinton Hart Merriam, der Geograf Henry Gannett und weitere hochangesehene Persönlichkeiten, darunter Geographen, Entdecker, Naturwissenschaftler, Militärs, Geologen, Meteorologen, Bankiers und Ingenieure stießen zu dem vornehmen Kreis hinzu.14 All jene Anwesenden überzeugte das Vorhaben. Da zu dieser Zeit an keiner Universität des Landes Geografie als eigenständige Disziplin studiert werden konnte, oblag geografische Bildung nur einzelnen, interessierten Spezialisten. Eine Öffentlichkeit musste erst geschaffen werden.

      Doch sollte die Institution keineswegs nur exklusiven Teilnehmern offen stehen, sondern vielmehr „auf einer breiten und liberalen Basis in Bezug auf die Bedingungen für die Mitgliedschaft“ organisiert sein.15

      Jede geographisch interessierte Person konnte gegen eine Gebühr von 5 US-Dollar pro Jahr beitreten – nach Vorschlag eines Mitglieds und Annahme des Vorstands der Gesellschaft.16 Für Normalverdienende war dies nicht immer erschwinglich: Eine durchschnittliche Familie der Arbeiterklasse benötigte in den 1870er Jahren 520 bis 624 US-Dollar pro Jahr zum Leben, ein verheirateter Mann verdiente etwa 1,50 US-Dollar täglich.17 Dennoch, der liberale Grundgedanke zählte.

      Ein neunköpfiger Ausschuss gab der Organisation kurze Zeit nach ihrer Gründung den Namen National Geographic Society. Er setzte Funktionäre ein und verabschiedete eine Satzung.

      Den gelernten Juristen Gardiner Greene Hubbard ernannten die Beteiligten zum ersten Präsidenten18 – obwohl er kein Wissenschaftler sei und sich lediglich weitere Fortschritte der geografischen Forschung wünschte.19

      Die Organisation umschloss Geografie als Wissenschaft bewusst weitläufig:

      Das Themenspektrum sollte alle tierischen, pflanzlichen und mineralischen Belange zu Land, zu Wasser und in der Luft umfassen.

      General Greely, als einem von vier ursprünglichen Vizepräsidenten, übertrug man das Feld der Geografie der Luft. Weitere Mitglieder wurden mit der Geografie des Landes, des Meeres und des Lebens betraut.20 Ein paar Jahre später wurden Vizepräsidenten für die Geografie der Kunst und kommerziellen Geografie herangezogen.

      Die Aufgabe der Vizepräsidenten bestand darin, Redner für Lehrvorträge in den jeweiligen Gebieten zu gewinnen. Solche Dienste konnten zu Beginn ebenso wenig bezahlt werden wie reguläre Angestellte oder ein Büro der Organisation.21

      Einmal im Jahr wählten die Mitglieder die ehrenamtlichen Verantwortlichen und änderten gegebenenfalls die Satzung.

      Auf den Treffen der Gesellschaft wurden Vorträge gehört, Erkenntnisse ausgetauscht und Angelegenheiten der Organisation besprochen. Anfangs fanden sie recht unregelmäßig und an unterschiedlichen Orten statt: Das eine Mal trafen sich die Mitglieder im Smithsonian Institute, der Lincoln Hall oder der Columbian University, ein anderes Mal in der Builders Exchange Hall, der National Rifles Armory Hall oder dem Cosmos Club.

      Trotz der unbeständigen Anfangszeit stand der Grundsatz der Gleichheit aller Interessierter von Beginn an klar und unumstößlich fest, wie Präsident Hubbard in seiner Antrittsrede darlegte:

      „Durch meine Wahl zeigen Sie der Öffentlichkeit, dass die Mitgliedschaft in unserer Gesellschaft nicht nur auf professionelle Geografen beschränkt ist. Vielmehr bezieht sie all jene mit ein, die wie ich selbst, gezielte Forschungen anderer unterstützen und das so gewonnene Wissen unter den Menschen verbreiten wollen – damit wir alle mehr über die Erde, auf der wir leben, erfahren können.“22

       2. Licht und Schatten in den Anfangsjahren des National Geographic Magazines

       „Das Wort ‚Erde‘ […] erweckt in unserem Verstand die Idee eines riesigen

       Globus, aufgehängt in einem leeren Raum – die eine Seite im Schatten, die andere gebadet in den Strahlen der Sonne.“23

      Um das geografische Wissen vielen Menschen zugänglich zu machen, entschieden sich die Verantwortlichen für die schriftliche Veröffentlichung der Erkenntnisse ihrer Treffen und Debatten. Im Oktober von 1888, neun Monate nach Gründung der National Geographic Society, erschien erstmals die Zeitschrift, schlicht und einfach National Geographic Magazine benannt.24

      Auch 125 Jahre später ist sie immer noch das Sprachrohr der Gesellschaft.

      Die Erwähnung eines geplanten Journals erfolgte in der ursprünglichen Satzung nicht.25 Die erste Ausgabe war eine dünne, wissenschaftlich gehaltene Broschüre von 16 Seiten. Optisch und sprachlich hinkte das Blatt noch meilenweit dem heute weltbekannten Format aus Hochglanzfotos und mitreißender Berichterstattung hinterher. Nicht einmal der berühmte gelbe Rahmen zierte sein Cover.

      Nur ein unspektakulärer, rotbrauner Umschlag schützte das Oktavformat mit seinen Abbildungen, Karten und wissenschaftlichen Texten.

      Streng genommen erhielt der Leser in Artikel umgewandelte Lehrvorträge von Hubbard und Kollegen sowie eine Liste der 209 Mitglieder der Gesellschaft. Eine Bekanntmachung umriss die Ziele der Gesellschaft:

      „Das Magazin wird Beiträge wie Erinnerungen, Essays, Notizen, Briefe oder Rezensionen mit Bezug zur Geografie enthalten. Da nicht beabsichtigt ist, die Zeitschrift einfach nur als ein Organ der Gesellschaft zu sehen, richtet sie sich an alle Personen, die an dem Fach Geografie Interesse besitzen. So hoffen wir, dass sie zu einem Forum des Austausches wird, geografische Forschungen anregt und beweist, dass sie ein nützliches Medium für die Veröffentlichung von Ergebnissen ist.“26

      Schon die Erstausgabe ließ das Interesse der National Geographic Society erkennen, die Menschen über das Wetter, Naturkatastrophen und klimatische Veränderungen informieren zu wollen. Außerdem hatten die Mitglieder eine besondere Vorliebe für Autoren aus Regierungskreisen.

      Der Kommandant des Naval Marine Meteorology Department Edward Everett Hayden, verfasste z. B. einen Bericht über den verheerenden „Großen Sturm“, der vom 11. bis 14. März 1888 die Ostküste der USA und Teile Kanadas heimsuchte.27 Mit meteorologischen Karten und Windpfeilen beschrieb er das Unwetter, das von der Chesapeake Bay bis