Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock II


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noch ein Radio, und im Studio fand sich obendrein noch eine Jukebox. Hier wurde zwischen den professionell auf die Wand gepinselten Supermännern auch der Schnaps auf­bewahrt: „Ich habe Keith so betrunken gesehen, dass er kurz vor dem Wegtreten war“, erzählt Barnes. „Aber immer blieb er noch so lange bei Bewusstsein, um ein Bonmot zu hinterlassen, bevor er zusammenbrach.“

      Ein wesentlicher Vorzug von Tara House war die dreihundert Meter lange ­Privatzufahrt. Hier konnte Keith nicht nur ungestraft seinen luxuriösen Fuhrpark demolieren, sondern auch persönlich in einem seiner drei Rolls Royce zum nächsten Pub vorfahren, der just am Ende dieser Privatstraße stand. Richard Barnes beschreibt seine umnebelten Tage in Chertsey:

      „Das Leben in Tara spielte sich zwischen der Bar in Keiths Studio und der nahen Kneipe ab. Tara war eine Alkoholfalle. Am Morgen oder wann immer die Leute erwachten, wurdest du schon von einem großen Gin Tonic geweckt. Oder von einem ‚Joan Collins‘, einer tödlichen Mischung aus der Hand von Keiths Schwiegermutter. Was wir als leichte Drinks betrachteten, wurde uns während des Tages stetig zugeführt: Gin, Wodka, versetztes Bier, wahlweise im Pub oder im Haus. Nach achtzehn Uhr wurde dann ernsthaft getrunken. Joan wechselte von Gin auf Whiskey, und Keith stieg auf Cognac um. Die Tage verschwammen regelrecht, jeder Kater versank beim nächsten Gin-­Frühstück im Bett. Die meisten Leute, die Tara besuchten, gerieten in den Sog dieser Alkoholfalle. Wir entwickelten sogar ein Witzdrehbuch zu einem Abenteuer namens Flucht aus Tara: Da schmiedete man Pläne, einen Stollen unter dem Grundstück hindurch zu graben, aber man wurde immer erwischt und zu zwei großen Gin Tonic verurteilt.“

      Alle paar Tage musste die nüchternste Person die knapp dreihundert Meter zum Golden Grove Pub am Ende der Privatstraße fahren und Nachschub holen. Allein Keiths Spirituosenrechnungen in den drei Jahren, die er in Tara House lebte, müssen­ den Kneipier reich gemacht haben. Dafür konnte man schon in Kauf nehmen, dass Mr. Moon kapriziöse Eigenarten an den Tag legte, wenn er nicht prompt bedient wurde. Einmal folgte er seiner exhibitionistischen Neigung und legte sich quer über den Tisch – „nackt, so schnell wie der Blitz, und wir wurden umgehend bedient“, so Barnes. Oder Keith hüpfte in seinen Rolls, fuhr zurück nach Tara und tauchte mit einer Schrotflinte wieder auf: „Er feuerte in die Decke und jedes Geräusch im Pub erstarb. Als alle zu uns rüber glotzten, sagte er nur ganz ruhig: ‚Ausgezeichnet. Das wären dann drei große Courvoisier, amerikanisch zubereitet, zwei Krüge feinstes Schwarzbier und eine Bloody Mary ohne Worcestershire-Sauce.‘ Bei anderer Gelegenheit bestellte er einen Hubschrauber und ließ sich die dreihundert Meter zum Pub fliegen …“

      Normalerweise aber fuhr Keith – was in jeder Hinsicht bedenklich war. Er setzte­ sich nämlich nur ans Steuer, wenn er betrunken genug war, um seine Angst davor nicht zu spüren. Nach dem Tod seines Chauffeurs Neil Bolands unter Keiths eigenem Bentley (siehe Band eins) hatte Keith, der ursprünglich alles andere als ein Automobilliebhaber gewesen war, absurderweise begonnen Fahrzeuge zu sammeln. Neben den drei Rolls Royce – einem lilafarbenen, mit Fernseher und Bar ausgestatteten Silver Cloud Mk III, einem Phantom 5 Baujahr 1962 und einer neuen, schneeweißen und siebzehntausendfünfhundert Pfund teuren Corniche als Alltagsgefährt – besaß Keith einen Jaguar E-Type, zwei Chrysler (davon eine Wimble­don-Limousine von 1937), einen Morgan, einen Mercedes 350 SL, einen Ferrari und einen AC Cobra, der damals als schnellster Straßensportwagen der Welt galt und der zuvor Led-Zeppelin-Drummer Jon Bonham gehört hatte. Und alle diesen teuren und schönen Traumfahrzeuge landeten entweder im Graben oder wurden in den Teich gesetzt, blieben an der Einfahrt hängen oder in Eisenbahnschienen stecken, endeten in Baustellen oder auf dem Schulhofspielplatz seiner­ Tochter. „Er war erstaunlich unverwundbar“, schreibt Barnes, „aber seine Autos wurden alle verschrammt und verbeult. Er fuhr allein den Mercedes, einen Chrysler Hot-Rod und den Morgan­ zu Schrott, während ich in Tara war – innerhalb von zwei Tagen. Und er stieg jedes Mal lachend und grinsend aus, rieb sich die Hände und überließ es Dougal, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.“

      Peter „Dougal“ Butler hatte Keiths letzten Chauffeur „Chalky“ abgelöst. Dies war auf Betreiben Kims und anderer wohlmeinender Ratgeber geschehen, weil sich der frühere Roadie von Viv Stanshall in kürzester Zeit Keiths Gehirnwäsche unterworfen und den rasanten und narkotisierenden Lebensstil seines Brötchengebers adaptiert hatte. Dougal Butler dagegen war ein bewährter und zuverlässiger­ Helfer im Who-Tross und kannte Keith seit 1967 – als der ihm gleich am ersten Arbeitstag eine Rauchbombe ins Führerhaus eines Who-Transporters geworfen hatte. Dougal erzählt:

      „Ich hatte gerade bei John Entwistle aufgehört, als sie mir sagten, wofür sie mich brauchten. Ich dachte, oh nein, bitte das nicht; aber dann meinten sie, es sei dringend. Sie gaben mir Bedenkzeit bis Mitternacht. Am nächsten Morgen war ich um zehn Uhr in Tara. Keith schleifte mich in seine Stammkneipe und schaffte es, mich in kürzester Zeit völlig betrunken zu machen. Dann gab er mir zwei Tage frei. Den Rolls fuhr er eigenhändig nach Hause.“

      Das war der Beginn einer schier unglaublichen sechsjährigen Dienstzeit. Butler war der einzige Mensch, der Keith über längere Zeit hinweg ertragen konnte, ohne verrückt zu werden, und er schaffte es als einziger, Keiths exzessive Lebensweise einigermaßen sicher im Griff zu behalten.

      „Dougal hatte einen der schwierigsten Jobs auf dieser Erde“, meint Bill Curbishley, der 1970 zum Label Track/New Action gestoßen war und The Who fast vierzig Jahre später immer noch als persönlicher Manager betreut. „Keith konnte seine Leute wie ein Stück Scheiße behandeln, er tyrannisierte sie, manipulierte, drohte,­ strafte. Aber ­Dougal verspürte eine aufrichtige Zuneigung zu Keith, während andere­ ihn am liebsten in der Luft zerrissen hätten. Ich denke, Keith war sicher aufgehoben bei ­Dougal.“

      Auch Peter Rudge, der damals für das tägliche Geschäft verantwortlich war, meint, Keith sei in Dougals Obhut gut aufgehoben gewesen, berichtet aber auch, dass Keith seine Angestellten üblicherweise „wie Hunde behandelte“ und ihnen keinerlei Respekt entgegen brachte. Umso erstaunlicher, wie Dougal die Dinge betrachtet:

      „Er war einfach nur ein Freund, zu dem ich gehen konnte, um ein paar Bier zu trinken, einer, der Probleme mit seiner Frau hatte und einen Kumpel ­brauchte.­ Er war ein Mensch, den ich sehr, sehr mochte und um den ich mich gern kümmerte, egal, ob er der Schlagzeuger in einer berühmten Rockgruppe­ war oder in einer Garagenband um die Ecke spielte.“

      „Dougal kriegte das wirklich gut auf die Reihe“, bestätigt Kim Moon. „Er hatte die Fähigkeit, mit Keith zusammen Spaß zu haben und trotzdem sein eigenes Leben zu führen. Er lebte ja auch nie in Tara, obwohl wir ihm ein ­Zimmer eingerichtet hatten. Natürlich hatten sie auch ihre Auseinandersetzungen, aber Dougal konnte mit Keiths Stimmungsschwankungen umgehen, was eine ziemliche Leistung war.“

      Das größte Problem für Dougal war, dass „Keith immer selbst ans Steuer ­wollte,­ sobald er besoffen war“. Jeder wusste, dass Keith nicht Auto fahren durfte­ und es auch nicht konnte. Trotzdem bestand er darauf, boxte seinen Chauffeur zur Seite oder umging ihn einfach, und Dougal musste damit klarkommen, dass sein verrückter Dienstherr ein ums andere Mal Fahrzeuge ruinierte, die jedem Automuseum als Schmuckstück gereicht hätten. Dougal erzählt:

      „Vor allem den Ferrari Dino, den wir 1972 kauften, nachdem sich Roger einen zugelegt hatte, liebte ich sehr. Wir hatte ihn gerade vier Wochen, als Moonie anrief: ‚Dougal, du wirst nicht glauben, was passiert ist. Da waren ein paar Motorradfahrer, nette Typen, und sie wollten mal eine Runde drehen. Also gab ich ihnen den Schlüssel. Unglücklicherweise haben sie die Baustellen­schilder übersehen …‘“

      Für Keith waren tolle Autos nichts weiter als Spielzeuge – und was ihre Anschaffung und die unvermeidlichen Reparaturen an Geld verschlangen, gehörte nach seiner Auffassung ins Werbebudget. Sein Ruf als exzentrischster und wildester Rockstar seiner Zeit beruht auch auf den vielen mal wahren, mal erfundenen und mal gestellten Stories rund um seinen Fuhrpark. Dass er eine seiner Nobelkarossen gezielt in den Hausteich steuerte, um ein Foto für die Presse davon machen zu lassen, ist bekannt. Auch der legendäre Milchwagen war ein Pressegag: Ein Herrenmagazin wollte einen Artikel über den außergewöhn­lichen Automobilbestand der vier Who-Mitglieder schreiben. Rogers Beitrag war sein Sportwagen, ein extravaganter Stingray. Pete stellte seinen neuen Mercedes vor und John den riesigen, speziell nach