verkauften sie, wie wir es geplant hatten, und kauften uns vom Gewinn unsere kurzen Hosen. Als wir erkannten, dass die Trikots unser Budget überstiegen, und keiner von uns das Glück mit einem weiteren Diebstahl erneut herausfordern wollte, einigten wir uns eben auf farblich aufeinander abgestimmte Leibchen. Nun hatten wir allerdings noch immer keine Stutzen oder Schuhe, aber wir waren zu aufgeregt, um uns deswegen den Kopf zu zerbrechen. Zuerst nannten wir uns Descalsos – die Schuhlosen, bis wir herausfanden, dass es bereits mehrere Teams in Baurú gab, die sich aus exakt den gleichen Gründen für exakt denselben Namen entschieden hatten.
Stattdessen wählten wir den Namen Sete de Setembro, nach der Straße, die meine Straße kreuzte, die wiederum nach dem Datum der Unabhängigkeit Brasiliens, dem 7. September, benannt war. Nun, da wir unsere Ausrüstung und ein paar echte Asse in unseren Reihen hatten, begannen wir, uns extrem ernst zu nehmen. Zu unseren Spielen liefen wir einer nach dem anderen auf das Feld – nun ja, die Straße – und gaben uns sehr andächtig, so wie wir uns das vom Team meines Vaters abgeschaut hatten. Wir organisierten Spiele gegen andere Mannschaften aus der Gegend und gingen zumeist als Sieger vom Platz, wobei wir unseren Gegnern manchmal zweistellige Debakel zufügten. Ich baute verschiedene abgefahrene Tricks in mein Spiel ein, hielt den Ball mit dem Kopf in der Luft oder tändelte ihn von einem Knie zum anderen. Mitunter lachte ich närrisch über die glücklosen Kicker aus den Nachbarschaften, an denen ich pfeilschnell vorbeijagte, um ein weiteres Tor zu schießen.
Eines Abends kam Dondinho aus dem Gemischtwarengeschäft nach Hause und wirkte sichtlich aufgebracht. Als wir mit dem Abendessen fertig waren, sagte er, dass er sich mit mir unterhalten müsse – und zwar unter vier Augen.
Er sagte: „Ich bin heute an der Straße vorbeigegangen, in der du und deine Freunde gespielt haben, und ich habe gesehen, was du gemacht hast.“
Meine Augen müssen gestrahlt haben vor Freude. Womöglich hatte er einen meiner neuen Tricks gesehen?
Aber er sagte: „Ich bin stinksauer auf dich, Dico. Ich habe gesehen, wie du diese anderen Jungs verspottet hast. Du solltest ihnen mehr Respekt entgegenbringen. Dein Talent? Du hast gar nichts getan, womit du es dir verdient hättest. Es war Gott, der es dir geschenkt hat! Die anderen Jungs sind vielleicht nicht mit dem gleichen Talent gesegnet wie du, aber was soll’s? Das gibt dir nicht das Recht, dich als etwas Besseres zu fühlen.“ Er fuhr fort: „Du bist nur ein Junge.“ Er hob mahnend den Zeigefinger und erklärte mir, dass ich noch nichts erreicht hätte: „Wenn sich das eines Tages geändert haben sollte, dann darfst du feiern. Aber selbst dann bleib bescheiden!“
Ich stand unter Schock. Ich wollte davonlaufen und mich in meinem Zimmer, das ich mit Zoca teilte, verstecken. Aber es war wie immer ein ausgezeichneter Rat, den mir Dondinho gab – diese Unterhaltung sollte mir für viele, viele Jahre im Gedächtnis bleiben. Und wie sich herausstellen sollte, hätte ganz Brasilien diese wertvolle Warnung bitter nötig gehabt.
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Als die Weltmeisterschaft schließlich Fahrt aufgenommen hatte, stoppten unsere nachbarschaftlichen Spiele, damit wir dem Turnier unsere ganze Aufmerksamkeit schenken konnten. Und lange schien es, als wäre unsere atemlose Begeisterung gerechtfertigt. Brasilien gewann das Eröffnungsspiel in Rio in überzeugender Manier mit 4:0 gegen Mexiko, bei dem Ademir zwei Treffer beisteuerte. Er war ein Spieler von Vasco da Gama, den alle „Kiefer“ nannten, weil er so ein markantes Kinn hatte. Das nächste Spiel war eine viel nüchternere Angelegenheit. Im Pacaembu-Stadion in São Paulo endete die Begegnung mit der Schweiz 2:2. Doch der darauf folgende 2:0-Sieg gegen Jugoslawien ließ alle wieder ruhig schlafen – Brasilien war praktisch im Vorübergehen in die Finalrunde vorgestoßen.
Von da an war es, als hätte man ein Monster von der Kette gelassen. Brasilien demolierte ein ziemlich gutes schwedisches Team mit 7:1. „Kiefer“ allein schlug ganze vier Mal zu. Vier Tage später demütigte unser Team Spanien auf ähnliche Weise. Die Partie endete 6:1, und fünf verschiedene Spieler trugen sich in die Torschützenliste ein. Die brasilianische Auswahl trat geschickt und gut ausbalanciert auf. Die Defensive stand gut, und im Angriff konnte man sich auf treffsichere Optionen verlassen. Sie spielten vor einem Anhang, der sie mit Gesängen, Konfetti und der ganzen Liebe, die man von einem Heimpublikum erwartet, nach vorne trieb. Und plötzlich stand Brasilien, scheinbar ohne Mühe und noch weniger Spannung, nur mehr ein Spiel entfernt vom Titel. Vielleicht hatte Dondinho ja recht – der Pokal würde uns gehören.
Im entscheidenden Spiel traf man auf den erhofften Gegner, Uruguay: ein Land der Schafhirten, das mit seinen sandigen Stränden im Norden an Brasilien grenzt. Uruguay hatte gerade einmal etwas mehr als zwei Millionen Einwohner – bei uns lebten allein in Rio de Janeiro schon mehr Menschen. Und im Gegensatz zu Brasilien waren sie mit großer Mühe durch die Finalrunde gestolpert. Sie hatten nur ein 2:2 gegen Spanien erreicht und im Spiel gegen Schweden erst fünf Minuten vor dem Schlusspfiff das 3:2 erzielt.
Wir konnten außerdem mit der bestmöglichen Ausrichtungsstätte für dieses Spiel aufwarten: dem brandneuen Maracanã-Stadion in Rio, das speziell für diese Weltmeisterschaft erbaut worden war. Durch seine ehrfurchtgebietenden Ausmaße und seine architektonische Verspieltheit erinnert es mehr an einen Kaiserpalast als an ein Stadion. Es war viel Geld in diese Spielstätte investiert worden, da dort schließlich das Heimteam zum Champion gekrönt werden sollte. Die brasilianische Regierung hatte über 10.000 Arbeiter angeheuert, und als das Stadion fast fertig war, testeten sie die Standfestigkeit, indem sie die Ränge füllten und imaginäre Tore bejubelten. Zum Glück hielten alle Stützen und Träger der Belastung stand. Als das Maracanã schließlich stand, war darin Platz für fast 200.000 Zuschauer. Es war somit das größte Stadion der Welt, größer noch als der Hampden Park im schottischen Glasgow, der 40.000 Zuschauer weniger aufnehmen konnte.
Die brasilianischen Medien und Politiker überschlugen sich förmlich vor Lob für das Maracanã und im weiteren Sinne Brasilien selbst. Die Zeitung „A Noite“ etwa schrieb: „Brasilien hat nun das größte und perfekteste Stadion der Welt, das dem Können seines Volkes und dem Fortschritt in jedem erdenklichen menschlichen Betätigungsfeld zur Ehre gereicht. Endlich verfügen wir über eine Bühne epischen Ausmaßes, in der die ganze Welt unser Prestige und unsere sportliche Größe bewundern kann.“
Und diese Form der Übertreibung war noch gar nichts im Vergleich zu der Begeisterung, die am Spieltag herrschte. Karnevalsumzüge ergossen sich durch die Straßen von Rio, und die unmittelbar bevorstehende Krönung Brasiliens zur weltbesten Mannschaft wurde besungen. Viele nahmen sich den Tag frei und deckten sich voller Vorfreude auf die wilden Feiern, die nach dem Spiel stattfinden würden, mit Bier und Snacks ein. Eine Zeitung druckte sogar ein Foto unseres Teams auf der Titelseite und ließ sich zu der Schlagzeile hinreißen: „Das sind die Weltmeister!“
Als das brasilianische Team auf das Spielfeld lief, durfte es sich über ein ausverkauftes Haus freuen. Geschätzte 200.000 Menschen – bis heute ein Weltrekord für ein Fußballspiel – waren ins Stadion geströmt. Noch vor dem Spiel wurden den Spielern goldene Uhren überreicht, in die eine Widmung eingraviert worden war: „Für die Weltmeister.“ Und dann ergriff auch noch der Gouverneur von Rio de Janeiro das Wort und richtete sich an das Team, die Zuschauer und die Nation:
„Ihr Brasilianer, die für mich bereits die Sieger dieses Turniers sind … Ihr Spieler, die ihr in wenigen Stunden von euren Landsleuten umjubelt werdet … Niemand in irdischen Sphären kann euch das Wasser reichen … Ihr seid jedem Gegner überlegen … Ich verbeuge mich bereits jetzt vor euch und eurem Triumph!“
Inmitten all dieser Ausschweifungen gab es nur eine warnende Stimme. Allerdings kam die aus einer beunruhigenden Richtung.
„Das ist hier kein Schaulaufen. Es ist ein Spiel wie jedes andere – nur viel schwerer“, informierte Brasiliens Trainer Flávio Costa die Reporter noch vor dem Spiel. „Ich fürchte, die Spieler werden aufs Feld laufen, als wäre der Stern für den Titel bereits auf ihre Trikots genäht.“
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All dies fordert eine Frage heraus: Mensch, Brasilien, was sollte dieser ganze Hype?
Waren wir etwa so naiv? Dämlich?
Oder ging es um noch etwas anderes?
Eine