werden wir mit Clark Kent konfrontiert, dem Mann hinter dem „S“ – einem Mann mit einem Job, einem Boss und mit Frauenproblemen. Clark, der Nerd, der arme Tropf, diese Brillenschlange, die nur ein Schatten des vor Selbstvertrauen strotzenden Supermans ist. Die Jungs waren auf eine Goldader gestoßen.
Herkules war stets Herkules. Agamemnon und Perseus waren Helden ab dem Zeitpunkt, da sie aus ihren Betten stiegen, und blieben es auch bis zum Ende eines schlachtenreichen Tages. Superman aber war heimlich jemand anderer. Clark war die Seele, das transzendente Element in der Superman-Gleichung. Mit Clark hatte Siegel dem Leser eine Identifikationsfigur geschenkt: unverstanden, ausgenutzt und respektlos behandelt – trotz seiner offensichtlichen Fähigkeiten als Zeitungsmacher beim Daily Planet. Wie auch Siegel und Shuster schon hatten erleben müssen, bevorzugten manche Frauen heroische Krieger gegenüber hageren Männern, die hübsche Bilder zeichneten. Aber Clark Kent war mehr als die ultimative Nerd-Fantasie. Jeder konnte sich mit ihm identifizieren. Wir haben uns alle schon ungeschickt und missverstanden gefühlt – ein oder zwei Mal vielleicht, eventuell sogar öfter. Beinahe jeder vermutet bei sich die Existenz eines innewohnenden Supermans, eines engelgleichen Wesens, eine idealisierte Version unserer selbst. Etwas von Clark steckt in uns allen.
Die Seite 3 stellte uns den Reporter Kent auf seinem Weg zur Arbeit vor, wo ihn ein anonymer Hinweis auf die Spur eines angeblichen Gewalttäters bringt, jedoch ist es Superman, der letztlich auf der Szene erscheint. Er findet den Rüpel, wie er seine Frau mit einem Gürtel bedroht. Er schleudert den Übeltäter gegen die Wand, wobei der Verputz aufbricht, und ruft ihm zu: „HÖR AUF, DEINE FRAU ZU SCHLAGEN!“ Worauf der Fiesling ohnmächtig wird, was Superman erlaubt, sich wieder in Kent zu verwandeln, bevor die Polizei eintrifft.
Es fehlte immer noch ein entscheidender Baustein im Profil von Superman. Auf Seite 5 trat die Schlüsselfigur einer aufreibenden Ménage à trois, welche das Publikum jahrzehntelang faszinieren würde, in einer seltsam schmucklosen Panele erstmals in Erscheinung. Zurück in der Redaktion stellt uns Kent die kühle, abweisende Lois Lane, seine Rivalin um die besten Schlagzeilen, vor: „WAS HÄLTST DU VON EINEM … ÄH, DATE HEUTE ABEND, LOIS?“ Ihre ersten Worte sollten sie für Jahrzehnte definieren: „ICH GLAUBE, ZUR ABWECHSLUNG SOLLTE ICH MAL JA SAGEN.“ Beim folgenden Rendezvous schafft Kent ein halbes, windschiefes Tänzchen mit seiner Flamme, doch werden sie sogleich von Butch Matson, einem Gorilla von einem Gangster, belästigt. Clark weiß sich nicht zu helfen, doch die resolute Lois verpasst Matson eine und rät ihm, sich zu verziehen. Bevor ihr Taxi losfährt, lässt sie noch den sanftmütigen Kent ihre vernichtende Verachtung spüren: „DU HAST MICH GEFRAGT, WARUM ICH DIR AUS DEM WEG GEHE. NUN, WEIL DU EIN RÜCKGRATLOSER, UNERTRÄGLICHER ANGSTHASE BIST.“
Angesichts der Tatsache, dass Clark ein Top-Kriminalreporter bei einer angesehenen Zeitung ist und ein schickes Apartement bewohnt, ist es nur schwer vorstellbar, dass Lois so wenig von ihm hält. Andersherum ist es leicht, sie zu verstehen, wenn man bedenkt, wie Kent eine Ausrede nach der anderen sucht, um seine wahre Identität zu verbergen. Clark klagt über Übelkeit oder Schnupfen, wenn seine sensiblen Ohren einen Polizeialarm auffangen und Superman benötigt wird. Seine Rechtfertigung für seine Ausflüchte ist, dass dunkle Unterweltbosse sich durch Gräueltaten an seinen Lieben bei ihm revanchieren könnten, wenn er sein wahres Ich preisgeben würde. Er hatte eine umfassende Tarnung erschaffen, eine Person, die das totale Gegenteil zu Superman darstellte, um ihm einen Hauch normales Leben zu erlauben.
Am Ende der ersten Superman-Story, dreizehn Seiten nach ihrer furiosen Einführungsszene, hatte unser Held nicht weniger als fünf Gesetzesbrecher zur Strecke gebracht und sich auch noch nebenbei der Korruption im US Senat angenommen. Jedes neu enthüllte Detail machte sowohl die individuelle Figur als auch das Konzept an sich noch spannender. Es war eine Genre-Innovation ungeahnten Ausmaßes. Er gab der Welt ihren ersten Superhelden. Dreizehn Seiten Unglück für die Feinde der Unterdrückten!
Das Konzept des Superhelden fand umgehend Anklang in der Öffentlichkeit. Der Superman-Fanclub hatte bald hunderttausende Mitglieder, wie eine Art freundlich gesinnter Hitlerjugend oder eine Bewegung von Science-Fiction-Pfadfindern. 1941 war er der Star von Action Comics. Superman bekam bald seine nach ihm benannte Publikation und trat auch in World’s Finest Comics und All Star Comics auf. Gleichzeitig gelang ihm der Sprung in andere Medien, was ihm dabei half, seinen Ruhm zu verbreiten, und den Grundstein für eine lange Karriere auch abseits der Comics legte. Superman arbeitete sich ins Bewusstsein der ganzen Nation, ja, der ganzen Welt. Er war im Radio, fand sich auf Comic-Seiten in Tageszeitungen, auf Marken zum Sammeln, auf Grußkarten, in Malbüchern, auf Kaugummipackungen und Kriegsanleihen.
Frühe Comics benützten Vierfarbdruck, bei dem Rot, Gelb, Blau und Schwarz kombiniert wurden, um das Farbspektrum zu kreieren. Superman war – wie könnte es anders sein – der Erste, der diese neue Technik voll für sich zu nutzen wusste. Wir werden diese fundamentalen Bausteine des Comic-Universums später noch genauer unter die Lupe nehmen, aber im Moment reicht es, wenn man weiß, dass dieser Prozess dem Superhelden eine strahlende Erscheinung gab. Das gab es noch nie zuvor, und nun war es für jedermann erhältlich. Für die an die Schwarzweißbilder der Kinofilme, Fotos, Zeitungen und Schundheftchen gewöhnten Leser mussten die Comics wie ein Halluzinogen gewirkt haben. Dass Siegel und Shuster sogar eine feine Prise Naturalismus aus Filmen und Wochenschauen in ihre Comics einflochten, machte den verführerischen Surrealismus des Superhelden nur noch faszinierender. Sie waren Volkskunst für ein rastloses neues Jahrhundert.
Shusters und Siegels innovativer Stil des rasanten Schnitts brachte eine neue Geschwindigkeit und Lebendigkeit in die Kunstform. Damit ist gemeint, dass der Raum, der zwischen einem noblen Landsitz und einem urbanen Häuserblock lag, auf den weißen Strich zwischen den Panelen reduziert wurde. Eine meilenweite Entfernung – im Nu durch einen Sprung Supermans überwunden. Dem Helden über die Panelen zu folgen, hieß, eine Verschiebung der Grenzen des Möglichen zu erleben, sowohl in Bezug auf menschliche Wahrnehmung als auch auf unmögliche Geschwindigkeiten. Anders als die Strips in Tageszeitungen, hatten die frühen Superhelden eine besondere Links-nach-rechts-Dynamik. Es war beinahe wie ein Zeichentrickfilm, bei dem die einzelnen Frames sichtbar gemacht wurden und der Leser sich die Lücken mithilfe seiner Fantasie auffüllen musste.
Shusters Artwork war einfach. Die kräftigen Schwarzweißlinien der frühen Comics waren noch erkennbar, um sicherzustellen, dass im rohen Reproduktionsprozess auch nichts verloren gehen konnte. Jegliche feine Linienführung, Schattierung oder Nuance wäre einfach verloren gegangen auf dem Weg zur gedruckten Ausgabe. Außerdem musste aufgrund von Abgabefristen schnell gearbeitet werden.
Trotzdem ist es noch möglich, Tiefe in den Zeichnungen zu entdecken. Ich kann gar nicht anders, als in diesen handgefertigten Arbeiten die rührenden Produkte der Fantasie dieser jungen Männer, die von einer besseren Zukunft träumten, zu sehen. Die Tiefe und die Schärfe, die in die Geschichten und Bilder der noch so roh wirkenden Comics floss, sind auch noch in den unsichersten Strichen sichtbar. Die Seiten sind das Resultat stundenlanger Arbeit, und der Triumph und die Verwirrung, die diese Arbeit mit sich bringt – von Pillen und Kaffee angetrieben, damit man nach einer durchgearbeiteten Nacht eine Story einreichen konnte – flackern durch die Striche jeder noch so bescheidenen oder kurzen Geschichte.
Nach all diesen Jahren der zahllosen Fehlstarts und frustrierenden Ablehnungen, hatten es Siegel und Shuster geschafft. Natürlich war es nur logisch, dass sie nun die Rechte für 130 $ an National Comics (später DC Comics) abtraten. Genau. Halten wir inne und stellen uns diese beträchtliche Geldsumme im Angesicht dessen vor, was die Marke Superman bis heute eingebracht hat.
Wer auf die richtigen Stimmen hört, wird hören und glauben, was ich hörte und glaubte, als ich in diesem Business heranwuchs – und es wird nicht lange dauern, bis man folgendes Düstere und üble Märchen zugeflüstert bekommt: Es ist die triste Geschichte zweier unschuldiger Siebzehnjähriger, die von schlangenzüngigen und durch-und-durch kapitalistischen Blutsaugern verführt wurden. In dieser Tragödie nach dem Geschmack Hollywoods werden Jerry Siegel und Joe Shuster als großäugige Naivlinge in einer Welt voller gefährlicher Raubtiere dargestellt.
Die Wahrheit ist wie immer nicht so dramatisch. Der Deal wurde 1938 abgeschlossen, also bevor Superman boomte. Siegel und Shuster waren beide 23, als sie die Rechte an Superman verkauften. Sie hatten bereits einige Jahre in der halsabschneiderischen