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Achmed und Salah
Darian wollte nie fliehen
Ariam sucht Arbeit
Tayos Trauma
Mikails Verzweiflung
Der Engel im Bus
Hamit aus Palästina
Immer fröhlich
Von Gott geliebt
Nachwort
Flüchtlingen praktisch helfen
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Dank
Über die DMG
Über den Arbeitskreis Migration & Integration der Deutschen Evangelischen Allianz
Über den Autor
THEO VOLLAND ist Chefredakteur des christlichen Hilfs- und Missionswerks DMG interpersonal e. V. in Sins heim. Er ist glücklich verheiratet mit Elke, sie haben drei erwachsene Kinder. Seit 2015 begleitet er ehrenamtlich Gefl üchtete in der Region Heidelberg, verbringt viel Zeit mit Einzelnen, hört zu und hilft beim Deutsch lernen, bei Behördengängen und Arztbesuchen. Einige seiner ermutigenden Erfahrungen mündeten in dieses Buch.
Vorwort
Es dämmert, als ich an einem frostig nebligen Oktoberabend durch die Fußgängerzone von Sinsheim gehe. Aus dem Halbdunkel kommen mir mehrere Gruppen junger Afrikaner entgegen, ich fühle mich unwohl. Dann stehe ich plötzlich zwischen lauter düster dreinschauenden dunkelhaarigen Arabern vor einem Schaufenster, und auch auf dem restlichen Weg zum Bahnhof begegnet mir an diesem Abend gefühlt kein einziger Deutscher mehr. Ich habe Angst. Richtig Angst, nicht nur ein bisschen. Was, wenn mich diese Fremden spontan ausrauben oder verprügeln? Beinahe geht meine Fantasie mit mir durch. Plötzlich wird mir bewusst, was es bedeuten könnte, dass unsere beschauliche Kleinstadt mehr als 1 000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Eine schlaflose Nacht grübele ich durch. Im Grunde bleiben mir nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich ziehe mich ins Schneckenhaus meiner kleinen Mietwohnung zurück und überlasse mich der Furcht. Oder ich mache mich auf ins Asylantenheim, um die neuen Bewohner unserer Stadt kennenzulernen. Ich entscheide mich fürs Begegnen. Meinen ersten Besuch in der Fohlenweide, so heißt die Containersiedlung für Asylbewerber am Rand unserer Stadt, werde ich nie vergessen. Ich bin unglaublich aufgeregt und ängstlich. Glücklicherweise nehmen mich erfahrene christliche Helfer wie ein Kind an die Hand.
Wir verteilen Brot, das ein Bäcker für die Asylbewerber gestiftet hat. Erstaunt erlebe ich mit, wie bereitwillig und freundlich uns die Menschen aus aller Welt in ihre Zimmer hineinbitten. Schon an diesem ersten Abend bleibe ich stundenlang bei einer syrischen Familie hängen, die mich zu einer Fanta einlädt und ihre abenteuerliche Geschichte erzählt – eine Begegnung, die zum Grundstock für dieses Buch geworden ist. Ein paar Monate später, mitten im Winter, gehe ich wieder abends durch die verschneite Fußgängerzone. Dasselbe Bild, wieder Straßen voller Afrikaner, Afghanen, Syrer und Iraker. Doch einige von ihnen kenne ich inzwischen. Sie erkennen mich, grüßen mich herzlich, bleiben stehen und suchen in gebrochenem Deutsch das Gespräch. Die Angst auf beiden Seiten ist überwunden, eine wunderbare Erfahrung. Mein fester Glaube an Jesus hat sich bei meinen vielen Besuchen in der Flüchtlingsunterkunft seither nie als Hindernis erwiesen, im Gegenteil. Ich trage offen mein kleines Kreuz aus Eichenholz um den Hals. Und das immer, auch in Zimmern voller muslimischer Männer. Sie respektieren meinen Glauben und suchen meinen Rat, gerade weil sie wissen, dass ich überzeugter Christ bin. Mein Glaube hilft, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches hat das christliche Missions- und Hilfswerk DMG in Deutschland bereits 44 hauptamtliche Mitarbeiter, die Flüchtlingen und Einwanderern bei der Integration helfen, und bald jeden Monat kommen neue hinzu. Darüber hinaus setzen sich fast noch mal so viele Missionare im Heimatdienst und Mitarbeiter der Heimatzentrale ehrenamtlich für Migranten in unserem Land ein. Von ihnen allen stammen die Texte in diesem Buch. Dabei verschweigen wir unseren Glauben nicht, auch nicht in der Begegnung mit Flüchtlingen und Einwanderern, wenn sie uns nach unserer Motivation und Religion fragen. Weil wir täglich staunen, wie die gute Botschaft der Bibel Menschen Hoffnung gibt. Denn allesamt machen wir dieselbe Erfahrung: Wir begegnen entwurzelten Menschen, deren Suche nach einer neuen Heimat eigentlich die Suche nach dem lebendigen Gott ist.
Dieses Buch schildert Schicksale solcher Menschen – mal aus der Perspektive der Helfer, mal aus dem Blickwinkel der Geflüchteten selbst. Die Geschichte einer leisen Erweckung. Erleben Sie mit, wie Gott die Flüchtlinge in unserem Land berührt.
Theo Volland, Herausgeber
Alles auf Anfang
Beirut, Libanon
In der nordöstlichen Ecke von Syrien, nah an der Grenze zum Irak und der Türkei, wohnte mein lieber Freund Kemal, ein findiger Geschäftsmann mit Format. Als Apotheker hatte er einen sehr guten Ruf; er besaß einige Geschäfte und Häuser, es ging ihm und seiner Familie rundum gut. Kemal war Ältester seiner christlichen Gemeinde in seiner Heimatstadt im Nahen Osten und hatte sich die Ausbildung von Mitarbeitern sowohl theologisch als auch für verschiedene Gemeindeaktivitäten zur Aufgabe gemacht, dabei arbeiteten wir oft eng zusammen. Seine Frau sang im Gottesdienst mit, die drei Kinder waren in der Jugendarbeit engagiert. Der Älteste hatte beste Noten in der Schule und war im Abiturjahr. Doch dann kam der Krieg und ihre ganze Existenz ging zu Bruch.
Das letzte Mal traf ich Kemal völlig niedergeschlagen in der Notunterkunft einer christlichen Gemeinde in Beirut, der Hauptstadt des Libanon. Er und seine Familie waren auf dem Weg nach Deutschland, wo seine Frau Verwandte hatte. Er kam mir vor wie ein Segelschiff bei Windstille; seine Segel hingen träge und leer am Mast. Würden sie in Deutschland wirklich eine Chance haben? Im Zwischenlager jedenfalls konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, dass ihre Kinder jemals das deutsche Abitur schaffen würden. Ein neues Schulsystem, die neue Sprache; es schien alles völlig aussichtslos. Traurig schauten sie mich an.
Ich machte ihnen Mut, denn ich hatte als Jugendlicher Ähnliches erlebt: »Ja, es ist schwer, sich in einem fremden, neuen Land einzuleben, aber es ist möglich! Ihr schafft das …« Wir redeten noch lange miteinander an diesem Abend, und ich erinnerte sie an unseren gemeinsamen Glauben. Dass Jesus sie auf dem weiten Weg begleitete, der ihnen bevorstand, und nicht im Stich lassen werde. Der Verlust ihrer Heimat wog schwer, nie hätte Kemal erwartet, dass er sich einmal in so einer Situation wiederfinden würde. Beim Abschied, als er mich noch durch die unbeleuchteten Straßen des nächtlichen Beirut begleitete, seufzte er traurig: »Nicht ich habe Syrien verlassen – das Syrien, wie ich es geliebt habe, gibt es nicht mehr.«
Von den äußeren Ereignissen können wir in der Presse nachlesen. Statistiken der Getöteten und Ausgewanderten im Nahen Osten sind im Internet ersichtlich. Doch die Geschichten der Menschen erfahren wir nur in der persönlichen Begegnung mit ihnen. Ohne Zweifel ist die Einwanderung von mehr als