Theo Volland

Die leise Erweckung


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lange überlegt. Ich traf mich mit Mitarbeitern, die den Menschen in dem Lager halfen, um zu schauen, was mein Beitrag sein könnte. Eine Sozialarbeiterin erzählte von den jungen schwangeren Frauen im Camp. Die Hygienebedingungen für Neugeborene und Mütter in der alten Turnhalle waren alles andere als gut. Die Leute schliefen Feldbett an Feldbett, ihre »Zimmer« waren nur unterteilt durch zwei Meter hohe dünne Trennwände, nach oben hin offen, und ließen jedes Geräusch durch. Es gab kaum Privatsphäre, viel zu viel Lärm. Und in unserem Stadtviertel gab es keine andere Möglichkeit zur Unterbringung für Schwangere und Mütter mit Neugeborenen. Eindringlich bat uns die sichtlich mit der Situation überforderte Sozialarbeiterin des Heims um Hilfe: Ob jemand ein paar Wochen ein Quartier für eine junge Mama zur Verfügung stellen könne? Ich fühlte mich sofort angesprochen. Das war meine Aufgabe, hier war ich gemeint!

      Motiviert ging ich nach Hause. Als mein Mann von der Arbeit kam, sprach ich ihn an und bat ihn, ob wir einer jungen Mutter aus unserem Volk für ein paar Wochen ein Zuhause geben könnten. Ihn zu überzeugen war schwer. Er wollte keine fremden Menschen in unserer Wohnung und hatte Angst um uns und unsere Ehe. Die Bibel lehrt uns Gastfreundschaft, Nächstenliebe und wie wichtig es ist, Menschen in Not beizustehen. Wir sprachen darüber. Ich merkte, dass diese Bibeltexte uns meinten. Dass Gott durch sein Wort uns ansprach. Mein Mann runzelte die Stirn und sagte: »Vielleicht hat Gott ja mit dir gesprochen, aber mit mir nicht!« Das gab mir schwer zu denken, an diesem Abend war ich tieftraurig. Später in den Nachrichten sah mein Mann einen Politiker reden, der über die vielen neuen Flüchtlinge sprach. Und dann passierte etwas Erstaunliches: Der Politiker zitierte aus der Bibel, offen in die Kamera hinein: »Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen« (Matthäus 25,35). Ein Politiker zitiert Jesus, das traf meinen Mann mitten ins Herz. Ab diesem Moment waren wir uns einig. Wir würden helfen.

      Ich fuhr den Laptop hoch und schickte der Sozialarbeiterin sofort eine Mail. Falls demnächst eine eritreische Frau in der nahen Flüchtlingsunterkunft ein Baby bekomme, könne sie gerne ein Zimmer in unserem Haus haben und einige Wochen bei uns leben. Unser Angebot stand fest, und wir hatten gemeinsam Frieden darüber. Ein paar Tage später war es so weit. Ohne zu wissen, wie die junge Frau hieß und wer sie war, sagten wir zu. Viele unserer Angehörigen und Bekannten hielten uns für verrückt. Sie waren absolut dagegen und sorgten sich, dass uns etwas passieren könnte. Oder dass sich die Person bei uns einnisten würde, uns ausnutzen und monatelang nicht wieder gehen würde. Doch wir ließen uns nicht beirren und folgten dem, was Gott uns gemeinsam aufs Herz gelegt hatte. Es hat sich gelohnt.

      Einige Tage später klingelte die Sozialarbeiterin mit einer 20-jährigen Eritreerin und ihrem Baby an unserer Tür. Wir zeigten der jungen Mama ihr Zuhause für die nächsten Wochen und halfen ihr, sich bei uns einzuleben. Sie war vertrauenswürdig und nett. Seit drei Wochen wohnen wir schon zusammen und harmonieren fantastisch. Sie hilft im Haushalt und unterstützt mich, wo sie nur kann. Ihre Dankbarkeit ist eine echte Bereicherung für uns. Ich staune darüber, wie Gottes Wort funktioniert: Jesus fordert uns zu etwas auf, und wenn wir es tun, werden wir selbst beschenkt! Mit ihrer kleinen Tochter hat die junge Mama Leben und Segen in unsere Wohnung gebracht. Es gab keinen einzigen Tag, an dem wir bereut hätten, sie aufgenommen zu haben. Es stimmt, wer Gott folgt, erlebt auch seine Hilfe. Kürzlich hat unsere junge Mitbewohnerin uns sogar von ihrem kleinen Taschengeld, das sie vom Staat erhält, ein Geschenk gekauft.

      Gott hat uns überraschend eine neue Aufgabe gegeben, mein Mann und ich sind seiner Anweisung gefolgt. Seither sind wir gesegnet. All die Befürchtungen und Sorgen unserer Freunde und Angehörigen sind nicht eingetroffen, im Gegenteil. Selbst auf der Arbeit hat mein Mann in den vergangenen Wochen besondere Erfolge erzielt. Ich staune über Gottes Hilfe. Wer auf seine Stimme hört, erlebt Segen.

      Du kannst immer geben ohne zu lieben, aber niemals lieben ohne zu geben.

      Amy Carmichael

Teil 2

      »Warum redet der Pfarrer nie über seinen Glauben?«

      München

      Amir und Nuria mussten ihr Import-Export-Geschäft für Obst und Gemüse in Syrien zurücklassen, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Zweimal hintereinander ist ihr gesamtes Hab und Gut im Bombenhagel untergegangen, bevor sie den schweren Entschluss zur Flucht gefasst haben und sich mit ihren beiden Töchtern und ihrem Sohn auf den weiten Weg machten. Ihre letzten Ressourcen setzten sie für die Überfahrt und Reise ein, um am Ende gänzlich mittellos in Bayern anzukommen. Gott hat uns auf sie aufmerksam gemacht und uns gezeigt, wie wir ihnen helfen können. Immer wieder bieten uns Veränderungen in ihrem Leben die Gelegenheit, sie Gottes Liebe spüren zu lassen.

      Zunächst wurden sie in unserem Nachbardorf untergebracht. Der Weg zum nächsten Supermarkt war zu Fuß viel zu weit. Darum rückten wir eines Nachmittags mit alten, aber gut reparierten Fahrrädern an. Es gab noch mancherlei Kleinigkeiten wie Töpfe, Pfannen, Bettwäsche, ein Sofa und andere Möbelstücke, mit denen wir ihre kleine Mansardenwohnung gemütlicher einrichten konnten. Wir kamen, um sie zu beschenken, und wurden selbst beschenkt: Die beiden überraschten uns mit einem köstlichen syrischen Mittagessen, großer Offenheit und Freundlichkeit. Jetzt kennen wir die sprichwörtliche orientalische Gastfreundschaft.

      In den vergangenen eineinhalb Jahren ist unsere Beziehung gewachsen. Mittlerweile haben sie Asyl erhalten und durften in eine nette Wohnung in unserem Ort umziehen. Es ist wunderbar, dass ihnen diese Chance gewährt wurde, die sie mit großer Gewissenhaftigkeit und Sauberkeit honorieren. Sie interessieren sich für uns und unserer Kultur, warum wir leben, wie wir leben. Selbst die Hürde der Abschlussprüfung ihres B2-Sprachlehrgangs haben sie bereits gemeistert.

      »Du, Martin, warum redet der Pfarrer eigentlich nie mit uns über seinen Glauben?« Verblüfft höre ich Amirs Frage. Ich bin tief beschämt. Ja, es stimmt. Viele unserer ehrenamtlichen Mithelfer reden vor lauter kultureller Sensibilität und Respekt gegenüber der Glaubensüberzeugung der Flüchtlinge nicht über ihre eigene Hoffnung und Zuversicht, nicht über ihren Glauben. Auch der Pfarrer nicht. Was für unsere muslimischen Freunde eine völlige Selbstverständlichkeit ist, Glaubensfragen zu stellen und darüber zu diskutieren, findet in der Begegnung mit vielen Deutschen kaum statt. Weshalb eigentlich?

      Manchem Helfer scheint es regelrecht peinlich zu sein, über Sünde, Schuld, Vergebung, den Sinn des Lebens und Jesus zu reden. Durch unsere Erfahrung als Missionare in Afrika wissen wir, dass diese vorauseilende Rücksicht nicht nur unnötig ist. Sie irritiert unsere neuen Freunde aus anderen Ländern sogar, weil die gerne wissen wollen, was wir als Christen so denken. Viele von ihnen sind hier in Deutschland zum ersten Mal mit echten Christen in Kontakt, das ist spannend für sie. Zu Hause im Nahen Osten gab es kaum richtige Informationen über Christen und unseren Glauben – das ist ihnen bewusst. Sie wollen endlich wissen, was in »unserer« Bibel steht.

      Amir fragte mich eines Tages ganz direkt: »Wie ist das? Muslime, Christen und Juden glauben alle, dass sie in den Himmel kommen und die jeweils anderen nicht? Wieso ist das so? Wer hat denn nun recht?«

      Ich konnte ihm erklären, dass alle Menschen weltweit Sünder sind, egal in welche Religion sie hineingeboren wurden, und keine Religion es irgendjemandem jemals ermöglichen wird, aus eigener Kraft zu Gott zu kommen. Weil Gott unerreichbar hoch im Himmel wohnt.

      »Amir, die einzige Chance, damit ein Mensch überhaupt in den Himmel kommen kann, ist, dass Gott zu uns herabkommt – und das hat er in Jesus Christus getan. Deshalb ist Jesus so wichtig, er ist der einzige Weg zu Gott.«

      Amir überlegte ein wenig, dann hakte er nach: »Aber warum rettet Jesus nur euch Christen?«

      Ernst antwortete ich ihm: »Jesus rettet nicht nur Leute, die in Europa geboren sind, er ist für die Schuld aller Menschen gestorben. Wer an ihn glaubt