allem, wirklich allem, was sie wichtig aussehen oder erscheinen ließ.
Schmarotzer denken oft, dass die komplette Show einzig und allein für ihr Vergnügen veranstaltet wird. Verdreckte Roadies? Igitt! Diese Möchtegerne-VIPs oder Freunde von Freunden ließen sich allerdings nie in Würzburg, Newcastle oder Omaha, Nebraska sehen, sondern nur in den großen Städten.
Wenigstens durften sie sich bei einer Show niemals an den Bühnenseiten aufhalten. Der Raum war allein der Crew vorbehalten und gelegentlich sehr, sehr guten Bekannten und den Frauen oder Freundinnen der Musiker, die von den Seiten aus dem Auftritt zusahen.
„Ratty, heute Abend kommt ein Special Guest. Wir haben ihm versprochen, dass er sich das Konzert von deiner Seite aus anschauen darf.“
„Kommt überhaupt nicht in Frage. Die stehen einem ständig im Weg rum. Die kapieren das nicht. Ich muss beim Gig so viel machen. Ihr wisst doch, wie Fred ist. Auf gar keinen Fall.“
„Sorry, Ratty, aber wir haben es ihm schon versprochen.“
„Und ich habe euch gerade eben meine Meinung gesagt. Kommt nicht in die Tüte! Die Bühnenseite muss frei sein, damit ich anständig arbeiten kann.“
„Ratty …“
„Nein, auf gar keinen Fall – kapierst du es nicht?“
„Es ist Mick Jagger.“
„Oh, alles in Ordnung. Was möchte er trinken?“
Für einen Briten ist sein Haus seine Burg, und für einen britischen Roadie ist seine Burg die Bühne – eine Festung, ein sicherer Hafen, während der Show beschützt von der Security, einem Haufen muskelbepackter Schränke aus den USA oder aus Londons East End. Big Paul, Big Doug, Tunbridge, Big Wally, Wally Gore, Big Terry, Big Black Vic – alle in den USA geborenen Männer waren tatsächlich sehr groß und kräftig. Ab einem bestimmten Zeitpunkt 1981 arbeiteten drei Aufpasser für uns, die alle Wally hießen. Der Aufpasser Mad Jack, ein beängstigender Kampfkunstexperte, entdeckte einmal eine abgerissen wirkende Figur, die hinter Freds Flügel lauerte, und stampfte auf ihn zu, um ihn wegzureißen. Bei dem zwielichtigen Charakter handelte es sich allerdings um mich, und so durfte Jack seine Dienste schon vor Tourende quittieren.
Ein anderer Security-Mann, der nicht sehr lange für uns arbeitete, war ein muskelbepackter Kerl, dessen enthüllende Fotos wir in einem Schwulenmagazin entdeckten – und die daraufhin in der gesamten Crew die Runde machten.
Auch ein Physiotherapeut aus München gehörte auf Freds Wunsch zu unserer Truppe. Er behandelte ihn während der Genesung von einer Bänderverletzung im Knie, die er sich 1984 auf einer Kneipen- und Club-Sause zugezogen hatte. Verständlicherweise plagten Fred Zweifel, ob das Gelenk all die Torturen auf der Bühne überstehen würde. Mercury war ein sehr vielfältiger Charakter, vor allem aber ein Musiker, der sang und auf der Bühne leistungsstark wie ein Athlet eine beeindruckende Show ablieferte. Trainierte er? Arbeitete er hart an sich, um vor einer kräftezehrenden Tour in Form zu kommen? Absolvierte er mit viel Disziplin ausgewählte Übungen oder quälte er sich mit einer Diät? Nein. Er machte gelegentlich ein paar Dehnungsübungen und zeichnete sich vor allem durch einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst aus. Nicht zu vergessen, ein paar Wodka.
Der Physiotherapeut Dieter Breit war unter dem Namen The Fizz [„Dr. Schampus“] bekannt und in bestimmten Kreisen hielt man ihn für einen Luxus-Praktiker, doch der Mann rettete Fred und zahlreiche Shows, als das mercurianische Knie bei einem Auftritt in Hannover Ende 1984 schlapp machte. Er kümmerte sich wenige Wochen darauf auch erfolgreich um Rogers böse Knöchelverstauchung nach einem Fall in Sun City. Tourneen sind für einen Körper eine Schwerstbelastung und Dr. Schampus bearbeitete auch meinen Rücken, wenn er mal nicht wollte. Meistens war das der Fall, wenn einer meiner großen, amerikanischen Tourbrüder mich sturzbesoffen durch die Lobby eines Hotels geschleudert hatte.
Das Beladen dauerte immer unterschiedlich lange, je nachdem, was ich dem Rücken zumuten konnte, wie viele Schmarotzer uns im Weg standen und wie gut die örtlichen Roadies waren. Wenn wir in der Stadt, in der das Konzert stattgefunden hatte, übernachteten und eine Party in Aussicht stand, beschleunigte das gehörig unser Tempo. Der Packvorgang nahm manchmal mehrere Stunden in Anspruch, doch in Tempe, Arizona, stand der Truck direkt an der Bühne, sodass wir nur 45 Minuten benötigten, gerechnet ab dem Zeitpunkt des Endes der Show. Ein 45 Fuß langer Trailer! Ein Fuß [30,48 cm] pro Minute – persönlicher Rekord!
Das Packen von Trucks ist eine schmutzige und unangenehme Tätigkeit, wobei Beulen am Schienbein, Schrammen, Splitter, Abschürfungen und eingequetschte Finger zum normalen Alltag gehören. Beim Beladen des Trucks achtete ich deshalb immer darauf, den örtlichen Hilfskräften Kippen und Drinks zu spendieren, um sie moralisch aufzubauen. Das Ganze war nie ein Spaß, sondern ein Job, den man mit möglichst guter Laune (Drinks!) erledigen musste, um die Plackerei schnell hinter sich zu bringen. Bei Kälte, Feuchtigkeit oder Minustemperaturen war der Job eine miese Quälerei. Zum Beispiel 1979 in Jugoslawien, mitten im Winter: Fred schenkte mir für das Beladen in der eisigen Kälte ein knallbuntes Paar Handschuhe und eine Mütze. Ich war zutiefst gerührt. Doch sie waren nicht vor Ort gewebt worden und stammten nicht von einer osteuropäischen Firma; er hatte sie in der lokalen Filiale von C&A in Zagreb gekauft.
Die Ursprünge meines Spitznamens lassen sich bis in die Teenager-Zeit zurückverfolgen, als ich einen Truck belud. Man rief mich immer, wenn die Drecksarbeit anstand und ich in den Spalt zwischen der aufgestapelten Ausrüstung und dem Dach kriechen musste, um einen weiteren kleinen Gegenstand dort hineinzuquetschen. Der Fahrer auf dieser Mott-The-Hoople-Tour 1974 sagte, ich sähe mit meinem langen, glatten und fettigen Haar und dem dünnen Körper wie eine vorbeihuschende Ratte aus. Aus „The Rat“, wie man mich nannte, wurde „Ratty“, dank Brian May, der mich so bei meiner ersten Queen-Probe ein Jahr später nannte – der Name blieb an mir hängen. Als Fred bei den Proben erfuhr, dass einer seiner Mitarbeiter für Mott The Hoople gearbeitet hatte und Rat geschimpft wurde, erwiderte er mit einer eleganten Handumdrehung (er trug einen silbernen Armreif in Schlangenform) und einem Fingerschnipsen: „Oh, nein! Ich werde ihn Peter nennen.“ Das hielt jedoch nicht lange an.
Fred, wie er nun mal war, schmückte den Spitznamen aus und mit einem französischen Dreh wurde ich „Ratoise“. Gelegentlich, wenn er mit dem einfachen Mann (also mir) kommunizieren und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, schrie er in einem gewitzelten Cockney-Akzent: „Ere-Rats!“
Hatten wir die Türen des Trucks geschlossen und verriegelt, war es an der Zeit, sich vom Adrenalinschub zu erholen, der durch die Intensität des beinahe schon militaristisch anmutenden Packens der Ausrüstung am Ende einer energiereichen Show verursacht wurde. Nun hatten wir frei – bis zum nächsten Konzert. Als nächstes unterhielten wir uns darüber, wohin es gehen soll und welches Transportmittel wir nehmen. Mussten wir weiterfahren, wollte ich augenblicklich los und rührte nicht den kleinsten Tropfen Alkohol an. Übernachteten wir jedoch in der Stadt, ging es erst ins Hotel, um den gröbsten Dreck abzuwaschen und ein bisschen Aftershave aufzutragen, oder in unseren Arbeitsklamotten direkt in den Club, die Bar oder zur Party. Einige Frauen mögen den Schweißgeruch arbeitender Männer – sagte man mir zumindest.
Pheromone oder so was.
Queen spielten häufig mehrere Konzerte an einem Veranstaltungsort, was uns die Chance bot, nach der Arbeit noch einen draufzumachen. Wenn erst mal die Ausrüstung gesichert und alles abgeschlossen war, gingen wir zur Garderobe der Band, die dort meist vom Stress runterkam und entspannte. Abgesehen vom kostenlosen und erstklassigen Alk sowie einem kleinen Snack, hatten wir dort die Möglichkeit, uns direkt über die diversen Aspekte des Auftritts zu unterhalten.
Abhängig von der Auftrittszeit wurde die Gruppe nach der Show von geladenen Gästen besucht. Doch meist waren es nur wenige Personen. Mum und Dad besuchten die Großbritannien-Konzerte, meist in den Midlands oder den Regionen im Westen. In der NEC-Arena in Birmingham führte ich meine Eltern in die Garderobe, wo Fred sich noch in voller Bühnenkluft entspannte. Augenblicklich umsorgte er meine Mutter, setzte sie auf seinen Schoß, fragte sie nach allem nur Erdenklichen und was sie so gemacht habe. Trotz der Tatsache, dass Fred nur eine kleine Familie hatte, agierte er recht familienorientiert und sorgte sich mit aufrichtigem Interesse um