Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles


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nach Bos­ton. Ich nahm den Bus oder fuhr bei Bill mit, wann immer es ihn heimwärts zog. Einmal kratzte ich sogar genügend Geld zusammen, um mir einen Flug leisten zu können. Es war das erste Mal, dass ich mit dem Flugzeug flog, einer DC-3-Spornradmaschine, und es erschien mir wie ein Wunder, über Amerika hinwegzufliegen, anstatt zu fahren. Bis ich wieder nach Hause fliegen musste, hatten Susan und ich viel Spaß in Massachusetts, und es gelang uns, dort anzu­knüpfen, wo wir uns verabschiedet hatten. Die erneute Trennung jedoch fiel uns dafür umso schwerer.

      Wieder allein in Gainesville, veränderte sich alles. Ich war achtzehn Jahre alt und fühlte mich von allem abgeschnitten. Das Maundy Quintet löste sich auf, als Tom Long aufs College ging und mich mit einem Schlagzeuger und dem Bassisten Barry zurückließ. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ich keine Band und war eine Zeit lang vollkommen orientierungslos.

      Meine Liebe zu Susan stand aufgrund der Entfernung zwischen uns unter einem entsetzlichen Druck. Nach mehreren Monaten, in denen ich hin- und herreiste und versuchte, die Beziehung aufrechtzuerhalten, gestand ich mir ein, dass es keinen Sinn hatte.

      „Es funktioniert einfach nicht“, sagte ich ihr in einem Ferngespräch. „Es sei denn, einer von uns ist bereit, dorthin zu ziehen, wo der andere lebt, und das wird nicht passieren.“ Ich glaube, ich brach ihr das Herz und meines auch, aber ich wusste, dass wir keine Zukunft hatten. Als ich den Hörer auflegte, dachte, ich würde sie niemals wiedersehen und nichts mehr von ihr hören.

      Ich erteilte immer noch Gitarrenunterricht für Jugendliche und hatte auch noch eine Reihe anderer Jobs, konnte mich jedoch nicht entscheiden, ob ich wieder zur Schule gehen sollte oder nicht. Meine Eltern und Jerry drängten mich, aufs College zu gehen und einen Beruf zu erlernen, aber ich dachte, damit würde ich alles verraten, was ich bisher zu erreichen versucht hatte. Wie auch immer ich mich entschied, ich wusste, dass ich unbedingt Musik machen wollte, weil dies das Einzige war, worin ich mich für einigermaßen begabt hielt.

      Ein Typ namens Paul Hillis, der ebenfalls bei Lipham’s als Musiklehrer arbeitete, war gerade nach zwei Jahren am Berklee College of Music aus Boston zurückgekehrt. Er war sechs Jahre älter als ich, ein exzellenter Gitarrist, der sich vor allem in Jazztechniken bestens auskannte. Als er zurückkehrte, konnte ich es kaum erwarten, ihn spielen zu hören und zu sehen, was er gelernt hatte. Zu meiner großen Überraschung jedoch hatte er das Instrument gewechselt. „Die Gitarre ist so begrenzt“, erklärte er abfällig. Er behauptete, auf einem Klavier ließe es sich leichter komponieren, und auch Harmonielehre und Theo­rie verstünde man besser.

      Er eröffnete in Gainesville die Paul-Hillis-Musikschule, und ich schrieb mich dort ein, um von ihm Jazztheorie und Komposition zu lernen. Im Gegen­zug unterrichtete ich dafür seine neuen Gitarrenschüler. Für jede Stunde, die ich für ihn arbeitete, widmete er mir eine Stunde seiner eigenen Zeit. In weni­ger als sechs Monaten lernte ich, was man ihm auf dem Berklee College of Music in zweieinhalb Jahren beigebracht hatte. Ich verinnerlichte jede noch so kleine Information.

      Über bei den Verbindungskonzerten geknüpfte Kontakte und Freunde in der Musikszene sprach mich eine in Ocala ansässige junge Band namens Flow an. „Steig bei uns ein“, sagten sie. „Wir haben das Maundy Quintet gehört und kennen deine Arbeit. Wir brauchen einen richtig guten Leadgitarristen.“ Die Band bestand aus drei Musikern: dem Schlagzeuger Mike Barnet, dem Key­boarder und Sopransaxofonisten John Winter sowie dem Sänger und Bassisten Jack Newcomb.

      Flow waren zweifellos das, was mein Vater eine Hippieband genannt hätte. Sie hatten sich auf eine freie Form des Jazzrock spezialisiert und rauchten eine Unmenge Gras. Ich musste jedes Mal nach Ocala fahren, um mit ihnen zu proben. Um zwei Uhr nachmittags waren sie oft noch im Bett, entweder bekifft oder weil sie sich noch von der vorangegangenen Nacht erholen mussten.

      Ihr gemietetes Haus strotzte vor Dreck. In der Spüle türmte sich schmut­ziges Geschirr, das nie jemand abzuwaschen schien. Sie waren totale Kiffer, aber auch gute Musiker. Wenn wir uns trafen, spielten wir richtig gut zusam­men. Sie lebten wirklich für die Musik. Dabei ging es ihnen nicht so sehr um großartige Songs und deren Vermarktung wie bei den Beatles. Vielmehr woll­ten sie rockig-poppige Songs schreiben und dazu den Rahmen nutzen, den Jazzmusiker bei ihren Improvisationen verwendeten – ein freier Fluss kreativer Energien, wie sie es nannten.

      Wir sangen zunächst ein paar Strophen und einen Refrain und gingen dann in der Mitte des Stücks in einen freien Soloteil über, der irgendwo zwi­schen einer und fünf Minuten dauern konnte, je nachdem, wie gut es eben lief. Dann nahmen wir die Spannung wieder etwas heraus, sangen noch eine Stro­phe und einen Refrain, und das war’s dann. Es war perfekte Drogenmusik, aber mit einem moderneren Sound, als ihn eine Jazzband hatte. Für die dama­lige Zeit war das ziemlich innovativ. Das Beste daran war aber, dass man jedes Mal wieder aufs Neue ins kalte Wasser geworfen wurde, bildlich gesprochen.

      Zwei ihrer Freunde waren die Tourneemanager der Young Rascals, die mit dem Song „Good Lovin’“ einen großen Hit gelandet hatten und in der Ed Sullivan Show aufgetreten waren. Sie hatten versprochen, aus New York herzukommen und sich Flow einmal anzuhören, wenn wir uns dazu bereit fühlten. Ich war hinzugenommen worden, um der Gruppe mehr Profil zu verleihen. Dafür konnte ich mich auf einer kreativen Spielwiese austoben: Jeden Abend, jedes Mal, wenn ich spielte, hatte ich Gelegenheit, zu improvi­sieren. Unter Anwendung von allem, was mir Paul Hillis über das Melodie­spiel beigebracht hatte, lernte ich, spontan zu spielen und frei zu denken, ohne jede Befangenheit oder Angst. Anfangs war ich noch sehr unsicher, doch als ich erst einmal oft genug ins kalte Wasser gesprungen war, fühlte ich mich im Umgang mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen, recht wohl. Jemand spielte einen Rhythmus, und ich legte einfach los. Manches von dem, was ich spielte, war ganz in Ordnung, manches war klasse. Es gab einen konstanten kreativen Fluss. Je freier ich wurde, desto mehr gewann ich an Selbstvertrauen. Es war für meine spätere Arbeit als Songwriter und Arrangeur ungeheuer hilfreich.

      Nun, da Susan und Bernie fort waren und niemand diese Lücke füllte, hätte ich leicht aus der Bahn geraten können, insbesondere, da die Band so viel Gras rauchte. Aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht ganz verstanden habe, hatte ich zum Glück jedoch nur ein geringes Suchtpotenzial. Zwar rauchte ich ab und zu gern ein bisschen Gras, aber ich hörte immer rechtzeitig auf, wenn ich das Gefühl hatte, die Kontrolle zu verlieren. Ich hatte eine Reihe paranoider Erlebnisse gehabt und in den Straßen von New York auch Heroin­abhängige herumliegen sehen. Soweit ich das beurteilen konnte, machte das Marihuana meine Bandkollegen nur unmotiviert und lethargisch. Ich kann mich nicht entsinnen, dass einer von ihnen jemals einer geregelten Arbeit nachging. Außerdem hatte ich immer noch einen Heidenrespekt vor dieser ganzen Drogengeschichte. Ein schöner Rock ’n’ Roller war ich!

      Oft lief ich mit griesgrämiger Miene umher, vermisste Susan und zerfloss in Selbstmitleid. Ich traf mich mit ein paar Mädchen, aber nichts war auch nur annähernd so aufregend wie zwischen Susan und mir. Eines der Mäd­chen trug den ungewöhnlichen Namen Season Hubley. Sie kam von New York nach Gaines­ville, um Freunde an der Uni zu besuchen. Sie war das erste Mädchen seit Susan, das ich wirklich mochte, und ich dachte, es könnte viel­leicht etwas laufen, aber sie schien sich nicht für mich zu interessieren. Sie war nur auf der Durchreise. Dann stellte mich Susans Bruder Bill der Zim­mergenossin seiner Freundin, Jan Booty, vor. Jan, eine Diplomatentochter, war für länger hier, da sie in Gainesville Kunst studierte. Sie war sehr kreativ, und ich mochte das sehr an ihr. Schließlich zogen wir für eine Weile zusam­men. Wir teilten uns ein Haus mit einem anderen Paar, Barry und Patti, und Jans zwei Hunden, Rhythm und Blues. Als ich schon eine Weile mit Jan zusammenlebte, kam Jerry zu Besuch.

      Seit er verheiratet war, hatten wir kaum noch Kontakt zueinander. Er arbeitete in einer kleinen Anwaltskanzlei in Gainesville, und wir hatten nicht besonders viel gemeinsam. Nun jedoch, da ich in Sünde lebte, hielt er es für seine Pflicht, mir mitzuteilen, was er über mich dachte. Ich habe immer den Verdacht gehegt, dass ihn Papa dazu angestachelt hatte.

      „Was zum Teufel machst du mit deinem Leben, Don?“, fragte er mich und verzog das Gesicht. Er war erst fünfundzwanzig, doch in Schlips und Kragen wirkte er viel älter. „Mir kommt es so vor, als ob du deine Zeit verschwende­test.“ Bevor ich noch antworten konnte, ließ er sich über alles aus, was ich in seinen Augen falsch machte: Meine Ansichten über den Vietnamkrieg