Marc Degens

Unsere Popmoderne


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gibt es für mich eigentlich nicht mehr viel zu tun. Ich könnte mich an meinen Schreibtisch setzen, in einem Buch lesen oder ein Kreuzworträtsel lösen. Das habe ich früher oft gemacht. Doch seit 1992 besitze ich keinen eigenen Bürostuhl mehr. Ich bin auch der einzige Mitarbeiter im Haus ohne Computer, Internetzugang und Telefon.

      Ich lege mich auf den Fußboden, der mit weicher, graubrauner Auslegware überzogen ist, und betrachte die rechteckig geriffelte Decke – so lange, bis ich müde werde und einzuschlafen drohe. Dann stehe ich auf und gehe eine Etage tiefer in das Büro von Caroline Öqvist. Caroline Öqvist (Referat 3.2.5) ist meine Lieblingskollegin, sie hat vor acht Jahren bei SÄKERHET angefangen. Caroline Öqvist sammelt Postkarten mit Leuchtturm-Motiven und isst gerne Früchtemüsli. Ihr Radiogerät ist auf die Frequenz 94,3 Megaherz eingestellt – so wie das der meisten anderen Kollegen. Seit Caroline Öqvist nicht mehr raucht, steht unter ihrem Schreibtisch eine Personenwaage.

      Vor ihr saß Frederik Källström (Referat 3.3, jetzt 1.2) in dem Büro, davor Lotta Sjögran (Referat 3.4.1.2, jetzt 2.4.1.2). Frederik Källströms Büro befindet sich jetzt in der vierten Etage, Lotta Sjögran heißt seit der Heirat mit Petter Bengtsson (Referat 2.1) Lotta Sjögran-Bengtsson, ihr Büro befindet sich jetzt wie meines in der dritten Etage.

      Im Erdgeschoss des Gebäudes sind die Poststelle und das Rechenzentrum untergebracht, in der ersten Etage befinden sich die beiden Chefbüros und die Vorzimmer. Nur die Vorzimmer sind beschriftet: Vorzimmer Dr. Holmén, Vorzimmer Dr. Elmander. In den Etagen zwei, drei und vier folgen die Referate 3, 2 und 1. In der vierten Etage sind auch noch die Buchhaltung und die Materialausgabe untergebracht. Die Chefs und ihre Sekretärinnen trennen die Arbeiter von den Angestellten.

      Bevor ich in die Poststelle gehe und mein Postfach prüfe, schalte ich oft Caroline Öqvists Computer und Monitor ein und warte, bis nach einer Viertelstunde der Bildschirmschoner anspringt. Dann verwandelt sich der Computer in ein einziges großes azurblaues Meer – mit weiß schäumenden Wellen, durch die lachende Delphine hüpfen. Ich könnte dem munteren Treiben stundenlang zusehen, ohne Zweifel hat Caroline Öqvist den schönsten Bildschirmschoner im ganzen Haus.

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      Orvar Söderberg ist »Der unsichtbare Angestellte« in Eddie Mellbergs gleichnamigem ersten und bislang einzigen Roman. Söderberg arbeitet für eine Göteborger Versicherungsfirma, allerdings nur in den Nachtstunden, wenn das Gebäude bis auf ihn menschenleer ist. Orvar Söderberg hat keinen Kontakt zu seinen Arbeitskollegen, er nimmt nicht an den Betriebsausflügen teil und schaut zu, wie die Namensschilder an den Türen wechseln. Söderberg führt ein stilles, zufriedenes Angestelltenleben – bis zu dem Tag, an dem das Büro seiner Lieblingskollegin plötzlich leer geräumt ist. Mit einem Schlag gerät sein Leben aus den Fugen. Wie Orvar Söderberg war auch Eddie Mellberg jahrzehntelang für einen Versicherungskonzern in Göteborg tätig. Während seiner Arbeitszeit schrieb Mellberg den sozialkritischen Thriller, der sieben Monate lang die schwedischen Bestsellerlisten anführte, bis er von Anna-Maria Schelins »Das zartgelbe Haus mit den Zwiebeltürmchen« abgelöst wurde.

      Von einem Bett zum andern

      Die Stühle

      bilden

      ein Quadrat

      Ein kleiner, runder Beistelltisch

      steht im Schnittpunkt der Diagonalen

      Die Hände der Frauen

      sind mit Elektrokabeln

      hinter den Lehnen

      zusammengezurrt

      ihre Füße

      mit Stricken

      an die vorderen

      Stuhlbeine gefesselt

      Auf leisen Sohlen

      schleiche ich

      durch die Waschküche

      trete zum Tisch

      in die Mitte

      des Frauenquartetts

      und lasse meinen Blick schweifen

      Die Frauen atmen flach und erwartungsvoll

      vielleicht gar erregt

      Ihre Gesichter sind mir zugewandt

      ihre Augen

      mit Seidentüchern

      verbunden

      Ich genieße das Stilleben

      die reglosen Körper

      im Geist rufe ich ihre Vornamen

      Auf der Tischplatte liegt

      eine gelbe, bleiche, viereckige

      Käsescheibe

      nackt

      von keiner Hülle geschützt.

      Ich nehme sie in meine Hand und prüfe

      mit den Fingerkuppen

      ihre Beschaffenheit

      Das Käsestück fühlt sich künstlich an unecht

      wie ein Streifen Kautschuk

      oder ein zu weicher Radiergummi

      Ich habe meine Wahl rasch getroffen und trete zu der Frau im langen, schwarzen Kleid

      deren Mund

      ein Stück weit

      geöffnet ist

      sodass ich ihre obere Zahnreihe sehen kann

      In aller Ruhe pirsche ich um den Stuhl

      beäuge sie

      von allen Seiten

      in immer engeren Kreisen

      Sie spürt meine Anwesenheit

      merklich von Minute zu Minute beben ihre Brüste

      heftiger

      ihr Atem wird gepresster

      sie schluckt arg

      und aufgebracht

      Ich stelle mich vor sie

      schiebe mit den Fingerspitzen

      die schulterlangen, kupferbraunen Haarsträhnen

      aus ihrem Gesicht

      und entblöße die sonnverbrannt fleckigen

      Wangen

      Hernach rolle ich die Käsescheibe zusammen

      der Silberring an ihrem Ohrläppchen zittert

      ihr Atem stockt

      und scheint für einen Moment sogar zu versiegen

      Mit der Spitze des Käsestücks streichele ich sanft

      beinahe

      ohne Berührung

      ihre Stirn

      Vorsichtig tupfe ich ihre Haut

      wandere an ihr hinab

      bemale episodisch den Nacken

      das Kinn

      ihre Wangen

      Sie erschaudert bei jeder Berührung

      zittert

      zuckt und meidet die Treffen

      Bestimmter liebkose ich nunmehr ihre Haut

      der Käse gleitet

      langsam

      über jede Pore

      wird stetig schlaffer

      und sämiger

      Ihre Wehr erstirbt

      schlagartig

      unterbreche ich

      die