den Anpfiff“, sagte Kurt. „Ich starrte ihm ins Gesicht und tat dann gar nichts mehr. Ich verschränkte meine Arme und ließ mich einfach auf die Schultern legen. Du hättest seinen Gesichtsausdruck sehen sollen. Er ging nach der Hälfte sogar raus, weil ich das ganze vier Mal hintereinander machte.“ Don erinnerte sich auch daran nicht, aber Kurt meinte, dass das einer der Anlässe gewesen wäre, nach denen er für ein paar Tage zu einer Tante und einem Onkel hatte ziehen müssen.
Don nahm Kurt auch einmal mit auf die Jagd, aber sobald sie im Wald waren, weigerte sich Kurt, mit der Jagdpartie mitzuziehen. Er verbrachte den ganzen Tag im Jeep, von der Morgen- bis zur Abenddämmerung. „Wenn ich daran zurückdenke“, sagte Kurt, „wird mir klar, dass ich damals schon instinktiv wusste, dass es falsch ist, Tiere zu töten, überhaupt, wenn es nur zum Spaß geschieht. Damals habe ich das noch nicht genau verstanden. Ich wusste nur, dass ich nicht dabei sein wollte.“
Inzwischen begann Kurt, neben den Beatles und den Monkees auch andere Formen der Rockmusik zu entdecken. Don war dem Columbia House Record and Tape Club beigetreten und hatte mit der Zeit eine ziemlich ernsthafte Plattensammlung aufgebaut. Monat für Monat kamen Platten von Bands wie Aerosmith, Led Zeppelin, Black Sabbath oder Kiss mit der Post. Don kam nie dazu, all die Pakete zu öffnen, und nach einigen Monaten kümmerte sich Kurt darum.
Kurt hatte begonnen, sich mit einigen Typen herumzutreiben, die erstklassig gekleidet waren, die Haare in langen Federn hatten und Kiss-T-Shirts trugen. „Sie waren um einiges älter als ich – wahrscheinlich schon Junior-Highschool“, sagte Kurt. „Sie rauchten Pot, und ich hielt sie einfach für cooler als meine idiotischen Freunde aus dem vierten Jahrgang, die sich Happy Days anschauten. Ich lud sie zu mir nach Hause ein und ließ sie mein Essen futtern, einfach um Freunde zu haben.“ Die Kiffer nahmen sehr bald Notiz von Dons ansehnlicher Plattensammlung und bestürmten Kurt, die Platten aufzulegen. „Nachdem sie mich auf diese Musik verrückt gemacht hatten“, sagt Kurt, „wurde ich langsam selbst so ein kleiner Kiffer.“
„Er kam nie von selbst und erzählte, was ihn wirklich berührte oder was er wirklich wollte, nicht einmal, als er sehr jung war“, sagte Don. „Er war so wie ich – bleib einfach ruhig, und es wird schon verschwinden oder so. Und versuch keine Erklärungen. Du staust alles auf, und irgendwann einmal bricht es aus dir heraus.“
„Er heiratete, und danach war ich eines der unwichtigsten Dinge auf seiner Liste“, erzählte Kurt. „Er warf einfach alles hin, weil er überzeugt war, dass meine Mutter mich einer Gehirnwäsche unterzogen hatte. Das ist eine ziemlich schwache Basis, um das Leben seines Sohnes darauf zu errichten.“
„Ich halte meinen Vater nicht wirklich für ein Macho-Schwein“, sagte Kurt weiter. „Er ist nicht einmal halb so extrem wie eine Menge anderer Väter, die ich kennengelernt habe.“ Was genau also war das Hauptproblem zwischen Kurt und seinem Vater? „Ich weiß es nicht einmal“, gab er zu. „Ich wünschte, ich könnte mich an mehr erinnern. Ich hatte nie das Gefühl, wirklich einen Vater zu haben. Ich hatte nie eine Vaterfigur, mit der ich Dinge teilen konnte.“
Letztlich wusste auch Don mit seinem Sohn nichts anzufangen, also wurde Kurt innerhalb der Familie wahllos hin- und hergeschickt, er wohnte bei mindestens drei verschiedenen Paaren von Tanten und Onkeln, einmal auch bei seinen Großeltern väterlicherseits. Mindestens zwei Mal pro Jahr zog er zwischen Montesano und Aberdeen hin und her und wechselte dabei natürlich auch die Schule.
Wendy wusste, dass sie Kurt zu sich nehmen sollte, aber sie war selbst eben erst aus einem Albtraum ergewacht – sie war endlich den paranoiden Schizophrenen losgeworden, der sie geistig und körperlich so sehr misshandelt hatte, dass sie einmal sogar in der Notaufnahme gelandet war. Sie hatte ihren Job verloren und bat ihren Bruder Chuck, den Musiker, sich um Kurt zu kümmern.
Zu seinem vierzehnten Geburtstag stellte Chuck Kurt vor die Wahl zwischen einem Fahrrad und einer Gitarre. Kurt nahm die Gitarre, eine übertragene E-Gitarre, die selten funktionierte, und einen ebenso kaputten kleinen Zehn-Watt-Verstärker. „Ich glaube, es war nicht einmal eine Harmony“, sagte Kurt über die Gitarre. „Ich glaube, sie war von Sears.“ Er gab das Schlagzeug auf und nahm etwa eine Woche lang Gitarrestunden, gerade so lange, bis er AC/DCs „Back in Black“ spielen konnte. „Das sind ziemlich genau dieselben Akkorde wie in ,Louie, Louie“‘, sagte Kurt, „und mehr braucht man nicht zu kennen.“ Danach begann er, seine eigenen Lieder zu schreiben. Sein Gitarrelehrer Warren Mason (der mit Chuck in einer Band war), erinnert sich an Kurt als einen „stillen, kleinen und netten Jungen.“ Kurt stritt es vehement ab, aber Mason sagte, dass er unbedingt lernen wollte, wie man „Stairway to Heaven“ spielt.
Kurt fand Aberdeen einschüchternd. Verglichen mit Montesano war Aberdeen eine Großstadt. „Ich glaubte, dass die Kinder von dort einer höheren Kaste angehörten und ich es gar nicht wert war, mit ihnen zusammen zu sein“, sagte er.
In der Schule las er Bücher von S.E. Hinton wie Rumblefish und The Outsiders und vermied jede Unterhaltung. Er sagte, dass er in diesem Jahr keine einzige Freundschaft geschlossen hatte. Stattdessen spielte er jeden Tag nach dem Heimkommen so lange Gitarre, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen. Er wusste schon, wie „Back in Black“ ging, und setzte sich selbst noch ein paar Coverversionen zusammen – „My Best Friend’s Girl“ von den Cars, „Louie, Louie“, und „Another One Bites the Dust“ von Queen.
Anfang 1980 – im Alter von zwölf Jahren – sahen er und sein Freund Brendan die B-52s in der „Saturday Night Live“-Show. Der New-Wave-Stachel erwischte sie voll, und Brendan brachte seine Eltern dazu, ihm karierte Schuhe zu kaufen. Kurts Vater konnte sich das nicht leisten, also zeichnete sich Kurt eben ein Schachbrettmuster auf seine normalen Schuhe.
Irgendwann um die Sommerzeit vor dem zehnten Jahrgang begann Kurt, in der Zeitschrift Creem die Großtaten der Sex Pistols zu verfolgen. Die Idee des Punkrock faszinierte ihn. Unglücklicherweise führte das Plattengeschäft in Aberdeen keinen Punkrock, er wusste also nicht, wie das überhaupt klang. Alleine in seinem Zimmer spielte er dann so, wie er dachte, dass es klingen müsste – „drei Akkorde und viel Geschrei“, sagte Kurt. Gar nicht so weit daneben, wie sich herausstellte.
Einige Jahre später erstand er endlich eine „Punk“-Platte, das ausladende und eklektische Drei-LP-Set Sandinista von den Clash, und er war sehr enttäuscht, als das gar nicht so klang, wie er sich Punk vorgestellt hatte.
Kurt beschrieb seine frühe Musik als „wirklich ungehobelten Gitarren-Rock.“ „Sie war so ähnlich wie Led Zeppelin, aber wirklich rau und ungehobelt, ich wollte sie so aggressiv und gemein machen, wie ich nur konnte“, sagte er. „Ich dachte: Wie ist Punkrock wirklich? Was ist er? Wie widerlich ist er? – Und ich versuchte, so widerlich zu spielen, wie ich nur konnte. Ich drehte den Verstärker voll auf. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung, was ich machte.“
„Auf jeden Fall war es ein guter Anstoß“, sagte Kurt. „Ich fasste es als Berufung auf. Es war meine Mission. Ich wusste, dass ich üben musste. Sobald ich meine Gitarre hatte, war ich besessen davon. Ich hatte dieses Gefühl die ganze Zeit über – ich wusste immer, dass ich etwas Besonderes machte. Ich wusste, es war besser, obwohl ich das damals nicht beweisen konnte. Ich wusste, dass ich etwas anzubieten hatte und schließlich und endlich die Möglichkeit haben würde, den Leuten zu zeigen, dass ich gute Songs schreiben konnte – dass ich etwas zum Rock’n’Roll beitragen würde können.“
Kurt war wild darauf, den nächsten logischen Schritt zu unternehmen und eine Band zu gründen. „Ich wollte das Gefühl erleben, einen Song zu schreiben und ihn von allen Instrumenten gemeinsam gespielt zu hören. Ich wollte das. Zumindest zur Probe. Das war mein einziges Ziel.“ Bis dahin sollte es noch vier Jahre dauern, aber man kann ihm nicht vorwerfen, dass er sich nicht bemüht hätte.
In der Schule lernte er zwei Jungs namens Scott und Andy kennen, sie spielten Bass und Gitarre und machten in einem verlassenen Fleischlager tief im Wald Jam-Sessions. Kurt spielte einmal mit, und die drei beschlossen, eine Band zu gründen. Kurt ließ sich breitschlagen, seine Gitarre draußenzulassen – er würde sowieso am nächsten Tag wieder zur Probe kommen. Aber Scott und Andy schoben das Üben immer wieder hinaus, und Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten. Kurt konnte sein Instrument nicht zurückholen, denn er hatte kein Auto, und seine Mutter