und überall im Zimmer waren rote Kerzen aufgestellt. Weiter hinten stand ein kleiner Altar, er war mit schwarzem Samt drapiert und von brennenden Kerzen erleuchtet. Den Höhepunkt aber markierte kein Schädel, kein Pentagramm, kein geopferter Hase, sondern ein großer Glaszylinder. Er war mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt, die wie Pinkelwasser aussah. Die Schusswaffe ruhte drohend auf einem Tisch neben seinem Bett.
»Wollt ihr was rauchen?«, fragte Johns Bruder und hob den Zylinder vom Altar.
»Was denn rauchen?«, fragte ich dämlich. Ich hatte noch nie Pot genommen oder auch nur einen Bong angefasst.
»Das verdammte Kraut«, grinste John mit einem teuflischen Flackern in den Augen.
»Lass gut sein, Mann. Ich hab’ es mir abgewöhnt, das Zeug zu rauchen«, lautete meine wenig überzeugende Lüge.
Leider hatte ich keine Wahl. Es wurde sehr bald deutlich, dass John und sein Bruder mich windelweich prügeln würden, wenn ich nicht sofort ihre Drogen mitrauchen würde.
Johns Bruder zündete den Bong an, der bereits mit zerkleinerten braunen Blättern gefüllt war, und nahm einen herkulischen Zug. Als er wieder ausatmete, füllte sich die Luft mit einem widerwärtig süßen Geruch. Ich überstand keuchend und hustend meine ersten Züge, und wenig später spürte ich schon, wie es kam. Der Mad Dog 20/20, der Southern Comfort, die Flasche Wein, die nun herumgereicht wurde, nicht zu vergessen das Album Blizzard Of Ozz, das sich auf dem Plattenspieler drehte – das alles ließ meinen Kopf allmählich schwer und schwindelig werden. Die Tatsache, dass mich auf der Schule niemand leiden konnte, verschwand aus meinem Bewusstsein wie eine Notiz, die man mit Geheimtinte auf einen fettigen Handrücken gekritzelt hatte.
Ich saß völlig benommen da, mein Gehirn schlingerte seekrank hin und her, als Johns Bruder anfing, vor sich hin zu brabbeln. Mit gerötetem, verzerrtem Gesicht rief er die Namen altertümlicher Geister und Dämonen auf; er flehte sie an und beschwor sie inständig, ihm seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen, nämlich alle seine Feinde zu töten: Lehrer, die ihn im Stich gelassen hatten; Freundinnen, die mit ihm Schluss gemacht hatten; Freunde, die ihn hintergangen hatten; Verwandte, die ihn missbraucht hatten; Arbeitgeber, die ihn gefeuert hatten – also im Grunde alle Menschen, die seinen Weg kreuzten, seitdem er alt genug war, um echte Hassgefühle entwickeln zu können.
Johns Bruder zog ein Schnappmesser aus seiner Tasche, schnitt ein langes Stück von seiner Daumenkuppe ab und ließ es in eine kleine Schale fallen, die mit verkrustetem, braunweiß gesprenkeltem Puder gefüllt war. »Böser Angarru!«, fing er an zu singen. »Ninnghizhidda! Ich rufe dich, Schlange der Tiefe! Ich rufe dich, Ninnghizhidda, gehörnte Schlange der Tiefe! Ich rufe dich, gefiederte Schlange der Tiefe! Ninnghizhidda!«
Er hielt kurz inne und nahm einen weiteren Zug, dann rieb er das blutige Puder gegen seine Lippen. Dass wir uns mit ihm im gleichen Zimmer befanden, war ihm offenbar kaum noch bewusst.
»Kommt zu mir, Geschöpfe der Dunkelheit, durch das Walten der Dunkelheit! Kommt zu mir, Geschöpfe des Hasses, durch das Walten des Hasses! Kommt zu mir, Geschöpfe der Ödnis, durch das Walten der Ödnis! Kommt zu mir, Geschöpfe des Schmerzes, durch das Walten des Schmerzes!«
Wenn das die Wirkung war, die Hasch auslösen sollte, dann hatte ich keinen Bedarf. Ich starrte nur noch auf die Knarre, in der Hoffnung, dass Johns Bruder sie nicht anrühren würde. Gleichzeitig versuchte ich, ihn nicht merken zu lassen, dass ich die Knarre im Auge behielt, denn ich wollte keine schlafenden Hunde wecken. Er war geistig völlig zerrüttet, und wenn er nicht schon ein Mörder war, dann schien es keinen Grund zu geben, warum es nicht heute Nacht so weit sein sollte.
Minuten verstrichen, oder waren es Stunden? Der Bong kreiste immer weiter, aber mittlerweile war das Wasser durch Southern Comfort ersetzt worden, damit uns die Birne noch weicher werde. Auf der Stereoanlage – ob sich das vielleicht doch nur in meinem Kopf abspielte, war auch nicht mehr ganz klar – lief der Black-Sabbath-Song »Paranoid«, die Katze zischte mich an, und vor meinen Augen drehte sich der Raum, als mich Johns Bruder aufforderte, den Southern Comfort auszutrinken, der sich im Bong befand, worauf John nur ein kurzes »Lass stecken« aus der Ecke leierte. Da ich ein Wurm ohne Rückgrat war, setzte ich den Bong an meine Lippen, die vom Hasch schon ganz ausgedorrt waren, hielt den Atem an und kippte die vielleicht widerlichste Flüssigkeit herunter, die jemals zusammengebraut worden ist. Danach … Keine Ahnung, was danach passiert ist. Ich kann nur vermuten, dass ich ein Blackout hatte und ein willkommenes Objekt für die vielen raffinierten Grausamkeiten der Crowell-Brüder geworden bin.
Um fünf Uhr nachmittags (für mich damals noch eine sehr späte Zeit zum Aufstehen) wurde ich von einem zischenden Geräusch geweckt. Es war die Katze, die immer noch um mich herum stakste. Ich tastete nach meinen Augen: Sie waren noch da. Dann musste ich mich übergeben. Dann noch einmal. Und noch einmal. Aber als ich mit nach vorne gebeugtem Oberkörper über der Toilette hing, wurde mir klar, dass ich in der vergangenen Nacht etwas gelernt hatte: Die schwarze Magie könnte eine nützliche Hilfe sein, um das bescheidene Los, das mir das Leben zugedacht hatte, zu meinen Gunsten zu wenden – eine Position der Macht zu erlangen, um die mich andere Leute beneiden, und Dinge zu erreichen, zu denen diese anderen Leute nicht fähig sind. Ich hatte außerdem gelernt, dass ich kein Hasch mag – zumindest nicht den Geschmack von Bongwasser.
* * *
Der Wurm häutet sich
Dass mit unserer Familie irgendwas nicht stimmt, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als ich sechs war und mein Vater mir ein Buch über eine Giraffe schenkte. Es war auf mich personalisiert, so dass ich gleichsam der Hauptakteur dieser Geschichte war, der mit dem Tier auf Abenteuerreise ging. Das Problem war nur, dass mein Name das ganze Buch hindurch versehentlich mit »Brain« (englisch für Gehirn) buchstabiert worden war. So entstand das eher beunruhigende Bild einer Giraffe, der ein Gehirn auf dem Rücken klebte. Ich glaube nicht, dass mein Vater den Fehler überhaupt bemerkt hat – und angeblich war er es immerhin gewesen, der mir meinen Namen gab, als ich zur Welt kam.
Das war beispielhaft für die Art und Weise, in der er mich lange Zeit behandelte. Er interessierte sich nicht für mich, und er war nie für mich da, wenn es darauf ankam. Die einzige Aufmerksamkeit, die mir von seiner Seite zuteil wurde, zollte er mir mit einem zusammengefalteten Gürtel, der jedes Mal ein lautes, schnappendes Geräusch machte, wenn er auf meinem Hintern landete. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, während ich gerade irgendwo herumlag, das Videogame Colecovision spielte oder Bilder malte, fand er immer einen Vorwand, sei es ein ungemähter Rasen oder eine volle Geschirrspülmaschine, um mir an den Kragen zu gehen. So machte ich es mir zur Gewohnheit, möglichst beschäftigt und verantwortungsvoll zu tun, sobald er durch die Tür kam, obwohl eigentlich gar nichts anlag. Meine Mutter entschuldigte seine gewalttätigen Ausbrüche mit einer posttraumatischen Störung, die der Vietnamkrieg bei ihm hinterlassen hatte. So konnte es passieren, dass er mitten in der Nacht aufwachte und wahllos Gegenstände zertrümmerte. Wenn ich als Teenager meine Freunde mit nach Hause brachte, pflegte er sie zu fragen: »Hast du jemals einen Schwanz gelutscht, der süßer als meiner schmeckt?« Das war natürlich eine Fangfrage, denn gleichgültig, ob sie nun »ja« oder »nein« sagten, gaben sie mit jeder Antwort unwillentlich zu, schon einmal seinen Schwanz im Mund gehabt zu haben.
Hin und wieder kündigte mein Vater feierlich an, dass er mich demnächst irgendwohin mitnehmen wolle, aber sobald es ernst wurde, war auf einmal bei der Arbeit wieder etwas viel Wichtigeres passiert. Es gibt nur ganz wenige Dinge, die wir gemeinsam unternommen haben und an die ich mich gern erinnere. Meistens fuhren wir auf seinem Motorrad zu einer Grube, die nicht weit von unserem Haus entfernt lag. Dort brachte er mir mit einem Gewehr, das er der Leiche eines Vietkong-Soldaten entrissen hatte, das Schießen bei. Mein gutes Zielgefühl habe ich also von meinem Vater. Es ist mir schon öfter nützlich gewesen, wenn ich mit dem Luftgewehr ein paar Tiere abknallen oder einen Polizisten mit Steinen bewerfen wollte. Von meinem Vater habe ich auch meine kurze Zündschnur geerbt, die zu unerwarteten Wutausbrüchen führen kann; einen unbeirrbaren Ehrgeiz, den oft nur eine Pistolenkugel oder ein Rausschmeißer unter Kontrolle halten kann; einen ziemlich stumpfen Sinn für Humor, gepaart mit einem unstillbaren Hunger nach Titten; und nicht zuletzt einen unregelmäßigen Herzschlag, der von den vielen Drogen sicher auch nicht besser wird.
Natürlich