Neil Strauss

The Long Hard Road Out Of Hell


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der Band-Mitglieder, die durch das Zusammensetzen des Vornamens einer Pop-Ikone und des Nachnamens eines Massenmörders entstanden sind. Ist das subtile Medienschelte oder vielmehr die Verherrlichung eben jener Psychopathen? Seine Gratwanderung zwischen makabrem Entertainment und revolutionärer Agitation macht Manson in solchen Momenten zu einer leicht zu treffenden Zielscheibe. Dennoch bleibt ihm ein unwiderlegbares Argument vorbehalten: Niemand tötet seine Mitmenschen, weil er eine Platte zu oft gehört hat. Kein Jugendlicher, der von seinem Elternhaus und dem Bildungssystem in geeigneter Weise in seinem Selbstbewusstsein und in seiner Identität gestärkt wird, läuft Amok, nachdem er einen gewalttätigen Film gesehen hat. Diejenigen aber, die in der Hierarchie der Jugendkultur der amerikanischen Kleinstädte, die im Wesentlichen durch die Position im örtlichen Football-Team bzw. in der Cheerleader-Truppe bestimmt wird, keine Punkte sammeln können, fallen schnell durch das Raster. Der Frust wird gesellschaftlich gefördert. Und für die Ergebnisse der Frustentladung ist Marilyn Manson ein willkommener Sündenbock.

      Die ausgiebig publizierten Anschuldigungen von christlichen Organisationen und Elternverbänden wie der American Family Association bestätigten in ihrer Oberflächlichkeit und Scheinheiligkeit Mansons Ablehnung der Strukturen und Apparate der Medienwelt. Das brachte ihn dazu, sich in der folgenden Zeit kaum noch in Interviews zu äußern. Für die Öffentlichkeit war die Anziehung, die Manson und seine Botschaft auf Jugendliche ausübt, kein Symptom für eine bereits vorhandene gesellschaftliche Störung, sondern das eigentliche Problem. Er wurde bombardiert mit Anschuldigungen und Prozessen, die ihm und seinen Bandmitgliedern Sodomie, Vergewaltigung, Missbrauch von Minderjährigen und sogar Mord vorwarfen. Nach den Tour-Aktivitäten, der Veröffentlichung der Videoclip-Kollektion »God Is In The TV« und des Live-Albums »The Last Tour On Earth« wurde es zunächst still um ihn.

      Erst im Sommer 2000 – Manson war bereits seit mehreren Monaten mit den Aufnahmen des vierten Studio-Albums seiner Band beschäftigt – durchbricht er mit einem kurzfristig anberaumten Interviewtermin sein Schweigen und lädt zum Empfang in ein Studio in Los Angeles. Ungeschminkt, sein Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille und unter einem breitkrempigen Hut verborgen, sitzt der Schrecken der konservativen Gesellschaftskreise an der Konsole eines riesigen Mischpultes und gibt sich so jovial, als ob er eine Runde guter Bekannter zum Plaudern im Hause habe. Er spricht leise, aber mit fester Stimme. Überlegt und ernsthaft, aber nicht ohne einen Sinn für Wortwitz, zeigt er sich bemüht, den Fragen der Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Der erwünschte Effekt bleibt nicht aus: Manson wirkt sympathisch. Angesprochen auf die Begleitumstände der Fehde mit der amerikanischen Öffentlichkeit, beweist er eine sehr realistische Einschätzung der Dinge. Fühlte er sich von den Medien unfair behandelt? »Ich würde nicht sagen, dass es dabei um einen Mangel an Fairness ging. Ich wurde entsprechend meinem Verhalten und dem, wofür ich stehe, behandelt. Ich habe mich selbst in eine Position gebracht, von der man nicht erwarten kann, dass sie von den Medien gemocht wird: die des Dorns im Auge Amerikas, der Person, die das macht, was sich niemand sonst traut.« Manson weiß, dass die Ablehnung von Konventionen und herkömmlichen Moralvorstellungen in engstirnigen Kreisen Furcht und Ablehnung provozieren muss: »Diese Leute brauchen jemanden wie mich, denn ohne ein geeignetes Feindbild wären sie nur halb so wichtig. Sie zeigen mit dem Finger auf das Böse, das sich für sie in Marilyn Manson personifiziert, um sich im gleichen Atemzug als das Gute zu profilieren. In Wahrheit bin ich doch ihr bester Freund. Wenn es mich nicht gäbe, hätten sie keine Berechtigung, sonntags in der Kirche Geld zu sammeln.« Dabei sei schließlich gerade die Kunst dazu berufen, auf die gesellschaftlichen Missstände hinzuweisen: »Bei der Aufführung seiner Kunst – und mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein da – kann man oft sein zweites Gesicht zeigen. Man darf das ausdrücken, was einem eigentlich verboten wurde. Du wächst auf, und jemand infiltriert dich mit der Auffassung, dass große Jungs nicht weinen und keine Gefühle zeigen dürfen. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Leute daraufhin irgendwann ausflippen und neurotisch reagieren. Wenn du nur ein Quentchen Intelligenz mit in dieses Leben ge­bracht hast, dann ist das sogar die einzig richtige Reaktion. Ist jemand dumm und gibt sich mit seinem kleinen Leben zufrieden, dann ist das okay. Ich aber bin für die Leute da, die Interesse zeigen. Ich werde aufrütteln und die Sachverhalte klarstellen. Jeder Künstler kann Songs schreiben, ich hingegen kreiere Chaos. Das ist ein großer Unterschied.«

      Anfang des Jahres 2000 kursierten Gerüchte in der Musikpresse, Marilyn Manson habe beschlossen, ähnlich wie Prince vor ihm, seinen Namen zugunsten eines Symbols abzulegen. Er dementierte die Fehlinformation und erklärte, das Konzept hinter dem »Mercury«-Symbol sei lediglich Teil des Themas seines neuen Albums und stehe damit in der Tradition des »Omega«-Zeichens, das er für »Mechanical Animals« nutzte. Schon damals machten viele Beobachter den Fehler, das Symbol »Omega« und alles, was es auf dem Album repräsentierte, als Ablösung der Inhalte zu begreifen, für die die Figur Marilyn Manson steht. Dabei handelt es sich um eine satirische, übertriebene Darstellung dessen, was das kommerzielle Amerika als Verhaltensmuster von einem Rockstar erwartet. Eine Rolle, die Manson unter anderem deshalb spielte, um die Aufmerksamkeit der Jugendlichen, die sich mehr und mehr auf HipHop und R ’n’ B fokussierte, zurück zum Rock zu lenken. Es sind aber weniger die Stilrichtungen an sich, die ihn dazu bewegt haben, dieses Gegengewicht zu schaffen, als vielmehr die zunehmende Angepasstheit und weichgespülte Aussagekraft dieser einstmals »rebellischen« Musikstile.

      Bereits 1999 ließ Manson verlauten, dass er an einem Drehbuch für einen Film namens »Holy Wood« arbeiten würde. Er hatte bereits mit verschiedenen Produktionsgesellschaften über die Verwirklichung des Projektes verhandelt, musste aber einsehen, dass die Gefahr einer Verwässerung seiner Botschaft durch die wirtschaftlichen Zwänge, unter denen die Filmfirmen Drehbücher beurteilen, zu groß sei. Schließlich änderte er seine Pläne. Statt sich ­weiter auf die Arbeit am Drehbuch zu konzentrieren, steht nun für ihn die ­Fertigstellung des nächsten Albums an erster Stelle. »Holy Wood (In The Shadow Of The Valley Of Death)« ist ein Konzeptalbum, das sich thematisch auf eine Geschichte bezieht, die Manson bereits 1995 entwickelte und die auch als Storyline des Films gedacht war. Manson mag Trilogien. Er stellt »Holy Wood« als den dritten und letzten Teil eines zusammengehörenden Werkes dar, das mit »Antichrist Superstar« begonnen hat. Das Motiv des dekadenten Hollywood als Spiegelbild der Gesellschaft bleibt Bestandteil des neuen Albums, das die »brutalste und dunkelste Veröffentlichung der Band bisher« sein soll. Assoziationen mit verschiedensten Symbolen aus der Bibel werden stärker in den Fokus gerückt, was schon mit der Vieldeutigkeit des Titels beginnt: Schließlich wurde Jesus Christus, die zentrale Figur des christlichen Glaubens, auf einem Stück Holz zu Tode gemartert. »›Holy Wood‹ bezieht sich über weite Strecken auf die Bibel. Ich habe biblische Elemente genommen und diese mit dem modernen Amerika in Verbindung gebracht. Christus, Kennedy, John Lennon – die Art, wie diese Menschen unsterblich gemacht wurden, weist viele Parallelen auf und lässt tief blicken. Genau das ist die Grundaussage von ›Holy Wood‹.« Auf die Frage, ob man das neue Album vor dem Hintergrund der Ereignisse des Jahres 1999 als Antwort auf die Reaktionen der Öffentlichkeit zu seinem Schaffen sehen kann, zeigt sich Manson kämpferisch: »Es gab einen Wendepunkt in der Art, wie ich mit meiner Abscheu gegenüber den Medien umgegangen bin. Ich wurde in letzter Zeit für so ziemlich jede Gewalttat, die in Amerika geschehen ist, verantwortlich gemacht. Die drei Monate, in denen ich mich zurückzog, benötigte ich als Bedenkzeit, um zu entscheiden, wie ich darauf reagieren soll. Sollte ich mir in den Arsch ficken lassen oder diesen Leuten die Zähne ausschlagen? Mit der Verwirklichung des »Holy Wood«-Konzepts habe ich mich für Letzteres entschieden. Dieser Schlag wird sie so heftig treffen, dass sie sich wünschen werden, niemals geboren worden zu sein.« »Holy Wood« bedeute eine Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten. Es sei ein Angriff auf die Selbstgerechtigkeit der Unterhaltungsindustrie, in deren Mitte sich Manson mit seinem Wohnsitz Hollywood befinde.

      Nach dem Album beabsichtigt er, einen Bildband zu veröffentlichen, der das visuelle Grundkonzept dieser neuen Phase seines Werdegangs repräsentieren soll. Dieser Teil seiner Arbeit soll neben dem Album einen wesentlichen Bestandteil seines Gesamtkunstwerkes ausmachen. Denn Image und Musik müssen für Manson Hand in Hand gehen: »Nachdem du die Musik gehört hast, entsteht ein bestimmtes Bild in deinem Kopf. Ich versuche, mit meinem Image möglichst nah an diese Vorstellung heranzukommen.« Sollte er vom Konsumenten ein Verständnis für die komplexe Philosophie, die er um ein zunächst relativ profanes Rockalbum strickt, erwarten? Setzt er