Marc Degens

Hier keine Kunst


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      Marc Degens

      Hier keine Kunst

       Fast ein Roman

      SuKuLTuR

       2011

      Hier keine Kunst

      ein SuKuLTuR-Produkt

      eBook-Ausgabe August 2011

      1. Auflage (Print) März 2008

      Alle Rechte vorbehalten

      Text und Cover: Marc Degens

      Gestaltung: Torsten Franz

      SuKuLTuR, Wachsmuthstraße 9, 13467 Berlin

       [email protected] · www.sukultur.de

      ISBN (ePub) 978-3-941592-88-9

      ISBN (pdf) 978-3-941592-89-6

      eBook-Herstellung und Auslieferung

      readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

      Marc Degens, geboren 1971 in Essen, schreibt Romane, Erzählungen, Aufsätze, Kolumnen und Gedichte. Zahlreiche Einzelveröffentlichungen, zuletzt »Das kaputte Knie Gottes« (2011) und »Unsere Popmoderne« (2010).

       www.marc-degens.de

       DIE SCHWARZE WELT

      »Her mit den Stellenangeboten und den Wohnungs- und Bekanntschaftsanzeigen. An den Wochenenden schreiben Sie sich die Finger wund, und Ihr Terminkalender füllt sich.«

      Vielen Dank, daß Sie dieses Buch gekauft haben. Ich kann mir schon ausmalen, wie viel Überwindung es Sie gekostet hat, für das Romandebüt eines unbekannten und dazu auch noch deutschsprachigen Schriftstellers auf einen Schlag so viel Geld auszugeben. Sie standen in der kleinen, engen Kellerbuchhandlung vor dem Tisch mit den Neuerscheinungen, und der Vollbart hinter dem Tresen beäugte Sie mißtrauisch. Er nahm seine Brille ab, putzte sie, doch seine Maulwurfblicke klebten an Ihnen wie die vier Tapetenschichten an der Küchenwand. Sie hatten Angst, daß er gleich seine Stimme erhebt, Sie anspricht und unverbindlich berät. Seine Meinung kundtut und Urteile fällt, weil er all die Bücher hier gelesen hat und es einfach loswerden muß: Dieses ist gut … Jenes ist schlecht … Das da geht so. Aber nein, natürlich konnte er nicht all die vielen Bücher hier gelesen haben, das geht schon rein zeittechnisch gar nicht. Sollte er Sie trotzdem angesprochen haben, dann bloß deshalb, um Sie besser beobachten und unauffälliger kontrollieren zu können. Seien Sie ihm aber bitte nicht böse, er meint es nicht persönlich, vielmehr kennt er seine Kundschaft. All die bildungsbürgerlichen Bücherwürmer und verkopften Leseratten, immer schön etepetete und ach so kultiviert. Doch wehe, der Vollbart gibt einen Moment nicht acht, zum Beispiel weil das Telefon klingelt oder die Computerkasse spinnt, schon verschwindet der Umbrien-Reiseführer in der Handtasche oder der Helmut-Newton-Fotoband im Mantelinneren. Bevor die Dame oder der Herr gehen, kaufen sie noch ein billiges Krimitaschenbuch oder ein Mängelexemplar aus der Grabbelkiste, für das der Vollbart eigens eine Quittung ausstellen muß: Fachliteratur. Der Buchhändler hat wirklich allen Grund, derart branchenkrisig aus der Wäsche zu gucken. Oder er will bloß eine rauchen.

      Jedenfalls fühlten Sie sich bedrängt und auch ein wenig verpflichtet, und so wogen und wendeten Sie das eingeschweißte Buch gewissenhaft in ihren Händen, lasen den Klappentext: Ein nahezu perfektes Debüt … Mitreißende Geschichte … Doppelbödige Spannung … Voll zärtlicher Bosheit … Rasante Prosa … Virtuose Sprache … Präzise erzählt mit Lust am Detail … Schnoddrig, schwermütig, scharfsinnig … Sexy, witzig, weltgewandt … Sätze, die tief ins Dekolleté der Großstadt schauen … Eigensinnig beobachtet … Farbige Episoden … Utopischer Vielklang … Stimmungsvolle Phantastik … Psychologisch verschlungen mit einer Portion Selbstironie … Erstaunliche Wärme … Verblüffende Wendungen … Lebendiger Rhythmus … Glaubhafte Dialoge … Frisch und kraftvoll … Mutig, poetisch, klar … Elegant, stark, unverwechselbar … Die deutsche Antwort auf. Doch fünfzig Mark sind eine Menge Holz. Im Lebensmitteldiscounter bekommt man dafür drei bis oben hin gefüllte Plastiktüten, inklusive Zigaretten und Kaffee, und im Winterschlußverkauf vielleicht einen schicken, warmen Wollpullover, an dem hat man jahrelang Freude. Oder verwöhnen Sie sich: Gehen Sie in die Sauna, anschließend ins Kino und köpfen Sie daheim vor dem Zubettgehen noch eine Flasche Prosecco. In literarischer Währung sind fünfzig Mark gar ein kleines Vermögen. Zehn Zentimeter Hermann Hesse, fünfzehn Zentimeter Heinrich Böll, bestimmt sogar zwanzig Zentimeter Thomas Mann bekommt man dafür – und diese Herren sind durch die Bank Nobelpreisträger. Macht also unsere Bücher billiger. Na klar, ich unterstütze diesen Plan, doch es ist nur ein frommer Wunsch, denn bitte versetzen Sie sich einmal in meine Lage. Letzten Monat war der Abfluß in der Küche kaputt, das Spülwasser wollte nicht abfließen, Mutter probierte wirklich alles aus. Sie kippte einen Liter Chemiereiniger in das Becken, versenkte ein Stoßgebet nach dem anderen im Himmel und hantierte stundenlang mit dem Saugpümpel herum – dieser an einem Holzstab befestigten roten Gummiglocke, die man ansonsten zum Dämpfen von Trompeten benutzt. Doch alle Mühen waren umsonst, Mutter mußte den Installateur kommen lassen. Und der kam zehn Tage später endlich auch, trank einen Eimer Kaffee, hantierte eine halbe Stunde unter der Spüle herum und verlangte dafür am Schluß sage und schreibe einhundertfünfzig Deutsche Mark ohne An- und Abfahrt. Wieviel Stunden werde ich dagegen für diesen Roman aufgewendet haben? Unzählige … Ich tippe hundert. Und im Gegenzug erhalte ich von Ihnen fünfzig Mark. Das macht fünfzig Pfennig pro Stunde! Dafür würde der Installateur noch nicht einmal seine Tasse heben. Um also eine Handwerkerstundezu bezahlen, müßte ich drei komplette Romane schreiben. Trotzdem möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal bei Ihnen für den Kauf dieses Buches bedanken, denn ginge es mir nur ums Geld, dann wäre ich Scheich oder Spice Girl geworden. Jetzt wird es aber Zeit, daß ich mich vorstelle, schließlich wurde ich gut erzogen.

      Meinen Namen kennen Sie bereits, man kann ihn sich nicht aussuchen, es ist der auf dem Umschlag. Ich bin ledig, zweiunddreißig Jahre jung und beruflich … Sagen wir es so: ungebunden. Ich bin in einer westdeutschen Kleinstadt geboren und aufgewachsen, in der ich bis gestern noch lebte, und habe ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, das ist genetisch bedingt. Ansonsten aber geht es mir prächtig, und mein Äußeres hat, ohne mir schmeicheln zu wollen, nichts Abstoßendes. Wie gesagt wohne ich seit gestern aber nicht mehr in meiner Heimatstadt, sondern in Berlin, dem finsteren Moloch, der pulsierenden Spreemetropole, Deutschlands Herzkammer. Und was soll ich sagen? In Berlin herrscht ein anderes Klima, es ist tierisch kalt hier, selbst in der Wohnung, die Scheiben sind beschlagen, und mein Atem dampft … Angeblich ein typischer Januartag für Berliner Verhältnisse. Warum ich hier hingezogen bin, ist ebenfalls rasch erzählt. Vor nicht einmal achtundvierzig Stunden faßte ich den Entschluß, Schriftsteller zu werden. Neues Jahrtausend, neues Glück. Eine Münze gab den Ausschlag, die Alternative hieß Verbrecher. Ich bin froh, daß es so gekommen ist, obwohl mir bewußt war, daß die Entscheidung eine Vielzahl persönlicher Veränderungen mit sich bringen würde. Denn als Schriftsteller wandelt sich unweigerlich der Blick auf die Umwelt, er wird schärfer, fokussierter, man beobachtet genauer und hält ständig Ausschau nach lohnenswerten Geschichten. Aus diesem Grund hielt ich es für ratsam, meinen geistigen gleich mit einem räumlichen Wechsel zu verbinden und die Gelegenheit beim Schopf zu packen und alte Zöpfe abzuschneiden. Meine Eltern sind zwar eigentlich recht angenehme Mitbewohner, doch nach ihrem Tod werde ich noch genug Zeit in ihrer Doppelhaushälfte zubringen.

      Mein Entschluß, nach Berlin überzusiedeln, ist gleichfalls das Resultat künstlerischer Überlegungen. Ich möchte hier einen Roman abfassen, den alle Menschen auf der ganzen Welt verstehen können. Der verfilmbar ist, global, umfassend und universal, etwa so wie das Internet. Ein Werk, das eine klare Geschichte erzählt: Klug und gewandt, flüssig und einfach, spannend und unterhaltsam. Ich bin fest davon überzeugt, daß mir die Weltstadt Berlin dabei helfen wird. Natürlich hätte ich auch nach New York ziehen können, nach Buenos Aires, Barcelona oder Tokio. Für den Anfang hielt ich es allerdings für ratsamer, mich in