mit Residenzpflicht an einen anderen unbekannten Autor. Versunken in meinen Gedanken wanderte ich die Birkenallee hinab, bis ich auf ein großes, quadratisches Grabfeld stieß. Schwarz, finster, öd … Ohne Bepflanzung. Das Grab sah aus wie ein leerer Aschenbecher. Eine hohe, schlanke Stele wies es als die letzte Ruhestätte des Dramatikers Heiner Müller aus – den kannte ich aus dem Fernsehen. Ich mochte seine schwarze Erscheinung, seine düsteren Andeutungen und das beredte Schweigen, das die Privaten nachts versteckt zwischen Tittenfilmchen und Dauerwerbesendungen ausstrahlten. Der Dramatiker prägte entscheidend mein Bild des deutschen Dichters und Denkers – und wahrscheinlich auch meinen Wunsch, Schriftsteller zu sein. Ihm werde ich dieses Buch widmen. Auf seinem Grabstein lagen ein paar bunte Kieselsteine und eine Zigarre. Ich erinnerte mich an den Spruch, den ich während einer Kinderverschickung auf einem alten Grabstein in Bayern entdeckt und auswendig gelernt hatte:
Ich habe, weil ich war
Mit Tobak mich genährt
Doch alles, was man liebt
Wird durch die Zeit verzehrt
Mein Bester, gönnst du mir nun meine sanfte Ruh
So setz’ dich auf mein Grab
Und rauch Tobak dazu
Das hätte ich gern getan, doch in diesem Moment setzte ein fieser Nieselregen ein. Ich nahm die Zigarre, verstaute sie in meiner Jackentasche und eilte zurück in mein Quartier. Der lange Stefan war noch nicht zurück, ich nutzte die Gunst der Stunde, schob den Tisch und den Sessel zum Fenster, holte aus meinem Koffer einen Stoß Papier und meinen Füller hervor, setzte mich hin und entzündete die Zigarre. Der Tabak war ein wenig feucht geworden, so daß es eine Weile dauerte, bis die Zigarre anständig brannte. Dann nahm ich ein weißes Blatt Papier, griff den Füller, entfernte die Kappe und fing an zu schreiben. Ein Wort, zwei Worte, eine Überschrift:
Die schwarze Welt
Es folgten weitere Worte und Sätze, diese Seiten. O, ihr Blätter meiner Lust, glimmet, knastert, prasselt, lodert. Ich schrieb und rauchte und rauchte und schrieb … Ohne Pause. Jetzt ist die Zigarre aufgeraucht und meine linke Hand schmerzt. Doch ich bin zufrieden mit dem Erreichten, auch wenn ich meine beiden Romanhelden auf den letzten Seiten kurz aus den Augen verloren habe, und verbeuge mich vor mir selbst. Moment mal! Ich höre etwas. Aus dem Flur dringen Geräusche. Die Wohnungstür wird geöffnet, da ist eine Stimme. Bestimmt kehrt der lange Stefan jetzt heim. Ich werde ihn kurz begrüßen, dann geht es weiter. Versprochen.
DIE DAMOKLESSPINNE
»Sie müssen akzeptieren, daß Sie nicht zu den Auserwählten gehören, die für Normalos unantastbar sind. Entspannen Sie sich bei einem Theaterbesuch.«
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