Jürgen Roth

Nur noch Fußball!


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       Milchgesichter und Bergziegen

       Vom Buben zum Billionär – Co-Autor: Peter Köhler

       Das Duell der Weltmeister

       Bobby Fischers Sandwiches

       Der Tango aus der Sicht der Wissenschaft

       Verregeltes Dasein

       Nagelneue Epik – Heute: Der Fitneßstudioroman

       Transgressive Modellierung

       Biene – Von Matthias Egersdörfer

       Chlorkehraus

       Ein Brief

       Nachweise

      Vorbemerkungen

       Montag – In christlichen Ländern der Tag nach dem Fußballspiel.

      Ambrose Bierce: Des Teufels Wörterbuch

      Der Titel dieses Buches ist soweit in Ordnung, aber nicht der wahre Jakob. Denn wie in Noch mehr Fußball! – Vorfälle von 2007 bis 2010 sind auch in diese Chronik Ein- und Auslassungen eingewoben, die andere Bereiche und Topvertreter der »Muskel- und Märchenindustrie des Spitzensports« (Thomas Kistner) zum Gegenstand haben, insbesondere eine berükkend aparte Eisschnelläuferin vom Stamme der Deutschen.

      Im großen und ganzen jedoch konzentriert sich dieser Balg aus Glossen, Aufsätzen, Artikeln und Rundfunkbeiträgen auf den Fußball. Das spiegelt dessen Stellenwert wider. »Der Fußball übernimmt alle Fernsehmacht«, klagte der Tagesspiegel vom 3. Juli 2013, »der Tag, an dem Sport in Deutschland nicht mehr Sport, sondern Fußball heißt«, sei nahe. »Denn die öffentlich-rechtlichen Sender interessieren sich auch nur für Quote und Fußball und weniger dafür, ob ein Teil ihrer Zuschauer etwas anderes sehen will.«

      Oder hören will. Mit einem Bruchteil der wahnwitzigen Summen, die die Öffentlich-Rechtlichen für Fußballübertragungsrechte aus den Fenstern schütten, ließen sich elaborierte Wortprogramme der Radiowellen pflegen und ausbauen, ließe sich politisch-literarischer Journalismus finanzieren, der den Namen Journalismus verdient. Machtpolitisch gewollt ist das Gegenteil, und auf Grund des verbrecherischen Formatierungszwangs läuft alles mehr oder weniger darauf hinaus, zumindest das ohnehin weithin unumkehrbar vergammelte Fernsehen einem einzigen Format zu unterwerfen, dem Format Fußball – respektive darauf, das Fernsehen nach dem Paradigma des vermaledeiten Sports final umzumodeln.

      »Man hat manchmal schon das Gefühl, daß sich Deutschland von der Kulturnation zur Sportnation entwickelt«, räumte Michael Steinbrecher am 21. Juni 2013 gegenüber der FAZ ein. »Der Sport ist in fast allen Lebensbereichen präsent: im Fernsehkonsum, in der Mode, im privaten Verhalten. Sport durchdringt fast alle Sendeformen. Wie funktionieren Castingshows? Das ist nichts anderes als eine sportliche Competition mit Viertelfinale, Halbfinale, Finale. Schlag den Raab funktioniert auch so. Ich sehe noch keinen Endpunkt – und stelle fest, daß die Dimension und die Akzeptanz enorm gestiegen sind. Die Livepräsentation im Sport ist das letzte kollektive Medienerlebnis, das die Nation verbindet.«

      So ähnlich soll das ja bereits am 4. Juli 1954 gewesen sein. Was es mit dem kollektiven Medienerlebnis auf sich hat(te), schildert Gerd Fuchs in seiner Autobiographie Heimwege (Hamburg 2010) – Fuchs war damals einundzwanzig Jahre alt –: »Ich schlenderte die Straße entlang, und weil alle Fenster offen standen, konnte ich das Spiel im Gehen verfolgen – beziehungsweise mußte ich es verfolgen, denn vor dieser Reporterstimme war kein Entrinnen, so daß nicht so sehr ich das Spiel verfolgte als dieses mich. […] Da erhob sich ein Brüllen und explodierte in den Zimmern und stürzte aus den offenen Fenstern heraus und rollte die Straße entlang, ein erlöstes Brüllen, und da richtete es sich auf und riß den Arm befreit hoch: Sieg Heil.«

      Der Herr Steinbrecher wird das weder wissen noch wissen wollen, denn er ist mittlerweile tatsächlich und beglaubigt: Professor an der Universität Dortmund. Ich darf aus einem Text aus Noch mehr Fußball! zitieren, der zuerst am 13. Juni 2008 in der Frankfurter Rundschau erschienen war: »Ich mußte so sehr lachen, daß mein Schreibtischstuhl fast zusammenbrach. Vor einem Monat war sie zu lesen gewesen, die Meldung des Jahres: ›Michael Steinbrecher will ›Prof‹ werden‹. Doch, das will er werden, der Michael Steinbrecher: Prof. Beziehungsweise Professor. Die Welt ist voller Wunder. […] Gut, die einen sagen: Das ist der bislang beste Scherz des gar nicht mehr allzu neuen Jahrhunderts. Die anderen interpretieren Steinbrechers Bestreben, den Dortmunder Lehrstuhl für – ja, so was muß es wirklich geben – ›Fernsehjournalismus‹ zu erobern, als Zeichen der vollendeten Verlotterung des deutschen Hochschulwesens, das, nachdem es von neoliberalen Berserkern und Handlangern des Kapitals stranguliert und planiert wurde, jeder opportunistisch-korrupten Pfeife offensteht. Wo Humboldt war, soll Steinbrecher werden. Grandios.«

      Fünf Jahre später, im nicht minder famosen Sportjahr 2013, hatte dieser hochoffizielle »Professor für Fernseh- und Crossmedialen Journalismus« (www.journalistik-dortmund.de) selbstverständlich wenig Besseres zu tun, als den Deutschen Sportpresseball in der Alten Oper in Frankfurt am Main zu moderieren (Motto: »Ice and Fire – von Sotschi nach Rio«) – und zwar »gekonnt«, wie wir in einer achtseitigen Zeitungsschleimbeilage erfuhren, einem unschätzbar wertvollen Dokument der geistigen Verluderung und des Prasserwesens, voller Photos von Trantüten, Gaunern und Abgreifern: Hans-Peter Friedrich, Franz Beckenbauer (ohne den läuft ohnehin nichts mehr), Volker Bouffier, Boris Rhein, Roland Koch, Edmund Stoiber und – Waldemar Hartmann, »der den Sportpresseball in den neunziger Jahren selbst dreimal moderiert und ›mit aus der Taufe gehoben‹ hatte«.

      Während Michael Steinbrecher also seine akademische Würde und Distanz durch den engagierten Einsatz als Conférencier bei einer von vorne bis hinten korrupten Gockelveranstaltung unter Beweis stellte – und deshalb keineswegs das Amt des Geschäftsführenden Direktors des Dortmunder Instituts für Journalistik niederlegen mußte, das hat er, Wunder über Wunder, auch noch inne –, konnte der offiziell offenbar nicht zum Einsatz gekommene Waldemar Hartmann immerhin seine vor Sprachwitz, intellektueller Schärfe und selbstreflexiver Bescheidung sprühende Autobiographie Dritte Halbzeit – Eine Bilanz (München 2013) bewerben, in der es konsequenterweise zu geschätzten dreiundneunzig Prozent um Spezltum, politischen Filz, unverblümt eingestandene Schiebereien im Medienbetrieb und Kohle mal noch mal Kohle geht.

      Na ja, er sagt’s selber: »Ich war eitel wie ein Depp.« Er meint: in seiner Jugend. Nur, daran änderte sich: nichts. Ob er nun mit seiner Nähe zur Familie Strauß herumrenommiert oder zu irgendwelchen Flaschen-Sozis oder zu Muhammad Ali oder zu sonstwem – es ist eine auf fast dreihundertsiebzig Seiten astrein durchgehaltene goldreine Aufplusterei, die trotz journalistischen Beistandes (schreiben kann Hartmann höchstens Einkaufszettel und sogenannte Fernsehgeschichte) grammatikalisch-orthographisch und stilistisch das Niveau von Möbelhauskatalogen erreicht.

      Ausgesprochen gelungen fand ich allerdings diesen Satz: »Bei Henry und mir war von Anfang an klar: Ein Duo funktioniert nur zu zweit.« Henry Maske war Hartmanns Experte bei ARD-Boxübertragungen, und eine Seite vorher lesen wir: »Wir waren uns nicht