Müller zu reden, der bei der WM in Südafrika ein Tor erzielte, das eine exakte Kopie des 2:1 von Gerd Müller im Finale 1974 war, – nicht Mexitinien erhielt den Zuschlag für das Championat 2022, sondern Liechtenstein, Unfug: Malta, Quatsch, Katar natürlich, welches Land denn sonst. Wäre ja gelacht gewesen, hätten sich die Gaudiburschen und Wonneproppen im FIFA-Exekutivkomitee ausnahmsweise mal nicht äußerst erkenntlich für die kleinen Gaben aus allerlei staatlichen und anderweitigen Schwarzgoldtöpfen gezeigt, aus arabischen und russischen Säckeln, die wohl hinsichtlich der Vergabe der WM 2018 an das ehemalige Reich des Bösen von Platinpremier Putin persönlich bis zum Platzen befüllt worden waren.
Das ganze Schmierentheater in der Gauneroase Zürich respektive Schweiz, in der korrupte Weltsportfunktionäre strafrechtlich nicht belangt werden dürfen, ward flankiert nicht nur, wie der Spiegel berichtete, von einem holden »Heer von Regierungschefs, Abgesandten europäischer Königshäuser und arabischer Emirate, Fußballidolen und Verbandsfürsten«, sondern auch von Enthüllungen der BBC und des Schweizer Tagesanzeigers über einen neuen wunderschönen Bestechungs- und Versaubeutelungsvorgang innerhalb des Fußballweltverbandes, über den, wenn’s kein anderer anpackt, ich demnächst wirklich ein Theaterstück in Shakespeareschem oder Schillerschem Zuschnitt zusammenkloppen werde, mit der Hauptfigur Joseph Seppl Blatter als Variante von Richard III. oder Philipp II.
Nun, diesmal mußten sich diverse Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees, unter ihnen der sattsam bekannte brasilianische Schmiergeldentgegennehmer Ricardo Teixeira, vorhalten lassen, etliche Millionen eingesteckt zu haben, die BBC belegte insgesamt hundertfünfundsiebzig Geheimtransaktionen der appetitlichsten Art. Und die Reaktion des Gutsherrn Blatter? Pah!
Mehr noch: Blatter, über den die Schweizer Gammelgazette Blick kürzlich zusammenschmierte, der Patron sei auf Grund seiner – Obacht! – »Bescheidenheit und Demut« so »charismatisch«, tat, ohne daß er grün, rot und blau zugleich anlief, kund: »Es gibt keine systematische Korruption in der FIFA. Das ist Unsinn.« Stimmt. Es gibt keinen Sand in der Sahara. Das ist Unsinn.
»Ob der Sepp«, fragte der Journalist Jens Weinreich, »schon an Pseudologie leidet?« Also an der Lügenkrankheit? Antwort Weinreich: »Die Wahrheitsbeugungen, die Blatter begeht, müssen erst noch gezählt werden.« Und damit werden wir im neuen Sportjahr genausolange zu tun haben wie mit der Ermittlung des Tour-de-France-Siegers Anno 2010. Heureka und halleluja!
Soweit war das Sportjahr 2010 mithin eines wie immer, auf unseren lieben Sport ist halt Verlaß, national wie international. Im italienischen Fußball wurde abermals ein gigantischer Betrugsskandal aufgedeckt, der bis in die zweite Bundesliga ausstrahlt, in Spanien hob die Guardia Civil einen Dopingring rund um den notorischen Arzt Eufemiano Fuentes aus, und hierzulande nagelte insbesondere die Sport Bild, zu der Ioannis Amanatidis von der Frankfurter Eintracht mal fallengelassen hat: »Schmuddelblatt«, »schreibt im großen und ganzen nur Dreck«, den üblichen Stiefel voller Ahnungslosigkeit, Nichtigkeit und Hetze zusammen, indem sie zum Beispiel wochenlang den ziemlich untadeligen Michael Ballack derart degoutant demontierte, daß man den Springer-Säcken ein ungarisches Mediengesetz an den Hals wünschte – während der Veranstalter der alpinen Ski-WM im Februar in Garmisch-Partenkirchen ankündigte, Journalisten vor ihrer Akkreditierung geheimdienstlich durchleuchten zu lassen.
Neu war allerdings, daß Sebastian Vettel Formel-1-Weltmeister wurde – wegen seiner »Renngeilheit«, unterstrich Michael Schumacher; daß die Nationalmannschaft außer im hasenfüßig vergeigten Halbfinale gegen Spanien mirakulös elegant auftrat – und, meinte die vollkommen narrische B. Z., »mit Selbstvertrauen so groß wie Mozart«; daß der widerliche Boxpromoter Ahmet Öner nach einer Niederlage des Schwergewichtlers Steffen Kretschmann zum besten gab: »Hiermit ist er frei. Ich übergebe ihn der Masse. Sie kann ihn haben und zu Hause ausstopfen«; daß im Landtag von Sachsen-Anhalt tatsächlich über den Einsatz von Gummigeschossen und Drohnen bei Sportveranstaltungen debattiert wurde; und daß Handballer und Basketballer gegen das Anti-Doping-Meldesystem protestierten, derweil der Wiener Dopingfahnder Andreas Holzer erzählte: »Wir stießen während unserer Ermittlungen auf Hobbysportler, die für die Vorbereitung auf einen Marathon rund siebentausend Euro in Dopingpräparate investierten, nur um von Platz 1.042 auf Platz 912 nach vorn zu kommen.« O gesegnete Welt des ubiquitären Sports!
Was steht in den kommenden zwölf Monaten an? Worauf dürfen wir uns freuen? Auf das Sequel von Louis van Gaals Autobiographie, diesmal so dick wie James Joyce’ Ulysses? Auf Tennismatches in Wimbledon, die drei Tage und zwei Nächte dauern? Auf die Vergabe der idiotischen Olympischen Winterspiele 2018 an München, da, teilte uns DOSB-Präsident Thomas Bach im Zusammenhang des obstinaten Auftretens der Olympiagegner mit, »das olympische Dorf als Erbe der Spiele die Wohnungsnot in der Stadt lindern« würde? Auf eine Leichtathletik-WM ohne Fernsehbilder, weil ARD und ZDF nur sechs statt der geforderten fünfzehn Millionen Euro für die Rechte rausrücken wollen? Auf eine Frauenfußball-WM, über die sogar die OK-Präsidentin Steffi Jones sagt, sie habe »Angst, daß wir in unseren Erwartungen nicht realistisch bleiben«?
Na ja, Dr. Theo Zwanziger schreibt auf der Website seines Ladens: »Ich bin mir jedenfalls sicher, daß die WM gut für unser Land sein wird«, und Dr. Theo Zwanziger ist ein weiser, ja weitblickender Mann. Nur gut, daß Günter Netzer bekannte: »Ich würde mir nicht zutrauen, ein Frauenfußballspiel zu analysieren«, weshalb wir frohgemut nach vorne schauen und dem Sportjahr 2011 schon heute ein herzliches »Hurra!« entbieten. Aber holla!
Der Krampf geht weiter
In unserer phänomenalen Medienwelt erfährt man nahezu unentwegt Dinge, die ob ihrer schieren Unbegreiflichkeit derart betörend, ja enervierend sind, daß man sie am liebsten, mit Karl Valentin zu reden, noch nicht mal ignorieren würde. Andererseits möchten wir schon zitieren, was jüngst der Mediziner Stefan Eber in der allzu beknackten Causa Claudia Pechstein dargelegt hat, nämlich – aufgepaßt! –: »Der bislang für die bekannten Permeabilitätsdefekte [der Xerozytose] untypische, verkleinerte Erythrozytendurchmesser von Claudia und ihrem Vater weist auf eine Mischform mit der hereditären Sphärozytose hin.«
Capisce?
Nun, von einer solch mirakulösen »Mischform« war bis dato zwar nichts bekannt, aber das heißt selbstverständlich nicht, daß man nicht weiter ausführen könnte: »Ein definitiver Beweis für die hier beschriebenen Anomalien ließe sich durch die Messung der erythrozytären transmembranösen Kationenpermeabilität […] erbringen. Diese Untersuchungen sind sehr aufwendig und werden derzeit unseres Wissens in keinem Labor routinemäßig angeboten.«
Hm. Na ja. Schön. Oder auch nicht. Im übrigen wissen wir nicht, wie viele Säcke Reis in den vergangenen vierundzwanzig Monaten umgefallen sind, in denen uns die vom Internationalen Sportgerichtshof CAS wegen mutmaßlichen Blutdopings für zwei Jahre gesperrte Eisschnelläufern Pechstein mit ihren unermüdlich anberaumten Großereignispressekonferenzen die Langeweile vertrieben hat.
Und zwar bis gestern. Denn seit gestern ist sie wieder richtig da. Helau, halleluja. Es ist das alles wahrhaft wunderbar.
In Erfurt trat Claudia Pechstein bei einem gänzlich unbedeutenden Vereinssportfest über 3.000 und 1.500 Meter an und blieb unter der Norm des Weltverbandes ISU, so daß sie nun am kommenden Wochenende beim Weltcup in Salt Lake City starten wird. Sie hat nichts Besseres zu tun, auch als demnächst 39jährige, vom Alter her durchaus reif zu nennende Frau nicht. Kufen im Kopf, sonst offenbar nichts. Es ist ein Kreuz.
Das Kreuz jedoch, das hat Claudia Pechstein jetzt abgelegt, glauben wir ihr und der um sie herumkurvenden Hochleistungssportpresse, in der diese unfaßbare Frau Pechstein mit den Worten zitiert wird: »Ich bin wieder da. Das ist der größte Sieg meiner Karriere.« Und: »Unter diesem Druck zu laufen ist alles andere als leicht. Dieser Medienrummel war der Wahnsinn.«
Es ist längst nicht mehr auszumachen, wann genau der Wahnsinn begann, wann die Berliner Polizeihauptmeisterin zum erstenmal und in der Folge dann unerbittlich das Wort »Wahnsinn« in den Mund nahm. »Das Ganze ist der nackte Wahnsinn«, hatte die aufs ärgste geschmähte Olympiasiegerin nach dem CAS-Urteil geäußert, und fortan verging kaum eine Woche, in der sie nicht die Welt mit ihren Beteuerungen und Selbstinszenierungen