Ella Danz

Kochwut


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soll das sonst sein, wenn keine Bedrohung? Fühlst du dich erst zuständig, wenn ich im Herd dieses Irren gelandet bin?«

      Diese Vorstellung erschien Angermüller ziemlich surreal.

      »Carola, bitte beruhige dich. Natürlich kann ich mir vorstellen, dass das ein dummes Gefühl für dich ist. Das ist eine sehr unschöne Art der Belästigung …«, versuchte er zu beschwichtigen. »Könnte es vielleicht ein enttäuschter Verehrer sein?«

      »Unschöne Art der Belästigung! Enttäuschter Verehrer! Quatsch! Denkst du vielleicht, ich bin nur hysterisch?«

      Angermüller schüttelte demonstrativ seinen Kopf. Offensichtlich nahm das Gespräch nicht den Verlauf, den Carola sich vorgestellt hatte. Ihre anfängliche Nervosität war verschwunden, und sie wirkte zunehmend aufgebracht.

      »Dieser Verrückte ist hinter mir her! Und du sollst dem das Handwerk legen! So was ist schließlich dein Job! Und außerdem verlange ich Polizeischutz!«

      Da er ahnte, dass es keinen Sinn hatte, Carola zu widersprechen oder ihr klarzumachen, dass Polizeischutz angesichts der Personalsituation der Kollegen eine äußerst seltene Maßnahme und bei einer solchen Lappalie völlig illusorisch war, fragte er sie nur ruhig:

      »Also, ich sehe keine Anschrift. Wie hast du die Briefe denn erhalten?«

      »Der erste steckte an der Windschutzscheibe meines Wagens, und die beiden anderen wurden in der Redaktion der Lübecker Zeitung für mich abgegeben. In den letzten drei Wochen kam jede Woche einer.«

      »Dann hat es vielleicht mit deiner Tätigkeit dort zu tun? Konnte sich denn jemand an den Überbringer der Briefe erinnern?«

      Carola schüttelte den Kopf.

      »Und hast du irgendeinen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?«

      »Ja, schon.«

      Diese knappe, klare Antwort erstaunte Angermüller. Carola deutete auf die Kochbuchseiten.

      »Weißt du, von wem diese Rezepte sind?«

      Er verneinte.

      »Pierre Lebouton.«

      Carola spuckte den Namen aus wie eine faul schmeckende Frucht und sah Georg triumphierend an.

      »Ja und? Willst du damit sagen, dass du Lebouton auch für den Urheber der Briefe hältst?«

      Sie nickte nur. Angermüller konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen: Pierre Lebouton, Verfasser unzähliger Kochbücher, Kochstar im Fernsehen mit einer eigenen Show, Namensgeber einer hochpreisigen Genussmittelmarke und diverser edler Gourmet-Tempel – warum sollte er Carola derartige Briefe schicken?

      »Warum sollte Lebouton das tun?«

      »Mein Lieber, du unterschätzt meine Position in der hiesigen Lokalpresse.«

      Carola hatte sich wieder voll im Griff.

      »Ich habe es schon des Öfteren gewagt, den großen Küchenpapst mit ein paar deutlichen Worten der Kritik in meinen Kolumnen zu bedenken. Er soll geschäumt haben vor Wut.«

      »Und du glaubst, deshalb schickt er dir diese Briefe?«

      »Ich bin davon überzeugt, ja. Aber ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung über ihn. So leicht kann man mich nämlich nicht einschüchtern! Also, ich verlasse mich auf dich, Georg. Du meldest dich, wenn du was rausgefunden hast, ja?«

      Georg nickte ergeben.

      »Und eine Bitte noch …«

      Carola wirkte jetzt wieder etwas verlegen.

      »Außer deinen Kollegen brauchst du ja sonst niemandem was davon erzählen.«

      Georg nickte erneut. Dann rauschte Carola aus seiner Küche. Er packte die bemalten Kochbuchseiten zurück in ihre Umschläge und legte sie in die Schublade zu seinen gesammelten handgeschriebenen oder aus Zeitschriften ausgeschnittenen Rezepten, damit sie aus dem Wege waren. Nun konnte er sich endlich wieder seinem Nachtisch widmen.

      Bald darauf platzierte er je eine der Palatschinken auf den Desserttellern, gab eine Kugel Vanilleeis und einen Klecks Marillenmarmelade darauf und schlug mit geübten Handgriffen den Teig von vier Seiten zusammen. Dann besprengte er das Ganze mit ein wenig Marillengeist, streute karamellisierte Mandelblättchen darauf und staubte Puderzucker darüber – fertig.

      Als er ein Tablett mit den ersten vier Portionen zu seinen Gästen trug, grübelte Angermüller noch kurz nach über Carolas Briefe und ihren Verdacht gegen Pierre Lebouton, der ihm völlig abwegig erschien. Ein paar Stunden später beim Zubettgehen fiel ihm die Geschichte noch einmal ein, und als ein paar Tage vergangen waren, hatte er sie schon völlig vergessen.

      »Moin! Schön warm habt ihr das hier! Bei der Scheißkälte ist man richtig froh, endlich im Büro zu sein.«

      »Hallo Claus! Das kannst du laut sagen. Wenn das so weitergeht, friert noch die ganze Bucht zu.«

      »Jo. Früher ist das ja öfter mal passiert.«

      »Aber mit der Erderwärmung jetzt …«

      »Erderwärmung? Von wegen! Davon hab ich heute aber nix gespürt!«

      Auf den Fluren im Behördenhochhaus an der Possehlstraße war das Wetter am Morgen immer ein beliebtes Thema. Claus Jansen erschien im Türrahmen von Angermüllers Büro.

      »Moin Georg! Gibt’s was Neues?«

      Georg Angermüller blickte kurz vom Bildschirm auf und schüttelte seinen Kopf.

      »Nix Neues.«

      »Okay, machen wir also wieder in Altlasten. Dann koch ich uns erst mal einen schönen heißen Kaffee!«

      Jansen rieb sich die kalten Hände und ging pfeifend in Richtung Kaffeemaschine. Das Telefon auf Angermüllers Schreibtisch klingelte. Angermüller nahm den Anruf entgegen, angelte sich einen Zettel, lauschte aufmerksam, nickte und notierte.

      »Ich fürchte, unsere Kaffeestunde müssen wir erst mal verschieben«, rief er hinüber zu Jansen, nachdem er aufgelegt hatte. »Wir haben eine Leiche auf Gut Güldenbrook.«

      Ohne Strahlkraft schien eine fahle Sonne vom diesigen Himmel, als Jansen den Passat über die A1 in Richtung Norden jagte. Fast schien es, als ließe er den Wagen dafür büßen, dass er nicht mehr über den schnittigen Audi aus einer Beschlagnahme verfügen konnte, den er durch Beziehungen zu einer jungen Dame bei der Staatsanwaltschaft als Dienstfahrzeug ergattert hatte. Seit ein paar Monaten schon nutzten den die Staatsanwälte selbst, und er und Angermüller mussten sich wie alle Kollegen aus dem Pool der geleasten Dienstwagen bedienen. Zufrieden stellte Jansen bei einem Blick in den Rückspiegel fest, dass der andere Passat, in dem zwei weitere Ermittler zum Tatort unterwegs waren, längst aus seinem Blickfeld verschwunden war.

      Bei Lensahn verließen sie die Autobahn. Hin und wieder lag ein bisschen Schnee am Straßenrand. Der Jahresanfang war bisher zwar kalt, aber meist trocken gewesen. Sie rasten an Feldern und Wiesen vorbei, durch winzige Ortschaften, in denen niemand zu sehen war, auf immer schmaler werdenden Straßen weiter nach Norden. Die sanfte Hügellandschaft der Holsteinischen Schweiz hatte sich hier schon wieder in flaches Land aufgelöst, und schließlich tauchte am Ende einer Allee das beeindruckende Torhaus von Gut Güldenbrook auf. Ein Trecker kam ihnen auf dem engen Weg entgegen und zwang Jansen, der höchstens nach rechts in den breiten Graben hätte ausweichen können, auf der engen Zufahrt zu einem abrupten Bremsmanöver. Der Treckerfahrer rauschte mit seinem Gefährt in Millimeterabstand vorbei und zeigte ihnen wütend einen Vogel. Jansen fluchte laut.

      »Komm du mir noch mal vors Rohr, du Bauerndödel!«

      Hinter dem Torhaus, das zwischen zwei Wirtschaftsgebäude eingefügt war, öffnete sich ein weiter Innenhof, dessen harmonischer Anblick von den zahlreichen Autos, die hier parkten, erheblich beeinträchtigt wurde. Auch ein großer Reisebus stand dazwischen. Rechts begrenzte den Hof eine riesige Reetdachscheune, die wie das Torhaus und seine Nebengebäude aus rotem Backstein gemauert war. Zur Linken lag ein lang gestreckter, hell verputzter