der Speisekammer, gleich hinter der Küche lag immer eine große Regenplane. Die holte er jetzt und bedeckte damit die Überreste dieses blutigen Gemetzels. Dann schloss er sorgfältig die Tür, hing die kleine Kette vor und ging nachdenklich nach oben. Lange lag er diese Nacht noch wach und grübelte. Er wollte sich am Morgen mit Zwiebel noch einmal bei Tageslicht alles ansehen und dann entscheiden, wie weiter hier vorzugehen sei.
VI
Die Entertainerin
Gunhild Praskowiak wusste schon seit ihrer frühesten Kindheit, dass sie zu etwas Höherem berufen war. Aufgewachsen bei ihrer Großmutter, hatte sie stets nur diesen einen Gedanken: raus aus dem grauen Nichts und hinein ins grelle Rampenlicht. Sie liebte es, sich heimlich aus dem Kleiderschrank der Großmutter diverse Röcke und Blusen zu stibitzen und damit dann die aktuellen Schlager nach zu trällern. Als Mikrofon diente ein Schaumschläger und das dankbare Publikum waren ihre Püppchen und Teddybären.
Ihre Großmutter schüttelte über das aufgeweckte Kind den Kopf und ließ sie gewähren. In der Schule sang sie natürlich im Singeclub mit und war auch als Dampfplaudertasche bei Schulfeiern nicht mehr wegzudenken.
Später machte Gunhild, die ihren Vornamen eigentlich nicht so mochte, da ihre Umgebung stets den Namen irgendwie verniedlichte oder abkürzte, dann erst mal ganz brav eine Lehre als Verkäuferin für Lebensmittel. Auch hier war die dralle Blondine schnell bekannt für ihr vorlautes Mundwerk und ihre aufreizende Art.
Gundi, so wurde sie genannt, glänzte als Amateurkünstlerin bei diversen Betriebsfeiern. Sie war Hauptakteurin, Moderatorin, Organisatorin, Sängerin, Zauberin und Kaltmamsell – alles, was den Erfolg des Abends irgendwie sichern konnte, wurde von ihr gemeistert.
Es war ein Glücksfall, als sie den Aushang in der Betriebskantine des Kombinatsbetriebes sah. Die Kombinatsleitung wollte ein Betriebskabarett aufbauen und suchte Interessenten. Das war Gundis Chance. Sie meldete sich umgehend, wurde mit weit geöffneten Armen begrüßt und bekam großzügige Unterstützung zugesagt. Gundi sang, plapperte und tänzelte mit ihren Mitspielern dann jahrelang bei den großen Feiern und Festen auf der Bühne.
Sie hoffte, dass einmal im Publikum ein wirklicher Theatermensch sitzen würde und ihr Talent erkannte um sie zu den wahren großen Bühnen zu holen.
Aber ihre Hoffnung wurde nicht erfüllt. Gundi hatte sich inzwischen verheiratet. Sie war jetzt gut situiert, fuhr einen Wartburg, hatte Haus, Hof und Garten. Bald stellte sich auch Nachwuchs ein. Ein kleiner Junge, der von ihr gehätschelt und verwöhnt wurde. Sie war jetzt Hausfrau. Als solche kümmerte sie sich um ihr trautes Heim. Alles war eigentlich ganz gut gelaufen bisher. Aber Gundi juckte es unter den Fingern. Sie wollte mehr als nur hier in einem Vorort im Berliner Speckgürtel zu sitzen und auf ihren Mann zu warten. Erschwerend kam hinzu, dass sie sich mit der Schwiegermutter arrangieren musste, die im Nachbarhaus lebte und ständig bei ihr ein und aus ging. Das ganze wuchs sich zu einem zähen Kleinkrieg aus. Gundi schnappte sich ihre Siebensachen und floh aus der Idylle.
Zurück in Berlin war plötzlich alles anders. Die Wende hatte die alten Strukturen hinweggefegt. Kultur war plötzlich etwas sehr Profanes geworden. Der Zwang zum Geldverdienen bestimmte nun jegliche Aktivität.
Gundi war verwirrt. Irgendwie musste sie ja auch überleben. Jobs gab es nur noch wenige. Speziell im kulturellen Bereich war überall nur noch Jammern und Klagen angesagt. Die Kommunen waren chronisch klamm und konnten sich den Luxus eigener Kulturbereiche kaum noch leisten. Im Haifischbecken der kommerziellen Kunst- und Kulturmacher traute sich Gundi noch nicht so richtig mit zu schwimmen.
Eine alte Freundin aus ihrer Kaufhallenzeit brachte sie schließlich bei der Volkssolidarität unter. Hier durfte sie sich als Organisatorin für Konzerte und Veranstaltungen profilieren. Sie knüpfte Kontakte zu alten Schlagerstars und zu Musikkapellen, erstellte bunte Abende mit Operettennummern und Musicals und kümmerte sich um den Ticketverkauf.
Gundi die sich inzwischen Kowi nannte, da sie sich mit Gundi immer schwerer tat, also Kowi, fühlte sich wie ein Eichhörnchen im Laufrad. Sie entfachte einen Aktionismus, der den alten Herrschaften, die das Sagen in der Volkssolidarität hatten, suspekt wurde. Die Konzerte wurden immer größer, die Organisation der ganzen Programme immer diffiziler, da sie inzwischen mit ganz anderen Budgets auch wirkliche Stars der Szene engagierte.
Sie war eine heimliche Größe des neuen Kulturbetriebs geworden. Es bereitete ihr eine große Genugtuung, wenn Sängerinnen und Sänger anriefen und nach Engagements fragten.
Kowi spürte aber auch, wie sie innerlich ausbrannte. Der permanente Aktionismus hatte seinen Preis. Dieser Preis war ihre Gesundheit. Sie lebte nur noch für ihre Konzerte und Veranstaltungen. Alles andere ordnete sich irgendwie unter. Eigentlich war sie von robuster Natur. Sie war groß und stattlich, verfügte über einen stets rosig frisch schimmernden Teint, der jedem Beobachter suggerierte, dass sie vor Energie nur so strotzte. Aber unter dieser perfekten Oberfläche ging eine stetige Aushöhlung ihrer Reserven voran.
Irgendwann war es dann auch so weit. Kowi fiel einfach um. Sie lag für acht Monate in einer Rehaklinik für Burn-Out-Patienten. Als sie aus der Klinik entlassen wurde, war von der alten Kowi nicht mehr viel übrig. Eine etwas in die Breite gegangene Frau mit müdem Blick und fahler Haut saß jetzt zu Hause vor dem Fernseher und blickte etwas teilnahmslos aus dem Fenster. Alles fiel ihr schwer. Sie haderte mit ihrem Schicksal und war auf dem besten Wege, eine verbitterte und verhärmte Frührentnerin zu werden.
Doch dann hatte sie eine Begegnung der besonderen Art. Eine gute Bekannte gab ihr den Tipp, sich doch bei einem echten Baron im Brandenburgischen zu bewerben. Der suche gerade ein solches Organisationsgenie wie sie und es wäre auch nicht so sehr stressig. Sie müsse allerdings dann auch dort draußen wohnen. Die Bewerbung laufe über das Arbeitsamt von Oranienburg.
Kowi wollte nur noch weg aus der lauten und viel zu schnellen Stadt Berlin. Sie griff diese Chance wie ein Ertrinkender den rettenden Ring. Mit unglaublicher Geschwindigkeit stellte sie eine dicke und aussagekräftige Mappe zusammen, die sie einreichte. Dann wurde sie nach Gut Lankenhorst eingeladen zur Vorstellung. Als sie den langen Parkweg zum Gutshaus entlang lief, die Vögel in den Bäumen trällern hörte und den scharfen Geruch frischer Landluft tief in sich einzog, wusste sie, dass dieser Ort hier für sie gemacht worden war. Hier wollte sie bleiben.
VII
Lankenhorst - Das Alte Gutshaus
Montag, 23. Oktober 2006
Es war noch sehr früh an diesem nebligen Wochenanfang. Clara-Louise Marheincke von Quappendorff war ungewöhnlich früh auf Gut Lankenhorst eingetroffen. Schuld war ihr Billigflug. Der landete bereits um 4.30 Uhr in Tegel. Von Tegel über die Autobahn hier heraus war es nur knapp eine Stunde. Die Straßen waren um die frühe Tageszeit noch frei. Nur einige Schwerlastzüge waren bereits unterwegs, aber die störten nicht sehr.
Die Mittvierzigerin hatte ihren Wagen auf dem Langzeitparkplatz stehen gelassen und konnte so ohne Probleme losfahren. Eine Woche Kurzurlaub auf den Azoren lag hinter ihr. In ihren Ohren rauschte immer noch der Atlantik und wenn sie die Augen schloss, sah sie die üppige Vegetation von Sao Miguel, der Hauptinsel dieses verlorenen Paradieses mitten im Ozean.
Sie hatte es so eingerichtet, dass sie direkt nach dem Urlaub hinaus nach Lankenhorst fahren konnte. So verlängerte sich der Urlaub noch um ein paar Tage. Viel zu selten nur sah sie ihren Vater. Ein aufwändiger Beruf und familiäre Verpflichtungen ließen nur ein sehr knapp bemessenes Freizeitmanagement zu. Clara-Louise war in der Modebranche tätig. Sie hatte den Stoffeinkauf für mehrere Modehäuser zu koordinieren und engagierte sich auch noch als freischaffende Textildesignerin. So entwarf sie Muster für Kleider und Aufdrucke für T-Shirts und Hosen. Das machte ihr Spaß und bezahlt wurde sie dafür auch ausreichend.
Drei inzwischen bereits flügge gewordene Kinder benötigten ebenfalls noch viel Zeit und Nerven. Nur gut, dass Georg, ihr Mann, ein freischaffender Journalist, viel mehr Zeit hatte für die Familie als sie. Er kümmerte sich um die Hausaufgaben der Kinder, besorgte den größten Teil