auf dem Weg, um mit Reinhold Kahlmann zu sprechen, der zurzeit im Innendienst arbeitete.
Rudi hatte sein Laptop auf den Knien, um die Daten des Falls, wie er sich uns nach den bisherigen Erkenntnissen darstellte, parat zu haben.
„Auffällig ist tatsächlich, dass die vier verschwundenen Ermittler innerhalb von wenigen Tagen wie vom Erdboden verschluckt waren”, stellte Rudi fest. „Man hat nichts gefunden, keine Spuren eines Kampfes, keine Hinweise darauf, dass die Betreffenden vielleicht untergetaucht sind.”
„Eigentlich wissen wir nichts”, erwiderte ich. „Alles, was wir von Herr Hoch bekommen haben, sind Vermutungen.”
„Begründete Vermutungen”, wandte Rudi ein. „Dass das alles etwas mit dieser alten Geschichte zu tun hat, ist schon sehr wahrscheinlich, da es wirklich das einzige gemeinsame Merkmal der Opfer ist.”
„Vielleicht gibt es noch ein anderes, das wir im Moment nur noch nicht kennen, Rudi.”
„Ich habe hier die dienstlichen Lebensläufe der vier Verschwundenen mal durchgesehen. Nach ihrer Zeit in Hannover, haben die nie wieder zusammengearbeitet. Und vorher gab es auch keine Berührungspunkte. Ich habe natürlich jetzt nur die dienstlichen Stationen checken können...”
„Rufen wir Dr. Lin-Tai Gansenbrink an”, meinte ich. „Das IT-Genie unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg kann den Rest übernehmen und wird sicher noch herausfinden, ob irgendjemand aus dieser Gruppe mit einem anderen vielleicht zusammen im Kindergarten oder auf derselben Entbindungsstation war.”
„Ich habe Lin-Tai schon gemailt und eine kleine Wunschliste mitgeschickt.”
„Wunschliste?”, echote ich.
„Nenn es Arbeitsaufträge.”
„Das nächste, was wir abchecken müssen, ist, ob der Unfall von Theo Görremann wirklich ein Unfall war”, sagte ich. „Förnheim soll sich darum kümmern und alle Beweise nochmal unter die Lupe nehmen.”
Friedrich G. Förnheim war der Naturwissenschaftler des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts aus Quardenburg, dessen Dienste uns bei unseren Ermittlungen zur Verfügung standen.
„Dann könnte sich Dr. Wildenbacher auch mal die Krankenakte von Gregor Bellhoff ansehen”, meinte Rudi.
„Du meinst, da könnte etwas faul sein?”
„Wir sollten das zumindest ausschließen können - und wer weiß, vielleicht findet Wildenbacher ja etwas.”
Dr. Wildenbacher war der Gerichtsmediziner der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst. Vermutlich hatten bei Gregor Bellhoff keine weitergehenden Untersuchungen stattgefunden, da ja bisher nicht der Verdacht bestanden hatte, dass Bellhoff an irgendetwas anderem als an den Folgen seiner Krankheit gestorben war.
Während der Fahrt telefonierte ich über die Freisprechanlage mit dem Gerichtsmediziner Dr. Wildenbacher.
„Das wird nicht so einfach, Harry”, sagte er. „Es gibt so etwas wie eine ärztliche Schweigepflicht, auch wenn das für viele Ermittler immer wieder ein Fremdwort zu sein scheint und man den Ärzten vorwirft, sie seien nicht kooperativ.” Wildenbacher, der mit einem unverkennbaren bayerischen Akzent sprach, atmete tief und auch durch das Telefon deutlich hörbar durch. „Wir brauchen das Einverständnis der Angehörigen. Und je nachdem, wie kooperativ die sind, kann ich was für euch tun.”
„Wir kümmern uns darum”, versprach ich.
Wildenbacher hatte Recht. Kein Richter hätte angesichts des Standes der Ermittlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Schweigepflicht aufgehoben, die im Übrigen auch für Patienten galt, die bereits verstorben waren. Und dass Dr. Wildenbacher sich selbst um eine Kooperation mit den Angehörigen bemühte, hielt ich für keine vielversprechende Idee. Wildenbacher hatte manchmal den Charme eines Schlachters und seine direkte bayerische Art war nicht unbedingt jedermanns Sache. Möglicherweise traf er in einer so sensiblen Sache schlicht und ergreifend nicht den richtigen Ton.
„Ich würde euch ja anbieten, dass ich mich selbst darum kümmere”, meinte er dann. „Aber zurzeit habe ich hier ein paar Altlasten abzuarbeiten, die dringend erledigt werden müssen.”
„Mit Altlasten meinen Sie vermutlich Leichen.”
„Das haben Sie gesagt, Harry. Halten Sie mich jetzt nicht für unsensibel, aber der Tag hat nunmal nur vierundzwanzig Stunden.”
„Sie können ja trotzdem mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen, bis wir weitergehende Befugnisse haben.”
„Sie meinen - ein Gespräch von Arzt zu Arzt?”
„Natürlich unter Beachtung der Schweigepflicht. Aber alles, was offiziell in den Akten steht, in der Zeitung zu lesen war oder sonstwie bereits die Runde macht, kann natürlich auch Gegenstand eines solchen Gesprächs sein. Und vielleicht erfahren Sie zwischen den Zeilen auch etwas, ohne schon in die Einzelheiten gehen zu müssen!”
„Ich sehe zu, was ich tun kann”, sagte Wildenbacher.
„Gut. Rufen Sie uns wieder an, sobald sich auch nur der kleinste Anhaltspunkt dafür ergeben könnte, dass unser Kollege an irgendetwas anderem als den Folgen seiner Erkrankung gestorben ist.”
„Gut.”
Ich beendete das Gespräch mit Wildenbacher. Anschließend rief ich Förnheim an, um mit ihm den Unfall von Theo Görremann durchzusprechen.
Rudi beteiligte sich auch daran. Der Unfall war schließlich von der Polizei in Hannover aufgenommen worden. Die Fahndung nach dem unfallflüchtigen Wagen, der Theo Görremann mit voller Wucht erwischt hatte, war bislang ergebnislos geblieben.
„Es müsste keine Schwierigkeit sein, alle notwendigen Daten zu bekommen”, meinte Förnheim in seinem gestelzten hamburgischen Akzent. „Ich nehme nicht an, dass da überhaupt weitergehende Untersuchungen angestellt wurden.”
„Für uns ist die Frage nach wie vor offen, was Görremann in Hannover wollte”, sagte ich.
„Vielleicht ein paar alte Freunde besuchen”, meinte Förnheim.
„Ja, so etwas in der Art hatten wir uns auch schon gedacht”, meinte ich.
7
Wir fuhren auf direktem Weg zu Kahlmanns gegenwärtiger Dienststelle in Reichenberg. Dienststellenleiter Albrecht Martini, ein korpulenter Mann von Mitte vierzig, empfing uns in seinem Büro. Der dunkle Knebelbart ließ sein Gesicht trotz des Doppelkinns sehr markant erscheinen. Kriminaldirektor Hoch hatte schon mit ihm gesprochen und auch wir hatten bereits während der Fahrt Telefonkontakt mit ihm.
„Ihr