wie möglich mit dem Kollegen Reinhold Kahlmann sprechen.”
Albrecht Martini blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. „Er hat heute eigentlich frei, Sie wissen ja: die vielen Überstunden. Und wenn es dann mal etwas ruhiger ist, muss man die Gelegenheit nutzen, davon etwas abzufeiern.”
„Wir kennen das Problem aus eigener Erfahrung”, bestätigte ich.
„Allerdings habe ich ihn heute Morgen telefonisch erreicht und er hat zugesagt, zu dem abgemachten Termin, hier her zu kommen”, sagte Martini.
„Und jetzt?”
„Er ist eigentlich nie unpünktlich. Ganz im Gegenteil. Kurz bevor Sie kamen, habe ich versucht, ihn zu erreichen, aber er ist nicht an den Apparat gegangen.”
„Ich hoffe nicht, dass wir einen fünften verschwundenen Ermittler haben”, meinte Rudi.
Martinis Lächeln wirkte etwas angespannt. „Nein, bestimmt nicht. Ich könnte mir denken, dass er einfach irgendwo im Stau steht und nicht telefonieren kann.”
„Vielleicht können Sie uns ja ein paar Fragen über Reinhold Kahlmann beantworten”, schlug ich vor.
„Natürlich.” Albrecht Martini lehnte sich in seinem Bürosessel ein Stück zurück. Er faltete die Hände vor dem Bauch und drehte nervös die Daumen umeinander. Wieso er so nervös war, wollte mir nicht einleuchten. Schon gar nicht, wenn mit Reinhold Kahlmann tatsächlich alles in Ordnung war und er sich verabredungsgemäß auf dem Weg nach Reichenberg befand, das in einem mehrstöckigen, modern wirkenden Gebäude untergebracht war, umgeben von ausreichend Parkmöglichkeiten.
„Hat Herr Kahlmann Ihnen gegenüber jemals seine Zeit als Kriminalhauptkommissar in Hannover erwähnt?”, fragte ich.
„Nein, wir haben explizit nie darüber gesprochen. Er war, bevor er hier anfing in einer anderen Abteilung als Spezialist für EDV tätig - auch im Innendienst versteht sich. Dass er früher mal im Außendienst war, ist mir natürlich durch die Personalakten bekannt.”
„Auch, dass er mal Teil einer Sondereinheit war, einer speziellen Task Force, die für die Ermittlungen gegen ein kriminelles Netzwerk namens Liga eingesetzt wurde und es nach einem Jahr Ermittlungsarbeit tatsächlich auch geschafft hat, diese Organisation zu zerschlagen?”
Albrecht Martini runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Nein, darüber habe ich nichts gelesen. Und das steht meines Wissens auch nicht in den Akten.”
„Könnten Sie das überprüfen?”
„Sicher.”
Martini rief über die Sprechanlage seine Sekretärin herein, die ihm wenig später die Personalakte von Reinhold Kahlmann zu holen. Das dauerte ein paar Minuten. „Wir könnten natürlich auch die Online-Version über die Personalverwaltung des BKA aufrufen, aber das könnten Sie als Kriminalinspektor erstens auch selbst tun...”
„Das haben wir schon”, erklärte Rudi. „Allerdings nur zu einer kurzen Durchsicht.”
„...und zweitens zählt die Erfahrung in einer solchen Sondereinheit im Außendienst zu den Fähigkeitsnachweisen. Und die müssen schriftlich vorliegen.” Die Sekretärin kam inzwischen herein und gab ihm die Akte. „Jeder Fortbildungskurs, jede Sonderausbildung am Schießstand oder in Forensik muss eigentlich hier drin sein.” Martini blätterte die Akte durch. „Ist sie aber in diesem Fall nicht. Zumindest nicht, was die Tätigkeit in dieser damaligen Task Force betrifft.”
„Herr Kahlmann hat dafür eine Belobigung bekommen und ist außerdem in eine höhere Gehaltsstufe befördert worden”, stellte Rudi fest.
„Keine Ahnung”, stellte Martini fest. „Damit hatte ich nichts zu tun.” Er runzelte die Stirn. Dann blickte er erneut auf die Uhr. Langsam schien ihn die Verspätung von Reinhold Kahlmann auch zu beunruhigen. „Eigenartig ist das schon”, gab er dann zu. „Ich meine, andere motzen ihre Akte mit allem Möglichen auf, wenn sie sich für eine Stelle bewerben. Da quillt so ein Ordner dann mit besonderen Fähigkeitsnachweisen nur so über. Sie ahnen ja gar nicht, was man da alles zusätzlich tun kann!”
„Und jemand wie Kahlmann, der eigentlich wirklich etwas Bedeutendes in dieser Hinsicht vorzuweisen hätte, scheint keinen Wert darauf zu legen”, meinte ich.
„Wir haben seine Akte direkt aus von der letzten Dienstelle bekommen.”
„Dann war der Nachweis schon dort nicht vorhanden”, schloss ich.
„Sowas ist eigentlich nicht möglich”, stellte Martini klar, dessen Vertrauen in die Personalverwaltung des BKA offenbar unerschütterlich war. „Und wenn da ein Fehler vorgekommen wäre, dann hätte er das doch korrigieren können!”
Aber genau das hatte Reinhold Kahlmann aus irgendeinem Grund nicht gewollt. Dass jemand versuchte, einen Verweis oder Ähnliches aus seinen Akten zu entfernen, konnte ich zumindest nachvollziehen. Und es gab ja auch eigentlich genug Sicherheitsmaßnahmen, die so etwas unmöglich machen sollten. Aber das jemand etwas verschwieg, womit andere eher geprahlt hätten, als es zu verbergen, war schon sehr ungewöhnlich.
Genauso ungewöhnlich wie etwas anderes. Ein erfolgreicher Fahnder arbeitete jetzt im Innendienst. Auch dafür musste es einen Grund geben. In manchen Fällen waren traumatische Erlebnisse während eines Einsatzes ein Grund dafür, weshalb ein Kollege nicht mehr in den Außendienst zurück wollte. Ob es so etwas bei Reinhold Kahlmann der Fall gewesen war, ging zumindest aus den Akten nicht hervor. Dass sein sehr erfolgreicher Einsatz gegen die Liga damit zu tun hatte, erschien jedoch andererseits kaum wahrscheinlich, zumal diese Organisation ja auch mehr oder weniger restlos zerschlagen worden war und Kahlmann eigentlich auch nicht mit irgendwelchen Racheakten rechnen musste.
Das Telefon auf Herr Martinis Schreibtisch klingelte.
Der Dienststellenleiter nahm das Gespräch entgegen.
„Reinhold? Wir warten schon auf Sie!”, stieß Martini dann hervor.
Wir konnten natürlich nicht hören, was Kahlmann ihm zu sagen hatte. Es stand für mich allerdings inzwischen fest, dass zu dem Fragenkatalog, den wir ihm stellen wollten, in den letzten Minuten noch ein paar weitere hinzugekommen waren.
Martinis Gesicht wirkte etwas entspannter, als er den Hörer wieder aufgelegt hatte. „Herr Kahlmann fragt, ob es Ihnen etwas ausmachen würde, wenn Sie sich zu seiner Privatadresse bemühen.”
„Da wären wir in Kürze wohl ohnehin aufgetaucht, wenn der Kollege Kahlmann sich nicht noch gemeldet hätte”, sagte Rudi.
„Gibt es einen besonderen Grund dafür?”, fragte ich.
„Kahlmann spielt in seiner Freizeit Tennis. Vor ein paar Tagen hat er sich das rechte Fußgelenk gestaucht. Heute Morgen hat ihn seine Frau zum Arzt gebracht, weil er starke Schmerzen hatte. Er wird in den nächsten Tagen nicht in der Lage sein, das Gaspedal eines Wagens zu treten und da seine Frau jetzt dringend ins Büro muss, wäre er Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihn zu Hause besuchen könnten.”
„Könnten wir”, sagte ich.
„Er hatte übrigens sein Handy vergessen. Deshalb war er die letzten anderthalb Stunden nicht erreichbar.”
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