Isolde Kakoschky

Lenchens Baby


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auch die Couch«, antwortete Alexander. Er war nicht anspruchsvoll.

      »Och nö, die bauen wir jetzt nicht erst auf«, meinte Franziska. Das Sofa besaß zwar eine Schlaffunktion, dazu mussten jedoch der Tisch und der Sessel weichen. So legte sie ihm die Alternativen dar. »Entweder du pennst in Michaels Bett neben mir oder du nimmst mit dem Klappbett von Martin im Arbeitszimmer vorlieb.« Alexander grinste. »Also, Michaels Bett entfällt. Nicht, dass er mal kurz heim kommt und mir was über den Schädel haut. Das Klappbett ist in Ordnung.«

      »Na, dann komm.« Franziska ging voraus, um das Nachtlager für ihren Bruder herzurichten.

      »Wo treibt sich eigentlich mein Schwager rum?«, brachte Alexander die Sprache wieder auf Michael.

      »Als wir am Nachmittag telefoniert haben, war er in Bremen«, gab Franziska Auskunft.

      »Er ist schon ein wahrer Globetrotter«, erwiderte Alexander.

      Da sagst du was, dachte Franziska. Aber sie hatte es ja nicht anders gewollt. Ein LKW-Fahrer sollte es sein. Nur aus diesem Grund hatten sie sich überhaupt kennengelernt. Etliche Jahre fuhr er immer mit der Kirche ums Dorf, wie Michael es gerne sagte. Nach der Wende zog es viele Fahrer sofort in den Fernverkehr, doch er tat den Schritt erst, als auch Martin aus dem Gröbsten raus war. Seitdem kurvte er durch die Länder in Mitteleuropa. Anfangs, noch bei einer anderen Firma als jetzt, führten ihn die Fahrten oft nach Skandinavien. Er hatte den arktischen Winter in Norwegen erlebt und die weißen Nächte in Schweden. Noch heute schwärmte er von den Überfahrten mit der Fähre und der herrlichen Landschaft im Land der tausend Seen. In der letzten Zeit war es immer seltener geworden, dass er schöne lange Touren ins Ausland bekam, dafür wurden der Stress und der Termindruck von Jahr zu Jahr schlimmer. Wenigstens kam er jedes Wochenende heim. Noch ein paar Jahre, dann winkte der verdiente Ruhestand.

      »Ach, der Micha macht das schon«, meinte Alexander und legte ihr mit einer brüderlichen Geste die Hand um die Schulter. Er hatte die Gedanken seiner Schwester wohl erraten.

      »Lass uns noch einen Absacker trinken und dann schlafen«, schlug Franziska vor und goss jedem einen Likör ein. »Der Termin ist zwar erst um zehn, aber ausgeruht fühlt man sich einfach besser.« So richtig wohl war ihr bei dem Gedanken an den morgigen Tag doch nicht.

      

       2

      

      

      Leise öffnete Franziska die Tür zu ihrem Arbeitszimmer und blickte in das schläfrige Gesicht ihres Bruders.

      »Guten Morgen, du Schlafmütze!«, lachte sie. »Es ist nach acht, was hältst du von Frühstück?«

      Ruckartig sprang Alexander auf. »Was, so spät schon? Lass mir fünf Minuten im Bad, dann sitze ich am Frühstückstisch.«

      Wie gut, dass wir die Variante Sofa gestern gleich ausgeschlossen haben, dachte Franziska. Dann hätte sie Alex noch eher aus dem Bett werfen müssen. Die kleine Küche war zwar mit praktischen Einbaumöbeln bis zur letzten Ecke optimal eingerichtet, bot aber keine Möglichkeit, um darin zu essen. Alle Mahlzeiten wurden im Wohnzimmer eingenommen. Als die Kinder noch zuhause wohnten gab es dafür einen extra Esstisch, doch inzwischen war der einem kleinen Schrank gewichen und gegessen wurde am Couchtisch. Bei ausgeklappter Liegefläche fehlte allerdings auch dafür der Platz. Manchmal wunderte sich Franziska, wie sie all die Jahre mit zwei Kindern in diesen sechzig Quadratmetern gelebt hatten, am Anfang noch mit Ofenheizung. Aber immer wieder erinnerte sie sich daran, wie glücklich sie beim Einzug gewesen waren. Also arrangierten sie sich auch später damit. Und nun, nur noch zu zweit, reichte es ihnen allemal. Seit Martins Auszug besaß sie den Luxus eines Arbeitsund eben auch Gästezimmers.

      »So, da bin ich.« Alexander ließ sich auf dem Sofa nieder und griff zu einem Brötchen, das er sich dick mit Wurst belegte. Er genoss sichtlich den Geschmack der Heimat.

      »Zum Frühstück brauche ich meine Marmelade«, zwinkerte ihm Franziska zu. Sie wusste ja, dass er nach wie vor Marmelade ablehnte. Den Käse hatte sie lieber im Kühlschrank stehen lassen, denn den mochte er noch weniger. Da hatte sich nichts seit ihrer Kindheit geändert.

      Zumindest liebten sie beide einen kräftigen Kaffee. Der ersten Tasse folgte eine zweite und noch eine dritte, ehe sich Franziska erhob.

      »Ich bin dann mal im Bad und bringe meine Haare in Form.« Sie war nie übermäßig eitel gewesen, das brachte ihr Beruf einst mit sich, aber ein bisschen wollte sie sich zu solchen offiziellen Terminen schon stylen. Zur klassischen Jeans zog sie eine luftige bunte Sommerbluse an und hoffte, damit angemessen gekleidet zu sein. Als sie fertig war, hatte Alexander bereits den Frühstückstisch abgeräumt und verlangte nun seinerseits noch ein paar Minuten im Bad, um die Zähne zu putzen und das TShirt gegen ein Hemd zu tauschen. Dann verließen sie gemeinsam die Wohnung.

      Alexander drückte auf die Fernbedienung und hielt seiner Schwester galant die Autotür auf. Franziska ließ sich in den weichen Ledersitz sinken und nickte anerkennend. Der metallicblaue Ford Mustang machte schon was her. Eine kleine Staubwolke aufwirbelnd schoss das Fahrzeug vom Parkplatz. Schon kurz nach dem Ortsschild hatte Alexander die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten.

      »An dir ist auch ein Rennfahrer verloren gegangen«, lachte Franziska. Sie hatte einmal eine frühere Schulkameradin getroffen und Carola erzählte ihr, dass ihr Bruder im Rennsport aktiv sei. Da musste Franzi gleich an Alex denken.

      »Aber so wirklich praktisch ist dein Flitzer nicht«, wandte sie ein und dachte an ihren Skoda Fabia und Michaels Audi.

      »Muss er auch nicht sein«, erwiderte Alexander. »Wir haben ja noch einen großen Kombi. Aber die Gelegenheit war so günstig, da konnte ich nicht nein sagen. Er macht einfach Spaß.«

      Der Kreisverkehr stoppte den Geschwindigkeitsrausch und wenige Minuten später erreichten sie schon die Stadt im Tal der Wipper.

      Während sie sich dem Zentrum näherten, entdeckte Franziska am gegenüberliegenden Flussufer noch freie Parkplätze.

      »Dort kannst du das Auto abstellen«, lotste sie ihren Bruder durch die engen Gassen. »Dann sind es nur noch ein paar Schritte bis zur Notarin.«

      Als sie um die Ecke bogen, kamen ihnen von der anderen Seite drei Personen entgegen. »Na, was sagt man denn

      dazu, perfektes Timing!«, flüsterte Franziska ihrem Bruder zu.

      Alexander begriff sofort. Während Franzi die junge Familie, die nun ihr Elternhaus kaufen würde, schon mehrfach während der Besichtigungstermine mit dem Makler gesprochen hatte, war es für ihn das erste Aufeinandertreffen.

      »Hallo, Familie Borkhof !« Franziska streckte den Dreien ihre Hand entgegen. »Das ist mein Bruder, Alexander Zandler«, wies sie auf Alex. »Und wer bist du denn?«, beugte sie sich zu den kleinen Jungen zwischen Annika und Heiko Borkhof hinunter.

      »Das ist unser Sohn Lukas«, übernahm Annika Borkhof die Antwort. »Wir mussten ihn mitnehmen«, fügte sie sofort entschuldigend hinzu. »Er kommt nächste Woche zur Schule. Aus dem Kindergarten ist er dadurch schon raus. Wir haben ja Urlaub. Aber heute fand sich keiner, der ihn am Vormittag betreuen konnte.«

      »Ach, das ist sicher kein Problem«, erwiderte Franziska. Sie ärgerte sich, dass sie nichts für den Jungen in ihrer Tasche hatte. Normalerweise fand sich immer etwas zum Spielen und zum Naschen in ihrer großen »Wohntasche«, wie sie das geräumige Teil nannte. Ihr Fränzchen wusste das schon ganz genau. Doch heute brauchte sie nichts außer ihren Papieren und etwas Geld, da hatte sie sich für die kleinere Umhängetasche entschieden.

      Sie betraten die Räume der Geschäftsstelle, wo sie sogleich von der Notarin begrüßt wurden: »Guten Tag, Frau Gronnert, Herr Zandler, guten Tag, Familie Bork-

      hof! Ich darf Sie direkt in das Beratungszimmer bitten. Und du, junger Mann«, sie beugte sich zu Lukas herunter, »bleibst doch bestimmt eine Weile hier bei Frau Schmidt.«

      Die Sekretärin lächelte dem Kleinen zu.