an der Längsseite des Tisches angeordneten Stühle, während sie sich an der Stirnseite niederließ. »Bitte halten Sie zur Feststellung Ihrer Identität die Personalausweise bereit.« Nachdem das erledigt war, rückte sie ihre Brille zurecht.
»Ich werde Ihnen nun den Inhalt des Kaufvertrages vollständig verlesen.« Sie begann: »Heute erschienen vor mir in den Räumen der Geschäftsstelle in Hettstedt: Frau Franziska Gronnert und Herr Alexander Zandler, nachstehend Verkäufer genannt, sowie Herr Heiko Borkhof und dessen Ehefrau, Frau Annika Borkhof, nachstehend Käufer genannt.«
Franziska lehnte sich an den gepolsterten Stuhl und ließ den Text an sich vorüberrauschen. Sie wusste, dass er insgesamt elf eng beschriebene Seiten umfasste, die sie mehrfach selbst gelesen hatte. Mit diesem Vertrag schloss sich ein großes Kapitel ihres Lebens. Alexander griff nach Franziskas Hand und drückte sie sanft.
Das letzte Blatt lag nun vor der Notarin. Sie zitierte: »Die Niederschrift wurde den Erschienenen von der Notarin vorgelesen, von ihnen genehmigt und unterschrieben.«
Sie blickte auf. »Alles in Ordnung?« Von allen kam ein deutliches »Ja«.
»Dann bitte ich Sie, auf der letzten Seite nacheinander mit Vorund Zunamen zu unterschreiben.« Sie schob Franziska die Akte hin.
Franziska spürte, wie ihr Herz schneller pochte, wie ihr ein wenig die Finger zitterten. Dann setzte sie ihren Namenszug auf das Blatt. Alexander tat es ihr gleich und reichte den Vertrag über den Tisch zu Heiko Borkhof. Nachdem auch Annika unterschrieben hatte, setzte die Notarin als Letzte ihr Unterschrift darunter.
»Damit ist der Vertrag geschlossen«, fasste sie zusammen. »Die Kopien werden Ihnen per Post zugeschickt. Für Sie«, ihr Blick ging zu Alexander und Franziska, »ist mit dem Geldeingang auf Ihren Konten die Sache erledigt. Das sollte in etwa vier bis sechs Wochen der Fall sein. Die Finanzierung war ja abgeschlossen.«
Annika und Heiko nickten.
»Und Sie, Familie Borkhof, bekommen dann Post vom Grundbuchamt und vom Finanzamt. Ich gratuliere Ihnen zum Kauf Ihres Hauses und wünsche Ihnen alles Gute.« Sie erhob sich und reichte allen Beteiligten noch einmal die Hand, ehe sie die Tür öffnete.
»Guckt mal, Mama, Papa, ich habe unser Haus gemalt!«, kam ihnen Lukas sofort entgegengesprungen.
War Franzi eben noch etwas betrübt gewesen, jetzt huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie wünschte nichts mehr, als dass dieser kleine Junge dort ebenso froh und glücklich aufwachsen würde, wie sie und Alex es erlebt hatten. Sie verließen das Gebäude und blieben vor der Tür noch einmal auf dem Bürgersteig stehen.
»Alles Gute für euch!« Franziska drückte Annika fest die Hand.
»Ich danke dir, ich bin ja so glücklich!«, gab Annika zurück.
»Zieht ihr bald ein?« Sie hatte sich mit den beiden schon während der ersten Besichtigung auf das einfachere Du geeinigt. Und jetzt, außerhalb der Amtsräume, wollten sie das auch beibehalten.
»Erst nach der Einschulung«, antwortete Heiko anstelle seiner Frau. »Und dann wollen wir gleich noch vor dem Winter das Dach neu decken.«
»Ja, das hatte unser Vater auch immer vorgehabt«, erwiderte Alexander. »Aber zumindest hat er es all die Jahre in Ordnung gehalten. Rein geregnet hat es nie. Wenn ein Ziegel lose war, hat er ihn sofort ersetzt. Da liegen noch welche hinten im Garten. Doch die werdet ihr dann wohl nicht mehr brauchen.« Auch er hatte sich direkt dem Duzen angeschlossen.
Noch einmal verabschiedeten sich alle mit Handschlag.
»Vielleicht sieht man sich ja mal gelegentlich«, meinte Franziska. Da sie nur zehn Kilometer entfernt wohnte, fuhr sie oft in die Stadt ihrer Kindheit.
Sie blickten den dreien hinterher und wollten schon zum Auto gehen, als Alexander seine Schwester festhielt.
»Was hast du heute noch vor?«
»Nichts weiter, ich habe Urlaub.«
»Dann würde ich gerne einen Stadtbummel machen. Es ist herrliches Wetter und ich war seit Ewigkeiten nicht mehr zu Fuß hier. Gibt es die alte ›Flora‹ noch?«
Franziska nickte. »Klar, der Laden heißt noch so und ist noch an derselben Stelle.«
»Dann kaufen wir nachher ein paar Blumen und fahren zum Friedhof. Aber erst lass uns ein Stück laufen.«
Sie wandten sich vom Wipperufer ab und gingen Richtung Markt. In der alten Durchfahrt des Saigertors blieb Alexander stehen. Wie so viele, die längere Zeit nicht in der Stadt gewesen waren, brachte er seine Verwunderung zum Ausdruck.
»Und hier ist einmal der gesamte Fahrverkehr durchgegangen! Man kann es sich kaum noch vorstellen.« Franziska stimmte ihm zu. »Da hast du recht. Der Markt ohne den Durchgangsverkehr ist eigentlich ganz schön, auch wenn er durch die fehlenden Häuser hier hinten ein bisschen sein Gesicht verloren hat.« Sie hatte bei den Bildern vom Vater auch alte Postkarten aus Hettstedt gefunden und die Ansichten verglichen.
»Aber der Rest sieht schon noch so aus, wie in unserer Kindheit«, meinte Alexander, »oder wenigstens fast«, schränkte er sofort ein. Denn er erkannte beim Weiterlaufen, dass die Häuser zwar noch an der alten Stelle standen, sich aber zum Teil schon rein äußerlich, auf jeden Fall aber innerlich, verändert hatten. Naja, dachte er, schon die damals berühmte Gruppe »Karussell« sang einst in ihrem Song »Als ich fortging«: Nichts ist unendlich… nichts ist von Dauer…
»Siehst du, die ›Flora‹ gibt es noch«, riss ihn Franziska aus seinen Gedanken. »Wollen wir gleich Blumen kaufen
oder erst was essen?« Der Blick zur Uhr an der Kirche zeigte ihnen, dass es auf Mittag zuging.
»Gute Idee!«, stimmte ihr Alexander zu. »Wir drehen die Marktrunde fertig und gehen dann rüber zum Ratskeller.«
Eine Viertelstunde später saßen die Geschwister an einem Tisch und blätterten durch die umfangreiche Speisekarte. Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatten, nippte Franziska an ihrer Weinschorle.
»Weißt du noch, als wir damals im Ratskeller waren mit Onkel Pierre und Tante Charlotte?« Versonnen blickte sie in eine imaginäre Weite. Pierre war im Krieg als Gefangener oder Zwangsarbeiter in Hettstedt gewesen, so genau wusste sie das gar nicht mehr. Entgegen aller Verbote hatte sich zwischen ihm und ihrem Opa Fritz eine enge Freundschaft entwickelt. Drei Jahrzehnte später unternahm Pierre mit seiner Frau eine Reise in den ostdeutschen Harz und stand eines Tages vor ihrer Tür. Der Opa war leider schon tot, doch Oma Klara und ihren Vater, den Pierre immer »meine kleine Franzchen« nannte, konnte er noch einmal in die Arme schließen.
»Na klar!«, bestätigte Alexander sofort. »Das war doch der Hammer damals, als die beiden plötzlich aufgetaucht sind.« Er erinnerte sich lebhaft an die Tage mit dem französischen Besuch. »Du hast gebettelt, dass wir beide mitdurften zum Essen. Und ich habe mich ausnahmsweise gut benehmen müssen.« Alex griente. »Mann, ist das lange her. Das war in den Siebzigern.« Er rechnete. »Also mindestens 35 Jahre. Hast du noch Verbindung?«
Franziska schüttelte traurig den Kopf. »Ich glaube, der Onkel lebt nicht mehr. Na gut, er wäre jetzt so um die Neunzig. Vor reichlich zehn Jahren kam mein Brief als nicht zustellbar zurück. Ich habe es noch einmal mit einer Weihnachtskarte versucht, das gleiche Ergebnis. Seit dem habe ich kein französisches Wort mehr zu Papier gebracht.« Vor allem des Onkels wegen hatte Franziska die französische Sprache gelernt. Schade, dass sie nie eine Verbindung zu dessen Sohn oder den Enkelkindern aufgenommen hatte.
Im richtigen Moment, ehe Franzi zu sentimental wurde, brachte der Kellner das Essen. »Lassen Sie es sich schmecken!«
Eine halbe Stunde später traten sie hinaus auf den sonnenüberfluteten Marktplatz. Alexander ließ noch einmal die Augen über all das so Vertraute schweifen, die Kirche, das Rathaus, das Bergbaudenkmal und das Kaufhaus, in dem man immer noch Klamotten erwerben konnte. Dann gingen sie hinüber zum Blumenladen, ließen einen Strauß binden und liefen zurück zum Parkplatz.
»Du kannst gleich von hier aus hoch zum Friedhof