A. F. Morland

Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten


Скачать книгу

      „Bei wem?“

      „Ich war mit Freunden zusammen. Drüben in Manhattan. Sie hatten 'ne Pechsträhne. Ich habe ihnen die Hosen ausgezogen, und weil’s so großartig gelaufen ist, habe ich hinterher eben ein bisschen gefeiert. Ist da was dabei?“

      „Du denkst wohl, die Schlauheit mit der Schöpfkelle gefressen zu haben, was?“, herrschte Murray ihn an. „Aber so clever wie du bin ich allemal noch. Ich glaube dir die Geschichte mit den fremden Männern nicht. In Brian Cusacks Budget klafft ein Loch von zehntausend Dollar. Dafür muss eine alte Frau ganz schön lange stricken, mein Lieber. Brian ist mächtig sauer auf dich, wie du dir denken kannst. Er mag Typen nicht, die ihn reinlegen. Wer könnte ihm das verdenken? Weißt du, was seine erste Reaktion war, als er erfuhr, dass du ihn bestohlen hast? ,Umlegen!‘, hat er gebrüllt. ,Legt das Schwein auf der Stelle um!‘ Aber ich konnte ihn beschwichtigen. Ich machte ihm klar, dass er nichts gewinnt, wenn er dich beseitigen lässt, dass er aber sehr wohl etwas gewinnen kann, wenn er dir dein Leben lässt, denn dann wirst du dich dafür bedanken, indem du das Geld herausrückst, um das du ihn geprellt hast.“

      Rafferty schüttelte ärgerlich den Kopf.

      „Langsam bin ich es leid, immer wieder dasselbe sagen zu müssen.“

      „Denkst du, mir geht es anders?“, knurrte Murray. „Junge, ich rate dir, nimm endlich die Zähne auseinander!“

      „Ich habe Cusack nicht bestohlen.“

      „Wer war es dann?“

      „Das weiß ich nicht!“

      „Okay, Freund. Du hast es nicht anders gewollt“, sagte Cyril Murray, und es klang so, als würde er bedauern, dass er nun Gewalt anwenden musste. Seine Männer hielten Brad Rafferty fest. Der Mann hatte keine Möglichkeit, auch nur einem einzigen Schlag auszuweichen. Er musste sie alle voll einstecken. Murray war früher Boxer gewesen. Er ließ von Rafferty erst ab, als er schrie: „Aufhören! Hör auf! Willst du mich erschlagen?“

      „Wenn es sein muss, ja!“, blaffte Murray. Er holte zum nächsten Schlag aus.

      Da brach Raffertys Widerstand.

      „Okay! Okay!“, stöhnte er. „Du hast gewonnen! Okay, ich gebe zu, die Container für mich abgezweigt zu haben.“

      „Na also“, sagte Murray zufrieden. „Warum nicht gleich?“

      Rafferty konnte nicht mehr auf seinen eigenen Beinen stehen. Wenn Murrays Männer ihn nicht gehalten hätten, wäre er zu Boden gegangen. Schwer atmend hing er zwischen ihnen.

      „Du hast das Zeug verkauft?“, fragte Murray.

      „Ja. Aber ich habe keine zehn Riesen dafür gekriegt.“

      „Wieviel denn?“

      „Sechstausend.“

      „Idiot. Ein guter Geschäftsmann wird aus dir nie.“

      „Ich wollte das Geschäft so schnell wie möglich abwickeln. Das drückt immer auf den Preis.“

      „Wo ist das Geld?“

      „Es sind nur noch fünftausend Dollar übrig.“

      „Na schön, Rafferty, und wo befinden sich die?“, wollte Cyril Murray wissen.

      „In meiner Wohnung.“

      Murray setzte ein eiskaltes Lächeln auf.

      „Das wär's also. Nun kann ich dir verraten, was Cusack mir aufgetragen hat. ,Leg ihn um, sobald er dir gesagt hat, wo sich das Geld befindet.‘ Das hat der Boss mir befohlen. Du weißt, dass sich der König von Brooklyn hundertprozentig auf mich verlassen kann. Du hättest lieber spuren sollen, dann wäre dir das hier erspart geblieben.“

      Der Bullige holte ein Springmesser aus der Tasche. Rafferty riss entsetzt die Augen auf.

      „Murray! Nein! Um Gottes willen! Das kannst du doch nicht machen!“, schrie er.

      Er kam noch einmal zu Kräften und wollte die beiden Kerle abschütteln, die ihn festhielten. Es gelang ihm nicht. Wie zwischen zwei Schraubstockbacken war er eingeklemmt.

      „Ich kann“, sagte Murray eiskalt.

      „Aber Cusack hat sein Geld doch wieder!“

      „Einen Teil davon.“

      „Den Rest beschaffe ich auch noch. Ich verspreche es.“

      „Darauf verzichtet mein Boss, wenn er dafür weiß, dass du deine Strafe erhalten hast“, sagte Cyril Murray.

      „Warte!“, schrie Brad Rafferty verzweifelt.

      Doch Murray wartete nicht ...

      Jossip Wassinski traf der Schock mit der Wucht eines Keulenschlages. New York - eine Stadt des Verbrechens! hatte ihm zu Hause in Polen einmal jemand gesagt. Man sei hier seines Lebens nicht sicher. Jede vierte Einwohner sei schon einmal überfallen worden, hieß es. Jossip hatte das alles für übertrieben gehalten. Für eine antiamerikanische Propaganda.

      Doch nun war er selbst kaum auf amerikanischem Boden, Zeuge eines kaltblütigen Mordes geworden. Er zitterte vor Entsetzen. Wie in Zeitlupe sah er Rafferty in sich zusammensinken. Dem Polen traten dicke Schweißperlen auf die Stirn.

      Ein Mord! Vor seinen Augen war ein Mord verübt worden! Ein Mensch war getötet worden! Und er hatte es gesehen, aber nicht verhindern können! In seiner Kehle war plötzlich ein schmerzhaftes Würgen. Sein Magen krampfte sich zusammen.

      Auch das war seine neue Heimat. Auch so sah sie aus. Grausam. Verdorben. Brutal. Ein Menschenleben schien hier nichts wert zu sein.

      Maria! Seine Schwester fiel ihm ein. Er sah die Verbrecher wie durch einen trüben Schleier, und er hörte ihre Stimmen, als würden sie durch dicke Daunenkissen dringen.

      „Was machen wir mit ihm?“, fragte einer der Männer.

      „Lassen wir ihn hier liegen?“, fragte der andere.

      „Werft ihn ins Wasser!“, entschied Cyril Murray.

      Jossip war wie gelähmt. Er hatte das Gefühl, umzufallen, wenn er sich jetzt umdrehte. Aber er musste weg von hier. So schnell wie möglich. Er konnte nicht am Tor stehenbleiben. Die Gangster würden den Toten in wenigen Augenblicken aus dem Lagerhaus tragen und ins Wasser werfen. Er musste zurück zu Maria. Endlich fühlte er sich dazu imstande, sich umzuwenden und zu seiner Schwester zurückzueilen.

      Sie sah den Schweiß auf seiner Stirn und die Panik in seinem Gesicht. Erschrocken weiteten sich ihre Augen.

      „Heilige Muttergottes, was ist geschehen, Jossip? Du bist weiß wie eine getünchte Wand!“

      Er legte ihr die Hand auf den Mund.

      „Ein Mann wurde ermordet“, flüsterte er. „Ich hab's gesehen ...“

      Maria Wassinski befreite sich von der Hand ihres Bruders.

      „Das müssen wir der Polizei melden“, presste sie aufgeregt hervor.

      „Wir? Die illegalen Einwanderer?“

      „Es ist unsere Pflicht, Jossip.“

      „Was geht es uns an, wenn sich hier die Ratten gegenseitig totbeißen?“

      „Du darfst nicht zusehen, wie ein Mensch getötet wird und es hinterher einfach vergessen!“

      „Wir müssen an uns selbst denken.“

      „Jossip, dies ist unsere neue Heimat. Wenn wir hier mit einem halbwegs reinen Gewissen leben wollen, dürfen wir nicht einfach weggehen, als wäre alles in Ordnung, als ginge dieser Mord uns nichts an. Er geht uns sehr wohl etwas an, denn er wurde in unserer Heimatstadt verübt, und wir sind für alles, was hier geschieht, von nun an mitverantwortlich. Wenn wir diese Verbrecher nicht schalten und walten lassen,