Mara-Daria Cojocaru

Menschen und andere Tiere


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Auch subjektiv scheint es für jemanden wie mich, die mit der Weigerung, Fleisch zu essen, im Bayern der 1990er-Jahre eine Außenseiterrolle in Kauf nehmen musste, wesentliche Fortschritte gegeben zu haben.

      Gleichzeitig weisen die objektiven Indikatoren in eine andere Richtung: Die Zahl der Tiere, die für die Produktion von Lebensmitteln, Forschung und Unterhaltung (auch als Haustiere) verwendet werden, ist bis zuletzt kontinuierlich gestiegen.5 Deutschland ist ein führender Treiber beim globalen Export einer intern zunehmend kritisierten Lebensweise, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Die Zerstörung von Lebensräumen schreitet mit einer Geschwindigkeit voran, die für einen durchschnittlich ökologisch geschulten Menschen nur schwer zu verarbeiten ist. Wie kann man sich den Verlust von etwas vorstellen oder gar zu Herzen nehmen, von dem man nicht einmal wusste, dass es existiert, wie im Fall der vielen noch gar nicht entdeckten Tierarten, von denen wir annehmen müssen, dass sie jeden Tag aussterben? Wenn man dem noch die Renaissance des Pelzes in der Mode hinzufügt – etwas so Unnötigen und Grausamen, von dem man hätte meinen können, es sei für immer aufgegeben worden, sobald die Menschen verstanden hatten, was sie da tun –, dann erschließen sich die Umrisse des scheinbaren moralischen Fortschritts, die ich im ersten Absatz skizziert habe, nur aus einer recht engen Sichtweise auf das moralische Leben. Diese Sichtweise entspringt möglicherweise selbst einer problematischen, da potenziell selbstgefälligen Haltung von Privilegierten.

      Mir geht es in diesem Buch nicht darum, abschließend für die eine oder andere Perspektive zu argumentieren. Tierethisch und im Ansatz auch tierpolitisch hat sich in den letzten vierzig Jahren derart viel getan, dass Mensch-Tier-Beziehungen schwerlich nur mehr schwarz-weiß gesehen werden können. Auch die auf den ersten Blick unproblematisch wirkenden, weil wohlmeinenden Beziehungen wie die zwischen Menschen und Haustieren enthalten unendlich viel Graustufen und Trauriges. Sie werden hier zwar weniger Thema sein, können aber hilfreiche Phänomenologien liefern. Im Gegensatz dazu konnte aus der verstörenden Verzweckung mancher Tiere für die Forschung Wissen gewonnen werden, das zumindest anderen Tieren etwa im Artenschutz zugutegekommen ist. Je stärker man also auf ausgewählte Mensch-Tier-Beziehungen fokussiert, desto unklarer werden pauschale moralische Intuitionen, die sich zwischen tierbewegter Empörung und anthropozentrischer Selbstverständlichkeit bewegen.

      Ein Augenmerk meiner Argumentation liegt auf der Tatsache, dass sich die bisherigen moralphilosophischen Diskurse zu Unrecht auf den einzelnen Menschen konzentriert haben, der sich aufgrund seiner moralischen Einstellungen entscheidet, in Bezug auf Tiere anders zu handeln, wobei diese Handlungsentscheidungen dann vor allem Verbraucher*innenentscheidungen sind. So legen Überlegungen zur Kausalität einzelner Kaufentscheidungen6 und zur Über-frachtung der tugendhaften Konsument*innen7 nahe, dass das moralische Leben zu komplex ist, als dass ein entsprechender Persilschein beim Check-out in den Warenkorb gelegt werden könnte. Bei aller Bedeutung solch bewussten Konsumverhaltens gilt es unbedingt, die kollektive, politische Dimension mitzudenken, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die Menschen langfristig dabei helfen, im Einklang zumindest mit den im Minimalkonsens enthaltenen tierethischen Überzeugungen leben zu können.

      Solch ein groß angelegter und tief greifender institutioneller Wandel lässt sich nicht allein auf den Weg bringen, indem man Signale der redlichen Absicht aussendet. Es muss vielmehr die Frage gestellt werden, warum wohlmeinende, motivierte Menschen bei der Umsetzung ihrer moralischen Absicht in eine gesellschaftliche Wirklichkeit derart scheitern. Darüber hinaus ist zu fragen, wie diejenigen mitgenommen werden können, die moralisch gar nicht viel über Tiere nachdenken und tierethisch kaum motiviert sind. Beide Punkte betreffen meines Erachtens die Rolle von möglichen „Stolpersteinen“ im moralischen und politischen Leben, nämlich von Emotionen.

      Bei all meinen rein vernunft- und verständigungsorientierten Studien und Bemühungen in Kontexten, in denen es um Tiere ging oder gehen sollte, habe ich festgestellt, dass es immer auch um etwas anderes ging: nämlich darum, wie wir Menschen uns mit bestimmten Themen, Erkenntnissen und moralischen Empfehlungen im Zusammenhang mit Tieren fühlen. Häufig habe ich erfahren, wie oberflächlich sachliche Auseinandersetzungen unbequem geworden sind – und das ohne dass die Beteiligten den ebenso unausgesprochenen wie wirkmächtigen Emotionen wirklich Raum gegeben hätten. Um die Reise, die dieses Buch unternimmt, gemeinsam zu beginnen, oder einfach nur, um zu verstehen, wo ich herkomme, nehmen Sie sich doch einen Moment Zeit und prüfen Sie, ob die Erfahrungen, die ich bei der praktischen Arbeit zu zwei stark polarisierenden Themen, die zudem emotional ganz unterschiedlich eingefärbt sind, gemacht habe, bei Ihnen ein Echo finden.

      Wenn Sie dafür keine Geduld haben, können Sie die nächsten 19 Seiten überspringen und mit den Bemerkungen zur philosophischen Methode auf S. 30 wieder einsteigen, bevor ich dann im ersten Hauptteil des Buches für eine realistische Perspektive auf Menschen plädiere, aus der klar wird, dass Vernunft und Emotionen nicht so einfach voneinander zu trennen sind. Der gegenteiligen, übermäßig idealistischen und rationalistischen Sichtweise lässt sich unter anderem begegnen, indem man betont, dass Menschen eben auch Tiere sind, genauer: sozial organisierte Säugetiere, Naturwesen, die sich auch in moralischer Hinsicht entwickeln. In dieser Sichtweise sind Emotionen und Institutionen zentral, und die Art und Weise, wie beide den moralischen Fortschritt befördern oder auch behindern können, wurde lange zu wenig berücksichtigt. Menschen empören sich moralisch, sie empfinden mit, sie hoffen auf Besserung; Menschen schämen sich aber auch, ärgern sich über Belehrungen durch andere sowie über eigene Verfehlungen und sind manchmal hoffnungslos. Diese Zweischneidigkeit von Emotionen ist für Mensch-Tier-Beziehungen zentral – vor allem, wenn es darum geht, einen in der Tierethik, in der breiten Bevölkerung und sogar vom Gesetzgeber schon geteilten Minimalkonsens wirksam in die Praxis umzusetzen.

      Diesem ersten Hauptteil schließt sich ein zweiter an, in dem ich meinen Ansatz des leidenschaftlichen Denkens erkläre. Beim Thema Leidenschaften geht es um mehr als nur um Ventile für Menschen, die allein „allzu menschlich“ wären, um wirklich vernünftig sein zu können. Emotionen und ein gemeinschaftsorientierter Umgang mit ihnen haben aus meiner Sicht eine zentrale Bedeutung bei dem Versuch, Werte überhaupt richtig zu verstehen, und dies nicht nur in einem klar abgrenzbaren Bereich des Nachdenkens, den man Ethik nennen könnte, sondern in so gut wie allen Bereichen des Denkens – auch dem wissenschaftlichen und dem politischen. Besondere Aufmerksamkeit lege ich auf solche Emotionen, die das gemeinsame Nachdenken erschweren – zum Teil so sehr, dass wir vergessen, was wir eigentlich schon wissen: Die physischen und psychischen Leiden und Schäden, welche Tiere in den allermeisten Praktiken erfahren, sind aus der Mehrheit der ethischen Perspektiven moralisch nicht hinnehmbar. Um dem Vergessen und der entsprechenden Kritiklosigkeit vorzubauen, endet der zweite Teil mit einer Erschütterung vager Überzeugungen zu Tierversuchen und zur Nutztierindustrie, mit denen sich zu viele Menschen zu leicht zufriedengeben.

      Der dritte und letzte argumentative Hauptteil führt dann die Werkzeuge ein, mit denen moralische und politische Alternativen entwickelt werden können, die sich in gelebten Mensch-Tier-Beziehungen bewähren sollen. Dazu zählen die pragmatische Maxime, Karten des Denkmöglichen, Gedankenexperimente, eine kasuistische Herangehensweise und nicht zuletzt eine Sensibilität dafür, die richtigen Worte zu finden. Auch knüpfe ich an das an, was in den letzten Jahren die „Politische (Theorie-)Wende“ in der Tierethik genannt worden ist, mache einen Vorschlag zu einer Art Mehrebenen-Tierpolitik und suche Inspiration in wissenschaftlichen wie technologischen Neuerungen, um echte Dilemmata zu umgehen.

      Mit der Berücksichtigung von Politik und der Begeisterung für neue Wege der Forschung hoffe ich der Tradition des philosophischen Pragmatismus zu entsprechen, der ich mich intellektuell am nächsten fühle – dazu sage ich mehr in den Hinweisen zur Methode ab S. 30. „Pragmatisch“ ist mein Ansatz aber auch, weil ich der Meinung bin, dass wir zumindest in mancherlei Hinsicht mit dem Geschäft des moralischen Forschens am Ende sind, und zwar immer dort, wo wir eine gute andere Wahl haben, als Tiere zu schädigen und für menschliche Zwecke zu missbrauchen. Dass Tierversuche und Nutztierhaltung wirklich problematisch sind, ist gerade keine Minderheitenmeinung. Hier stehen wir nicht mehr vor dem Problem moralischer Erkenntnis, sondern vor dem ihrer – auch politischen – Umsetzung. Doch mit der Umsetzung des Minimalkonsenses sind wir noch nicht fein raus und sollten den Zweifel daran lebendig halten, ob wir anderen Tieren in den vielen Beziehungen und Verhältnissen, in denen wir mit ihnen stehen können,