vielfach zu Erbauungsschriften gestalteten. So ist es besonders mit den Briefen an Olympias, die einen reichen Schatz gesunder Aszese bergen und namentlich das Thema von der Heilsamkeit der Leiden in vielen Variationen und auf die ansprechendste Weise behandeln.
Was die formale Seite der mitgetheilten Briefe angeht, so hat der „Goldmund“ auch hier seine Vorzüge als geistlicher Redner nicht verleugnet. Man vermißt weder die Meisterschaft in der Handhabung der Sprache, noch die oratorische Fülle, noch die wunderbare Fertigkeit in der Durchführung paradoxer Sätze. Zum Verstand und zum Gemüth spricht er mit derselben eindringlichen Kraft. Er zeigt sich auch hier als der feinste Kenner des menschlichen Herzens und als der gediegenste Erklärer der heiligen Schriften. Deßhalb verzeiht man ihm gerne die gewohnte Weitschweifigkeit des Ausdrucks und einige Mängel in der Disposition, die um so eher zu entschuldigen sind, weil er eben einen Brief und nicht eine streng gegliederte Abhandlung schreiben wollte. — Von den 238 auf uns gekommenen Briefen des heiligen Chrysostomus, die sämmtlich aus der Zeit seiner zweiten Verbannung (404—407) stammen, bieten wir hier nur die zwei Briefe an Papst Innozentius und die siebzehn an Olympias. Jene sind mehr als Geschichtsquellen, diese dagegen hauptsächlich als Erbauungsschriften von Werth. Die meisten andern sind weniger bedeutend nach Inhalt und Umfang. Die Zeit der Abfassung ist bei den meisten nicht mit Sicherheit festzustellen, weßhalb sie gewöhnlich in einer lediglich durch das Herkommen sanktionirten Ordnung abgedruckt werden. Wir haben im Allgemeinen die von Montfaucon in der Maurinerausgabe beobachtete Reihenfolge innegehalten und nur nach dem Vorgange einiger Herausgeber dem bei Montfaucon an vierter Stelle mitgetheilten Briefe an Olympias die sechszehnte angewiesen. Soll nämlich in etwa wenigstens die Zeit der Abfassung maßgebend sein, so ist diese Ordnung jedenfalls mehr berechtigt: Das beweis’t die Erwähnung des Buches: ὅτι τὸν ἑαυτὸν μὴ ἀδικοῦντα οὐδεὶς παραβλάψαι δύναται (Quod nemo laeditur nisi a seipso) und des Aufenthalts in Arabissus (16. Brief an Ol. § 4).
Der Text der Maurinerausgabe ist von Lomler (Rudolfstadt 1840) nach einem bis dahin unbenutzten Codex der Münchener Bibliothek an manchen Stellen verbessert, übrigens wenig verändert worden. Durchgehends nach diesem rezensirten Text ist die vorliegende Übersetzung angefertigt. Wo es zum Verständniß erforderlich schien, sind Anmerkungen, häufiger jedoch kurze erklärende Zusätze in eckigen Klammern beigefügt.
An Innocentius von Rom
Einleitung
In dem ersten Briefe an Papst Innocentius, geschrieben im Jahre 404, berichtet der heilige Chrysostomus über seine Absetzung und Vertreibung in Konstantinopel.
Daß der große und heilige Bischof, der gewaltige Redner und Abgott des Volkes schon im sechsten Jahre seiner Amtsführung abgesetzt und verbannt wurde, dazu wirkten verschiedene Ursachen zusammen: die Ungnade des Hofes, die Feindschaft des alexandrinischen Bischofs Theophilus, die Erbitterung der von Chrysostomus bestraften oder strenge behandelten Mitglieder seines Klerus und endlich die Rachsucht einiger durch seine Dazwischenkunft abgesetzter Bischöfe.
Anfangs bei Hofe sehr gut angeschrieben, zog er sich allmählig durch seine strengen Predigten, in denen er auch die Laster der Vornehmen auf’s Schärfste rügte, die Feindschaft der Kaiserin zu. Insbesondere konnte sie ihm nicht verzeihen, daß er die Aufstellung ihrer Bildsäule ernstlich tadelte und sich ein anderes Mal (wie erzählt wird) Andeutungen gestattete, wodurch sie mit Herodias in Parallele gesetzt wurde. Es versteht sich, daß eine Menge vornehmer Damen, unter denen Marsa, Castricia und Eugraphia genannt werden, die Kaiserin in ihrer feindseligen Gesinnung bestärkte und Ränke schmieden half gegen den unbequem gewordenen Patriarchen.
Bald ergab sich eine schickliche Gelegenheit, an ihm Rache zu nehmen. Dazu bot nämlich Theophilus von Alexandrien, dem heiligen Chrysostomus schon seit Jahren nicht hold, mit Freuden die Hand. Theophilus sollte sich auf Geheiß des Kaisers in Konstantinopel wegen einiger schwerer Anklagen verantworten, welche von ägyptischen Mönchen, die er ungerechter Weise gebannt und vertrieben hatte, gegen ihn waren erhoben worden. Er kam erst nach Jahresfrist (403), und inzwischen hatte sich, wie er wohl wußte, Chrysostomus bei Hofe mehr und mehr mißliebig gemacht. Das wollte er benutzen.
Begleitet von einer Anzahl ägyptischer Bischöfe, die ihm ganz ergeben waren, zog er im Frühling des Jahres 403 in Konstantinopel ein.1 Durch Bestechungen und durch Intriguen aller Art wußte er sich hier bald eine bedeutende Partei zu schaffen. Nicht bloß am Hofe, sondern auch unter den Geistlichen fand er großen Anhang. Denn die Strenge, mit welcher Chrysostomus gegen ihre Nachläßigkeit im heiligen Dienste, gegen ihre Ueppigkeit und Genußsucht und besonders gegen das anstößige Zusammenleben mit gottgeweihten Jungfrauen eingeschritten war, hatte viele Geistliche gegen ihn erbittert. So kam es, daß zwei abgesetzte Diakonen sich sogar als Kläger gegen ihren Bischof gebrauchen ließen.
Einige Bischöfe aus Kleinasien waren im Jahre 402 auf einem Konzil zu Ephesus, wo Chrysostomus den Vorsitz geführt hatte, wegen Simonie ihres Amtes entsetzt worden. Auch sie halfen die Partei des Theophilus verstärken. Er hatte nun 36 Bischöfe auf seiner Seite, und diese versammelte er zu der berüchtigten Synode ad quercum, vor den Thoren von Chalcedon. Hier fühlte er sich sicherer als in Konstantinopel, wo das Volk dem heiligen Chrysostomus sehr zugethan war. Dieser hatte sich inzwischen mit 42 treugebliebenen Bischöfen ebenfalls zu einer Synode vereinigt. Ueber die von Seiten jenes Afterkonzils an ihn ergangene Vorladung, über seine Weigerung zu erscheinen, seine Absetzung, Vertreibung und schnelle Rückkehr verbreitet sich der erste der beiden mehrerwähnten Briefe. Theophilus machte sich bald heimlich aus dem Staube. Die Synode ad quercum setzte ihre Sitzungen fort; denn Chrysostomus mußte nun einmal unschädlich gemacht werden. Er blieb noch in der Stadt bis nach Pfingsten des folgenden Jahres. Der erste Brief an Innocenz muß bald nach den scandalösen Vorfällen des Ostersamstags geschrieben sein, von denen er eine ergreifende Schilderung gibt. Chrysostomus war inzwischen ein Gefangener in seinem eigenen Hause.
Etwa zwei Wochen nach Pfingsten (404) trat er seine zweite Verbannung an, aus welcher er nicht mehr heimkehrte. — Der zweite Brief stammt aus dem dritten Jahre seines Exils. Damals befand sich Chrysostomus wahrscheinlich in Kukusus, einem Städtchen Cappadociens. — Obgleich die Adresse beider Briefe auf den römischen Bischof Innocentius lautet, redet der Verfasser im Texte zur Mehrheit. Sie sollten jedenfalls auch andern Bischöfen Italiens zugestellt werden. Eine Note bei Palladius besagt: „Dieses Schreiben ist auch gerichtet an Venerius, Bischof von Mailand, und an Chromatius, Bischof von Aquileja.“
Erster Brief.
1.
Dem römischen Bischof Innocentius, meinem ehrwürdigsten Herrn, dem gottseligen Bischof Innocentius Gruß im Herrn von Johannes.
Zwar glaube ich, daß ihr schon vor Ankunft meines Schreibens von dem Frevel gehört habt, der hier verübt worden ist; denn Das, was hier vorgekommen, ist so schrecklich, daß es fast kein Land in der bewohnten Welt gibt, wo nicht die Kunde von dem entsetzlichen Trauerspiel hingedrungen wäre; und das Gerücht hat diese Ereignisse selbst bis an die Grenzen der Erde hingetragen und überall große Trauer und Klagen hervorgerufen. Weil aber unsere Zustände nicht bloß Wehklagen, sondern auch Besserung fordern, und weil darauf Bedacht zu nehmen ist, diesem gewaltigen Sturm, der die Kirche heimsucht, ein Ziel zu setzen: darum habe ich für nothwendig gehalten, meine ehrenwerthen Herren, die frommen Bischöfe Demetrius, Pansophius, Pappus und Eugenius zu bestimmen, ihre eigenen Gemeinden zu verlassen und sich auf das weite Meer hinauszuwagen, die lange Reise zu unternehmen und zu euch hinzueilen, Alles genau zu berichten und möglichst schnelle Abstellung der Übelstände in’s Werk zu setzen. Auch habe ich ihnen meine ehrenwerthen und theuren Diakonen Paulus und Cyriakus als Begleiter mitgegeben und will nun selbst brieflich das Geschehene in Kürze mittheilen.
Gegen Theophilus, der mit der Leitung der Kirche von Alexandrien betraut ist, waren bei dem gottesfürchtigen Kaiser einige Klagen eingelaufen, weßhalb dieser ihn aufforderte, sich ohne Begleitung hierher zu verfügen. Theophilus erschien aber mit einem Gefolge von ägyptischen Bischöfen in beträchtlicher