Johannes Chrysostomos

Briefe an Olympias und Papst Innocentius


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das Verderben auf dem ganzen Erdkreis sich mehrt? Das weiß ich auch, und Niemand wird es bestreiten. Und wenn es dir genehm ist, will ich dir auch die Dinge, die jetzt vor sich gehen, in einem Bilde darstellen, um dir dieses Trauerspiel noch deutlicher zu zeigen. Ich sehe ein allenthalben von Stürmen gepeitschtes Meer, aufgewühlt aus seinen grundlosen Tiefen; auf seiner Oberfläche schwimmen Leichen von Schiffern, während andere in seine Tiefen versunken sind. Die Bretter der Fahrzeuge sind gelöst, die Segel zerrissen, die Masten zerbrochen, die Ruder den Händen der Schiffer entfallen. Die Ruderer sitzen auf dem Verdeck statt auf ihren Bänken, lassen ihre Hände auf den Knieen ruhen, und rathlos ob all der Schrecknisse vermögen sie nur zu heulen, zu schreien und zu jammern. Weder den Himmel noch das Meer kann das Auge unterscheiden, überall herrscht tiefe, dichte, düstere Finsterniß, so daß man nicht einmal den nächsten Nachbar sieht. Das Getöse der Fluthen nimmt überhand; auch die Ungeheuer des Meeres dringen von allen Seiten auf die Schiffsleute ein — doch wozu soll ich noch weiter zu schildern versuchen, was jeder Beschreibung spottet? Welches Bild ich auch immer wählen mag, um die Drangsale unserer Zeit zu veranschaulichen, der Versuch muß mißlingen, und meine Schilderung wird von der schrecklichen Wirklichkeit überboten. Allein obgleich ich Das weiß, lasse ich keineswegs die Hoffnung auf eine glückliche Wendung fahren, indem ich des Steuermanns gedenke, der diese Welt regiert, der nicht durch Mittel der Kunst des Sturmes Meister wird, sondern durch einen Wink den Orkan beschwichtigt. Wenn er Das aber nicht von vornherein und nicht alsbald thut, nun, Das ist so seine Art. Nicht beim Beginne steuert er dem Unglück, sondern wenn es damit schlimmer geworden, wenn es zum Äussersten gekommen ist, und wenn die Meisten schon verzagen, dann greift er ein, wunderbar und wider Erwarten. So lange wartet er, um seine eigene Macht zu bewähren, und um die Heimgesuchten zu üben in der geduldigen Beharrlichkeit. Darum bitte ich dich, den Muth nicht zu verlieren; denn nur Eins, Olympias, ist zu fürchten, ist eine ernstliche Anfechtung, und dieses Eine ist die Sünde. Ich bin nie müde geworden, dir ohne Unterlaß diese Wahrheit vorzupredigen. Alle andern Leiden sind Dieß nur in unserer Einbildung: Nachstellungen, Befeindungen, Betrug, Verleumdung, Beschimpfung, Anklagen, Gütereinziehung und Achtserklärung, Verbannung, die Schärfe des Schwertes, Gefahren auf dem Meere, Krieg auf der ganzen Welt. Denn Dieses alles, wie man auch sonst davon denken mag, ist der Zeit und der Vergänglichkeit unterworfen, geht nicht über unser sterbliches Leibesleben hinaus und vermag der besonnenen Seele nicht zu schaden. Daher ist das Glück wie das Unglück dieses Lebens nicht hoch anzuschlagen, wie uns der heilige Paulus lehrt, mit einem Worte Alles zusammenfassend: „Was wir sehen, ist vergänglich.“2 Warum also fürchtest du das Vergängliche, das vorüberfließt gleich den Wellen eines Stromes? Denn solcher Art sind die Schicksale dieses Lebens, im Glück wie im Unglück. Ein anderer gotterleuchteter Mann nennt alle Erdenfreuden zusammengenommen eine Blume des Grases; er vergleicht sie also nicht einmal mit dem Grase, sondern er achtet sie noch geringer — und zwar alle insgesammt. Denn er spricht nicht von einem Bruchtheil derselben, nicht von Reichthum allein oder Sinnenlust oder Macht oder Ehren, sondern er faßt Alles, was unter den Menschen geschätzt wird, mit dem einen Worte „Herrlichkeit“ zusammen, und nun stellt er das Bild von dem Grase daneben: „Alle menschliche Herrlichkeit ist wie eine Blume des Grases.“3

      2. Wenn die Noth am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten.

      Aber Leiden sind doch hart und schwer? Sieh, wie diese wieder unter einem andern Bilde dargestellt werden, und lerne auch sie verachten! Beschimpfungen, Beleidigungen, Schmähungen, Verhöhnungen und Nachstellungen von Seiten der Feinde vergleicht der Prophet mit abgetragenen Kleidern und zernagter Wolle: „Habet keine Furcht vor den Schmähungen der Menschen, und laßt euch durch ihre üblen Nachreden nicht anfechten; denn sie werden altern wie ein Kleid und verzehrt werden wie Wolle von den Motten.“4 Möge dich daher Nichts von den Dingen, die jetzt vor sich gehen, verwirren. Höre auf, Diesen und Jenen um Beistand anzuflehen; höre auf, Schatten nachzulaufen (denn menschliche Hilfe ist nur ein Schatten); statt dessen flehe anhaltend zu Jesus, den du anbetest, er möge nur durch einen Wink dir willfahren — und in einem Augenblicke wird alles Leid zu Ende sein. Wenn es aber trotz deines Flehens noch nicht zu Ende geht, nun es ist eben Gottes Art (ich komme nämlich auf den früher ausgesprochenen Gedanken zurück), die Leiden nicht schon gleich Anfangs zu ersticken, sondern wenn die Noth sich gemehrt hat und auf’s Höchste gestiegen ist, wenn die Feinde fast alle Bosheit an uns erschöpft haben, dann pflegt er mit einem Male die Ruhe herzustellen und Alles einem ganz unerwarteten Ausgang entgegenzuführen. Er vermag nicht bloß so viel Heil und Segen zu spenden, als wir erwarten und hoffen, sondern weit reichlicher und unendlich herrlicher. Daher sagt auch der heilige Paulus: … „der überschwenglich [gütig mit uns] thun kann, weit über unser Bitten oder Denken.“5 Konnte er nicht von vornherein verhindern, daß die drei Jünglinge jener Feuerprobe anheimfielen? Aber er wollte es nicht und verschaffte ihnen gerade dadurch den reichsten Gewinn. Zu dem Ende übergab er sie den Händen der Barbaren; daher ließ er die Flammen in dem Feuerofen bis zu einer unglaublichen Höhe emporschlagen und den Zorn des Königs noch mächtiger als diese entbrennen, daher ließ er sie an Händen und Füßen gewaltsam fesseln und in das Feuer werfen; und als alle Zuschauer sie für unrettbar verloren hielten, da erstrahlte plötzlich und ganz unverhofft in hellstem Licht die Wundermacht des allweisen und allmächtigen Gottes. Die Feuersgluth ward gefesselt, die Gefesselten wurden von ihren Banden befreit, der Feuerofen wurde zum Tempel des Gebetes, wurde gleich einer kühlen Quelle und erfrischendem Thau, wurde herrlicher als selbst die Königsburg; und jenes Element, das sonst Alles verzehrt, das Stein und Eisen besiegt und alle andern Stoffe bemeistert, fand selbst an ihren Haaren erfolgreichen Widerstand. Und jene Heiligen stimmten dort einen allumfassenden Chorgesang an und riefen die sichtbare wie die unsichtbare Schöpfung zu ihrem wundersamen Loblied. Sie dankten in Hymnen dem Herrn, daß sie gefesselt (so weit es in der Gewalt der Feinde lag), daß sie aus dem Vaterlande vertrieben, daß sie als Gefangene hinweggeführt, der Freiheit beraubt, daß sie Vaterlandslose, Heimathlose und Fremdlinge geworden waren, daß sie in einem ungastlichen, barbarischen Lande ihr Leben zu verbringen hatten. Das ist die Art eines edlen, dankbaren Herzens. Und als nun die Bosheit der Feinde sich erschöpft hatte, (denn was konnten sie ihnen mehr anthun als den Tod?) nachdem die Kämpfer den Kampf bestanden, als schon der Lorbeerkranz gewunden und der Siegespreis bereit war und also an ihrem Ruhme Nichts mehr fehlte, — da findet die Trübsal ihr Ende; und der die Flammengluthen des Feuerofen entfacht und sie einer solchen Marter überantwortet, — der wird zum staunenden Lobredner jener heiligen Kämpfer, zum Verkündiger der göttlichen Wunderthaten, und in alle Länder seines Weltreiches sendet er Briefe voll des Lobes, erzählend was sich zugetragen hat — ein glaubwürdiger Herold der Wunder des allmächtigen Gottes. Denn weil er Feind und Widersacher war, mußte sein Bericht auch bei den Feinden unverdächtig sein.

      3. Viele Menschen haben zur Zeit des Heilands Anstoß genommen an seiner Person und seiner Lehre.

      Siehst du nun, daß beim Herrn die Hilfsmittel unerschöpflich sind? Erkennst du seine Weisheit, seine Wundermacht, seine Menschenliebe und gütige Fürsorge? Laß dich also nicht aufregen und verwirren, sondern höre nicht auf, ihm für Alles Dank und Lob zu bringen, zu ihm zu rufen, zu bitten und zu flehen. Wenn auch Wirren und Stürme ohne Zahl auf uns eindringen und Das alles dir lebendig vor Augen steht, soll dich doch Nichts von alle Dem beunruhigen. Denn unser Herr wird durch die Schwierigkeiten der Verhältnisse nicht überrascht, wenn auch Alles bis zum äussersten Verderben scheint gekommen zu sein. Er kann auch die Gefallenen aufrichten, die Irrenden zurückführen, die Verführten bekehren, die mit unzähligen Vergehen belasteten Sünder retten und rechtfertigen, die Todten erwecken, das Zerstörte glänzender herstellen und das gebrechliche Alter verjüngen. Denn wer die Dinge, die nicht waren, entstehen macht und denen, die nirgends und in keiner Weise zum Vorschein gekommen waren, das Dasein gibt, Der wird noch weit eher das Gewordene und Seiende wieder zum Bessern wenden. Aber — denkst du vielleicht — Viele nehmen Ärgerniß, Viele gehen zu Grunde! Auch Das ist schon oft und vielfach geschehen; aber später hat immer Alles den rechten Ausgang genommen, ausser daß der Eine oder Andere auch nach dem Umschwung der Dinge unheilbar blieb. Warum zagst du, warum klagst du, daß Dieser vertrieben worden, daß Jener sich gewaltsam hineingedrängt hat [in ein kirchliches Amt]? Christus wurde gekreuzigt, der Räuber Barabbas losgefordert, und das verführte Volk verlangte mit wüthendem