in den Bundestag ein. Eine bewegende, aufrüttelnde Begegnung. Da der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in dem ich ebenfalls Mitglied bin, bald darauf eine Reise nach Vietnam plante, versprach ich der Mutter, während meines Aufenthaltes einen Besuch bei ihrer Tochter zu beantragen. Die Aussichten waren gering, in den Jahren davor hatte kein einziger europäischer Abgeordneter ein vietnamesisches Gefängnis besuchen dürfen. Doch mir war bewusst: Auch wenn das Treffen nicht zustande kommen würde, war allein der Antrag auf diesen Besuch eine politische Botschaft. Die vietnamesischen Behörden würden erfahren: Wir schweigen nicht!
Die erste Antwort bekam ich vor Ort: Abgelehnt, es sei nicht möglich, die Gefangene zu treffen. Am nächsten Morgen kommt die überraschende Kehrtwende: Mir wird die Erlaubnis erteilt, die junge Frau im Gefängnis zu besuchen. Die Gesprächsatmosphäre ist positiv, Frau Minh-Hanh berichtet sehr offen. Sie spricht über Gewalt, die ihr persönlich zugefügt wurde. Am Ende des Gesprächs übergebe ich ihr in einem unbemerkten Moment meine Visitenkarte mit einer schnell hingeworfenen Nachricht und verspreche ihr zum Abschied, ihren Fall auch öffentlich zur Sprache zu bringen. Das tat ich mit einer Pressemitteilung.
Um ehrlich zu sein: Meine Hoffnung, dass dieser Besuch und die Pressemitteilung zu einer baldigen Freilassung führen könnten, war nicht allzu groß. Doch es ist allemal besser, einen Strohhalm zu ergreifen, als tatenlos zuzusehen. Und hatte nicht der Besuch selbst schon jeder Wahrscheinlichkeit widersprochen? Als dann nach ziemlich genau zwei Monaten die Nachricht von Do Thi Minh-Hanhs Freilassung eintraf, war das einer der Gänsehautmomente in meiner Zeit im Deutschen Bundestag.
Ich mache es kurz: Frau Minh-Hanh wollte nach Österreich ausreisen, um ihre kranke Mutter zu besuchen. Zunächst bekam sie ein Visum, wurde aber am Flughafen erneut verhaftet. Im Dezember 2015 hielt ich bei meiner Rede im Plenum zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern ein Bild von ihr in die Höhe. Ich war überrascht, welche Kreise diese Rede zog.
Wenige Tage danach schrieb mir ein vietnamesischer Menschenrechtsaktivist, dass er mit einigen anderen eine kleine Aktion zu meiner Rede gemacht hatte: Sie wurde ins Vietnamesische übersetzt und durch ein Interview mit mir ergänzt.
Lange Rede, kurzer Sinn, mittlerweile hat mich Frau Minh-Hanh im Bundestag besucht. Ich kann es kaum beschreiben, was mir das bedeutet. Ganz klar, mein Einsatz war nicht der einzige Grund, warum Frau Minh-Hanh freigelassen wurde. Besonders Michael Brand, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Pate von Frau Minh-Hanh bei „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ hat sich ebenfalls stark engagiert. Neben guter Zusammenarbeit braucht es eben doch viel Vorbereitung, damit ein Wunder geschehen kann. Viel wichtiger als „das Wunder zu feiern“ ist mir jedoch, dass wir den Mut haben, das anzupacken,
was uns vor die Füße fällt. Nicht jedes Mal etwas Neues versuchen, sondern kontinuierlich in dieselbe Kerbe schlagen. Wenn dann „eine Frau Minh-Hanh“ dabei herauskommt, umso besser! Das wünsche ich uns zwar, aber darauf kommt es letztendlich nicht an.
Zum Abschluss möchte ich noch betonen: Mir geht es ganz und gar nicht darum, dass sich jeder von euch für Gefangene engagiert, ich möchte euch aber Mut machen, das anzupacken, was ihr vor euren Füßen findet.
Frank Heinrich | Jg. 1964 | verheiratet | 4 Kinder, 6 Enkelkinder | Sozialpädagoge, Theologe und direkt gewählter Abgeordneter im Wahlkreis Chemnitz | www.frankheinrich.de
Eine ausführlichere Darstellung der Ereignisse um die Freilassung von Frau Do Thi Minh-Hanh findet sich in meinem Buch „Frank und Frei: Warum ich für die Freiheit kämpfe".
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