berufen hat
zu seinem wunderbaren Licht.
1. Petrus 2,9
In solche Identitäten, von denen in 1. Petrus 2,9 gesprochen wird, stolpert man nicht einfach dadurch hinein, dass man sich einmal „bekehrt“ hat und nun ab und zu einen Gottesdienst und die Bibelstunde besucht. Aber nicht einmal die aktive Gemeindemitarbeit oder gar der Besuch einer Bibelschule garantieren, dass wir hinterher „königliche Priester“ sind und in der Lage dazu, „die Tugenden Gottes“ zu verkünden, weil wir in sein „wunderbares Licht“ eingetreten sind und dort verwandelt wurden in andere Menschen (eine „heilige Nation“).
Wir setzen heute gemäß unserer Kultur ganz auf Wissen und bilden Gemeinden und ihre Leiter entsprechend kopflastig aus. Sie brauchen keine „Erleuchtung“ bzw. kein „wunderbares Licht“ mehr, keine heilige Erfahrung, sondern gute Noten in Homiletik, Kirchengeschichte und Exegese.
Kaum mehr wird nach Begriffen wie Identität und die dafür notwendige Initiation gefragt. Wir haben in der Folge heute jede Menge Leiter und Mitarbeiter in den Gemeinden, die selber nie in die Dimension des Heiligen, des Königlichen oder der Erwählung eingetreten sind – sie wissen nur etwas darüber, jedoch sind sie es nicht geworden.
Das ist der feine, aber alles entscheidende Unterschied:
Wissen oder Werden.
Um Menschen zu informieren, brauchen wir informierte Leiter, um sie zu initiieren, brauchen wir initiierte Leiter. Um uns mehr Wissen etwa über das „königliche Priestertum“ anzueignen, reicht ein Studium vielleicht aus, aber nicht, um königliche Priester zu werden. Dafür braucht es eine Initiation. Diese geschieht jedoch nicht im Klassenzimmer, sondern ereignet sich „draußen in der Wüste und in den Bergen“ … in der Einsamkeit und Wildnis. In der Wirklichkeit. Die Schrift ist voller Beispiele dafür, wie Gott seine Leute eben dorthin führte, um ihnen zu begegnen, um sie mit sich selbst zu konfrontieren und durch einschneidende, existentielle und heilige Erlebnisse grundlegend zu verändern.
Die großen Veränderungen, nach denen viele Menschen sich so sehr sehnen, geschehen in aller Regel nicht in den gediegenen Wänden einer Gemeinde oder theologischen Ausbildungsstätte, sondern an abgelegenen Orten, wo sie ohne Ablenkung sind und genügend Abstand zum Alltagsgeschäft haben, um zur Besinnung zu kommen und eine direkte Erfahrung mit dem zu machen, der sie „aus der Finsternis ins Licht“ ruft.
Es scheint fast so, als wäre proportional zum angestiegenen theologischen Wissen die Qualität der Identität der Ecclesia (wörtl.: die „Herausgerufene“) in ihren Berufungen und Bestimmungen von Gott her rückläufig.
Sind unsere Verantwortlichen selbst nicht den Weg der Initiation gegangen, sind sie entsprechend auch nicht in der Lage dazu, uns „in die Wüste“ oder „auf den heiligen Berg“ zu führen. Oder sie können nicht erkennen, wann der Heilige Geist einen jeden von uns ruft, aufzubrechen und den Weg der Verwandlung und geistlichen Reife zu gehen.
Natürlich kann man Ämter und Titel nach zweckrationalen Kriterien vergeben, aber das heißt noch lange nicht, dass auch drin ist, was draufsteht. Heute werden Ämter und Titel vorrangig funktional gesehen und entsprechend besetzt. Es geht allenthalben ums TUN und nicht ums SEIN. Wir sind aufgabenorientiert und nicht reifeorientiert. Aber Aufgaben erledigen ist etwas ganz anderes als Jünger sein und den heiligen Weg gehen.
Der bekannte Franziskaner Richard Rohr, der sich Jahrzehnte lang mit der Frage nach einer modernen Form von Initiation für Männer befasste und großartige Bücher darüber geschrieben hat, sagt in einem seiner Werke:
Motiviert zu meiner Arbeit hat mich immer wieder die Traurigkeit und Enttäuschung darüber, dass so viele Männer, die ich kennengelernt habe, kein inneres Leben zu haben scheinen – und das gilt auch für Pfarrer, Ordensleute und engagierte Laien, für hochrangige, erfolgreiche Führungspersönlichkeiten, von denen man eigentlich anderes erwartet. Sie sind daran nicht selbst schuld, wenn es überhaupt um Schuld geht. Niemand hat ihnen je etwas anderes geboten als das billige „Linsengericht“ Jakobs. Wir sind Nachkommen Esaus, wir haben unser Erstgeburtsrecht gegen Fast-Food-Religion eingetauscht (1 Mose 25,29-34). Und diese kann weder das Selbst noch die Welt in ihrer Tiefe fassbar machen.1
Herzensdimensionen
Gnade euch und Friede von dem, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind, und von Jesus Christus, der der treue Zeuge ist, der Erstgeborene der Toten und der Fürst der Könige der Erde! Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen (Offb 1,4-6).
Nichts was hier steht, kann man aus Büchern lernen oder in einer Bibelstunde abhandeln. Das sind große Dimensionen, die sich unserem analytischen Verstand entziehen und ihn übersteigen. Sie muss man erleben, um sie zu kennen. Und um sie erleben zu können, muss man dafür bereit gemacht, gereinigt und gestärkt und in eine angemessene Haltung gebracht werden. Man muss einem Ruf folgen, aufbrechen, Hindernisse überwinden, einen Weg gehen … Das alles sind klassische Aspekte von Initiation.
Wikipedia definiert den Begriff Initiation folgendermaßen:
Initiation bezeichnet die Einführung eines Außenstehenden (eines Anwärters) in eine Gemeinschaft oder seinen Aufstieg in einen anderen persönlichen Seinszustand, beispielsweise vom Kind zum Erwachsenen, von der Novizin zur Nonne oder vom Laien zum Schamanen.
Die Überführung in einen anderen „Seinszustand“, darum geht es also. Das ist natürlich etwas ganz anderes als die Aneignung von mehr Wissen und abstrakter Theologie. Es geht um eine Einführung in das Ewige und das Heilige, wodurch man fraglos zuerst verwandelt und dann in Dienst gestellt wird, wenn man sich darauf einlässt.
Im Allgemeinen versteht man unter Initiation eine Gesamtheit von Riten und mündlichen Unterweisungen, die die grundlegende Änderung des religiösen und gesellschaftlichen Status des Einzuweihenden zum Ziel haben. Philosophisch gesagt, entspricht die Initiation einer ontologischen (wesensmäßigen, grundlegenden) Veränderung der existentiellen Ordnung. Am Ende seiner Prüfungen erfreut sich der Neophyt (der Initiand) einer ganz anderen Seinsweise als vor der Initiation: Er ist ein anderer geworden.2
In das göttliche Königtum und die ewige Priesterschaft muss man eingeweiht werden, sonst ist das alles nur graue Theorie, die im Alltag keinen Niederschlag findet. Alle genannten Begriffe: bereitgemacht werden, überwinden, sich einlassen, Einweihung … das alles sind Dimensionen und weitere typische Aspekte von Initiation.
In früheren Zeiten war es allgemein üblich, dass ein junger Mann Mentoren hatte; er wurde zur Ausbildung zu Meistern seines Fachs geschickt, bei denen er ganz praktisch in deren Kunstfertigkeiten unterwiesen wurde. Aber mehr noch, lebte er eine Zeit lang mit ihnen zusammen. Er studierte dabei ihr ganzes Sein und besuchte nicht nur ihren Unterricht in Werkkunde. Bis in die Neuzeit hinein war das Ausbildungs-Modell von Jesus allgemein verbreitet: Der Meister und die Schüler, die sich um ihn scharten. Die Schüler wurden dabei vom Meister nicht nur informiert, sondern initiiert. Sie nahmen Teil an seinem Leben und Dienst, seiner Sicht und Handhabung der Dinge, seiner Reife und seinem Geist. Nicht ein Lehrpensum und das Absolvieren von Prüfungen entschieden darüber, ob ein Schüler so weit war, als tauglich und bewährt eingestuft zu werden, fähig, auch andere zu unterweisen, sondern der Meister beurteilte die Qualität und Reife des Schülers. Dabei umfasste die Beurteilung den ganzen Menschen und nicht nur ein Fach.
Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, aber der Herr sieht auf das Herz (1 Sam 16,7).
Gott prüft das HERZ des Menschen, er schaut hinter die Fassade und in die Tiefe, wo wir die sind, die wir wirklich sind – und wovon